TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Von wegen rund: »Der Ball ist ein abgestumpftes Ikosaeder, und ein Spiel dauert 90 Minuten«. So müsste das legendäre Zitat Sepp Herbergers physikalisch richtig heißen. Wabenförmige Elemente in schwarzweiß – diese Art von Fußball hat sich ins kulturelle Gedächtnis gebrannt. Dahinter steckt ein mathematisches Konstrukt, bestehend aus 12 schwarzen Fünfecken und 20 weißen, etwas größeren Sechsecken. In die dreidimensionale Form gefaltet, bildet es jenes Ikosaeder, das im Ausgangszustand nicht rund ist. Dazu braucht es die mit Luft gefüllte Kautschukblase im Inneren.
Das Design eines Fußballs kann eigentlich einfacher nicht sein. Eine scheinbar unveränderliche, perfekte Form. Anders als rund geht nicht. Doch die Fußball-Historie zeigt: Es ist ein Kampf mit Form und Material. So richtig rund lief es lange Zeit nicht.
Schon in den mittelamerikanischen Hochkulturen gab es mit dem »Ulama« einen Vorläufer unseres heutigen Fußballspiels – das aber eher kultische Züge trug, um diversen Gottheiten zu huldigen; gespielt wurde mit einem massiven Kautschukball. In Japan spielte man innerhalb des Tempelbezirks »Kemari« – mit einem Ding aus Ziegenleder, das über einen Bambusrahmen gespannt wurde. Vollständig mit Luft gefüllt wurde dieser »Ball« nicht, dafür aber in der Mitte zusammengeschnürt. Mit den heutigen Bällen hatte das Ding wenig gemein – immerhin ließ es sich von Spieler zu Spieler durch die Luft befördern.
Lange dauerte die Annäherung an den spielbaren Ball. Die aufgeblasene und verknotete Schweineblase bekam zwar im Laufe der Jahre eine Lederhülle. Doch das half nicht viel weiter, da sich diese nach der Blasen-Form ausrichten musste. Das Ergebnis waren ovale, eiförmige Gebilde, die eher einem Rugby glichen und, ähnlich diesem, seitlich verschnürt wurden. Die Erfindung der Kautschukblase machte das Spielgerät tatsächlich annähernd rund; durch die Lederhülle blieb der Ball aber wetteranfällig und saugte sich mit Regenwasser voll. Trotzdem konnte man damit 1954 bei schaurigstem »Fritz-Walter-Wetter« Weltmeister werden; der damalige, braune WM-Ball war aus 18 länglichen, abgerundeten Lederstreifen zusammengenäht. Ähnlich wulstig sah der Ball des »FC Carl Zeiss Jena« aus dem Jahr 1968 aus – statt Braun waren dessen Segmente in abenteuerlichem Pink und Gelb eingefärbt, versehen mit dem Aufdruck »Unserem hochverehrten Genossen Walter Ulbricht«, der in diesem Jahr seinen fünfundsiebzigsten Geburtstag feierte.
Erst 1970, zur Fußball-WM in Mexiko, brachte Adidas einen Ball auf den Platz, dessen Design zur Ikone wurde und noch heute gültig ist, auch wenn es längst Folgemodelle gibt. Der »Telstar« war aus den typischen wabenförmigen Elementen genäht; der weiße Ball wurde bewusst mit den schwarzen Fünfecken (Pentagonen) gestaltet, damit er für die Fernsehzuschauer, nicht nur auf Schwarzweiß-Geräten, besser erkennbar war. 1986, wiederum in Mexiko, wurde mit dem Modell »Azteca« erstmals ein komplett synthetischer Ball benutzt. Statt aus Leder bestehen die Bälle nun aus mehreren Lagen komplexer Kunststoffe, die nicht nur leichter und strapazierfähiger sind, sondern sich auch bedrucken lassen. Die Pentagone gaben den Bällen über Jahrzehnte ihre Form, traten aber optisch schnell in den Hintergrund – die Bälle wurden zunehmend mit einer Art großzügigem Gitternetz bedruckt, das sich aus Kreisformen ableitete. Auch auf dem aktuellen EM-Ball »Tango 12« ist solch ein Muster zu finden – die Pentagone sind aber vollständig verschwunden. Der »Tango 12« ist ein hochentwickeltes Hightech-Geschoss, konstruiert aus »thermisch verklebten Dreieckselementen«. Das macht ihn zwar auch nicht runder, aber angeblich soll er dadurch besser fliegen können.
Fußball-EM »UEFA Euro 2012« in Polen und der Ukraine vom 8. Juni bis 1. Juli. www.uefa.com + www.adidas.de