TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Als Moritz von Uslar im vergangenen Dezember Peer Steinbrück in der Bühnen-Variante seines Interview-Formates »99 Fragen an…« fragte, wie er denn Suhrkamp retten wolle, antwortete der Kanzlerkandidat: »Gehören Sie auch zu denen, die ihre Bücher im Regal nach Farben geordnet haben?«. Uslar entgegnete: »Sieht wunderschön aus.« Der Regenbogen der »edition suhrkamp« taugt also auch 2013 immer noch als leuchtende Bildungsbürgertapete im Bücherregal. In diesem Jahr feiert die »edition suhrkamp«, kurz »es«, ihren fünfzigsten Geburtstag – am 2. Mai 1963 erschienen die ersten 20 Bände der auf 48 Bücher jährlich angelegten Reihe.
Mit Brechts »Das Leben des Galilei« als erstem Band platzte die Reihe in den gesellschaftlichen Restmief der 50er Jahre. Mit ihrer Mischung aus Prosa und Theorie und Autoren wie Habermas, Beckett und Adorno wurde sie zur preisgünstigen intellektuellen Waffenkammer der 68er. Die »es« war radikal – in literarischer wie visueller Hinsicht. Taschenbücher hatten 1963 nicht den besten Ruf und galten in literarisch interessierten Kreisen als billige, massenkompatible Wühltischware. Dem Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld war von Anfang an klar, dass »diese Reihe über Skepsis und Risiko hinweg realisiert werden müsste.« Grund dafür war die Zusammenarbeit mit dem Grafikdesigner und gebürtigen Velberter Willy Fleckhaus, der später auch das avantgardistische Lifestyle-Magazin twen konzipierte.
Fleckhaus verzichtete auf die – damals übliche – lärmende Gestaltung von Taschenbüchern und konzentrierte sich auf die Spektralfarben des Sonnenlichts. Jedem Band der »es« wies er eine Farbe zu, die sich an der natürlichen Reihung des Lichts orientierte. Dessen Spektrum beginnt mit einem dunklen Blauviolett und setzt sich mit Rot, Orange, Gelb, Grüngelb, Grün und Blau fort, um mit dem Erscheinen des ersten Buches des nächsten Jahres wieder zum Blauviolett zurückzukehren. Auf Umschlagfotos wurde zugunsten der Farbe verzichtet, stattdessen setzte Fleckhaus auf ein strenges Raster aus dünnen Linien; Autor und Titel wurden aus der klassischen Garamond gesetzt. Für Unseld war es eine »Bibliothek der Avantgarde«, und Fleckhaus beschrieb sein Konzept fast poetisch: »Ich sehe ein endloses Band, das sich wieder schließt, selbstverständlich wie die Natur, präzise und schön.«
Max Frisch sah in der »es« hingegen »eine ernste Gefahr für den Verlag«, und erwartete dessen populären Ausverkauf: »Ich zweifle nicht an ihrem Erfolg, ich fürchte eher einen Erfolg…«. Suhrkamp-Cheflektor Walter Boehlich wollte »wenigstens die Ostereierfarben von Willy Fleckhaus verhindern«. Es hat nichts geholfen – 50 Jahre später gilt der Regenbogen der »es« als moderner Klassiker, auch wenn sich nach und nach einige Titel der Reihe von der gestalterischen Konsequenz des Grafikgottes Fleckhaus lösen. Eine Weiterentwicklung der »es« ist die »edition suhrkamp digital« – Reportagen, Manifeste und Essays, 40 bis 90 Seiten lang, zu aktuellen Themen wie Fukushima und Occupy, die kurzfristig in gedruckter und digitaler Form erscheinen. Und auch auf dem Smartphone leuchtet der Regenbogen mittlerweile mit einer passenden App.
Neu ist zudem ein giftgrünes »es«-Bändchen mit dem Titel »Notizen« – es gehört zu den »Blankbooks«; Notizbüchern im historischen Fleckhaus-Design, die anlässlich des »es«-Jubiläums erscheinen. Gebundener Weißraum in schicker Umhüllung. Wenn das Max Frisch noch erlebt hätte.
Raimund Fellinger (Hrsg.): »Kleine Geschichte der edition suhrkamp«, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003, 104 Seiten, 4 Euro