TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Pink. War wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis der lillifeehafte Trend-Tsunami auch die LEGO-Welt erreicht – rosa Überraschungseier für kleine Mädchen gibt es ja bereits. »Friends« nennt LEGO seine Spielzeugserie mit fünf verschiedenfarbig frisierten Mädels inklusive Fohlen, Reiterhof, Schwimmbad und »Pudel-Häuschen« von erschütternder Niedlichkeit. Die Figuren sehen aus wie kleine Barbies, heißen Mia oder Emma und bekommen im Sommer ein TV-Spezial auf Super-RTL.
Eigene Fantasie scheint in der bonbonfarbenen »Friends«-Welt nicht mehr gefragt zu sein – hier sieht ein Fohlen aus wie ein Fohlen; abstrakt-kantige Annäherungen an die Form des Tieres, wie man sie mit den klassischen LEGO-Steinen mit etwas Geschick zusammenbauen könnte, sind nicht vorgesehen.
Dabei hat es mit LEGO ziemlich reduziert angefangen: 1932 gründete der dänische Tischlermeister Ole Kirk Kristiansen die Firma zur Herstellung von Holzspielzeug, wobei der Name LEGO als Abkürzung für das dänische »leg godt«, zu Deutsch »Spiel gut«, steht. Kristiansen schaffte nach dem Zweiten Weltkrieg als einer der ersten Spielzeughersteller eine Kunststoff-Spritzgussmaschine an, neben Modellfahrzeugen wurde 1949 auch eine erste Version der heutigen LEGO-Steine produziert. Diese »Automatic Binding Bricks« besaßen bereits die typischen acht Noppen an der Oberseite, waren im Inneren aber hohl, was zu Instabilität im zusammengesteckten Zustand führte. Erst 1957 ergänzte man die Steine durch die stabilisierenden Röhrenelemente im Inneren; 1958 wurde der erste schräge Stein für Dachkonstruktionen entwickelt; 1969 folgte der »Duplo«-Stein für Kinder unter sechs Jahren und ab 1979 gab es die typischen LEGO-Minifiguren mit beweglichen Gliedmaßen. Die DDR reagierte darauf mit dreisten Kopien wie den PEBE- und FORMO-Steinen; von letzteren gab es einen Souvenir-Baukasten für den Palast der Republik.
Aus dem aktuellen LEGO-Katalog ist zu erfahren, dass es 915 Millionen Kombinationsmöglichkeiten für sechs Steine einer Farbe mit 2×4 Noppen gibt. Zu erkennen ist auch, dass der klassische LEGO-Stein zunehmend in den Hintergrund gedrängt wird, auch wenn in den LEGO-Flagshipstores Eltern und Kinder gleichermaßen selig in den Kisten wühlen. Es gibt perfekte Themenwelten wie »Friends«, »Ninjago« sowie »Herr der Ringe« und »Star Wars« für die größeren Jungs. Und die »Architecture«-Reihe bietet bauliche Meisterwerke im Klötzchen-Design – den Willis-Tower in Chicago oder Frank Lloyd Wrights Solomon R. Guggenheim-Museum und sein legendäres Privathaus »Fallingwater« aus dem Jahr 1934.
Spielzeug wird also zu Kunst, nicht erst, seit Streetart-Künstler bröckelnde Mauerfugen nachts mit LEGO-Steinen zumauern. In sogenannten »Brick-Filmen« werden die Steine mittels Stop-Motion-Technik in Bewegung gebracht – Michel Gondry hat dieses Stilmittel im Musikclip zu »Fell in Love with a Girl« von den White Stripes verwendet.
Lange vor Erfindung der LEGO-Themenwelten stellte der polnische Künstler Zbigniew Libera 1996 einen provokanten wie fiktiven LEGO-Bausatz für ein Konzentrationslager vor, samt Baracken, Krematorien, Stacheldraht und weißen Minifiguren in Skelettform. Dieses Holocaust-Kinderspiel wurde seinerzeit massiv diskutiert und kürzlich vom Warschauer Museum für moderne Kunst für 55.000 Euro angekauft. Damit erübrigt sich auch hoffentlich endgültig die Frage, die Zbigniew Libera in diesem Fall zu oft gestellt wurde – wo man den Bausatz denn kaufen könne?