TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
»Helvetica is actually Chuck Norris’ handwriting«, hat ein gewisser »dim533« auf Youtube ehrfürchtig unter den Trailer zu Gary Hustwits Film »Helvetica« gepostet. Aber sicher – laut eines der vielen Witze über den reaktionären Actionhelden isst Chuck Norris ja auch keinen Honig, sondern kaut Bienen. Aber: Wenn die Helvetica schon Norris’ Handschrift sein soll, dann doch bitte breit und fett als »Heavy Extended«-Schnitt.
Im Unterschied zu dem in die Jahre gekommenen Ballerfilm-Darsteller wirkt die Helvetica auch mit 56 Jahren immer noch sehr frisch. Was auf ihre zeitlose und elegante Konstruktion zurückzuführen ist, die mittlerweile als Neue Helvetica in 51 Schriftschnitten vorliegt. Im Sommer 1957 wurde die Schrift erstmals als Neue Haas Grotesk in der Haas’schen Schriftgießerei bei Basel vorgestellt. Der Schweizer Typograf Max Miedinger hatte den Auftrag bekommen, eine neue Grotesk-Schrift zu entwerfen, um H. Berthold mit seiner Akzidenz Grotesk Konkurrenz zu machen. Miedingers Blaupause war die Scheltersche Grotesk aus dem Jahr 1880. Aus jener Zeit stammt auch das Wort und die Schriftklassifikation Grotesk – für den Betrachter, der die verspielten Rundungen der Antiqua-Schriften gewohnt war, sahen die modernen, klaren Linien der neuen Schriften schlichtweg grotesk aus.
1957, als die Neue Haas Grotesk erschien, wurde die sachlich-moderne Schweizer Typografie in der Designszene immer beliebter und setzte neue Trends. 1960 übernahm die Frankfurter Stempel AG die Haas’sche Gießerei und benötigte eine erfolgreiche Schrift, die sich ganz gezielt an die damaligen Werbemittelgestalter wandte – die Neue Haas Grotesk wurde passenderweise in Helvetica umbenannt. Ab den 1960er Jahren entwickelte sie sich zu einer der erfolgreichsten und meistverwendeten Schriften. Unternehmen wie Bayer, BMW, Lufthansa, Deutsche Bundesbahn, American Airlines, Panasonic und die dänischen und schweizerischen Staatsbahnen nutzen die Helvetica als Hausschrift und Corporate Font.
Geschuldet war der inflationäre Einsatz nicht mangelnder Kreativität, sondern den technischen Einschränkungen jener Jahre. In Zeiten des Bleisatzes konnte man sicher sein, dass die Helvetica in jeder Druckerei zur Verfügung stand. Kein Unternehmen konnte es sich damals leisten, eine eigens entworfene Schrift kiloschwer in den Druckereien zu lagern; erst mit der fortschreitenden Digitalisierung änderte sich dies. Die Helvetica hatte indes längst die typografische Welt erobert und kommt auch heute noch international auf Reklametafeln, Magazinen und Zeitungen zum Einsatz, was Designer Einfallslosigkeit wittern und »Hellvetica!« fluchen lässt. Mit der Digitalisierung kamen auch die Duplikate, so machte Microsoft für seine Betriebssysteme durch minimale Änderungen die Helvetica zur Arial, und das Grafikprogramm Corel Draw bietet die sehr ähnliche Swiss oder Switzerland.
Trotz und gerade wegen des zunehmend unübersichtlichen Schriftangebotes hat die solide-unauffällige Helvetica bis heute ihre Bewunderer. Das MoMA New York widmete ihr zum 50. Geburtstag eine Ausstellung und der Regisseur Gary Hustwit drehte den Dokumentarfilm »Helvetica«. Eine Liebeserklärung an eine Schriftart, wie auch die beiden Helvetica-Bücher des Gestalters und Verlegers Lars Müller, der im Angesicht der schönen Schweizerin ganz poetisch wird: »Die Helvetica ist das Parfüm der Stadt«.
www.fontshop.de + www.linotype.com + www.lars-mueller-publishers.com + www.helveticafilm.com