TEXT STEFANIE STADEL
Neulich im Düsseldorfer Ständehaus. Die junge Frau kippt ihren Kopf in den Nacken und schaut wie gebannt aufs Smartphone-Display. Derweil ihre Freundin durch Tomás Saracenos riesiges, unter der Glaskuppel verspanntes Stahlnetz wankt, wippt und dabei von Zeit zu Zeit winkt. Jeder ihrer schwindelerregenden Schritte »in orbit« wird fotografisch festgehalten. Und anschließend wahrscheinlich auf Instagram, Facebook oder Twitter von etlichen Freunden bewundert. Glück gehabt. Diesmal sind der digitalen Verbreitung keine Grenzen gesetzt. Im Gegenteil. »Teilt eure in-orbit-Erfahrung mit uns!«, heißt es auf der Internetseite der Kunstsammlung NRW.
Denn Saraceno legt es drauf an, dass sich sein Kunstwerk auch im Netz ausbreitet. Ein Sonderfall. Stößt der Museumsbesucher doch für gewöhnlich allenthalben auf Fotografier-Verbote. Mal gelten sie generell im ganzen Haus, anderswo allein für die Wechselausstellungen, in manchen Museen hängen die Verbots-Schildchen auch nur neben einzelnen Objekten oder Bildern.
Warum das alles? Eigentlich wäre zumindest gegen private Erinnerungsfotos wenig einzuwenden, aber wer weiß heute noch, welche Wege der Handy-Schnappschuss nimmt? Mit den Verbreitungsmöglichkeiten wachsen auch Vorbehalte: Mitunter sind es Leihgeber, die ihre Schätze zu schützen suchen. Manchmal sind es Museen, die nicht die Kontrolle verlieren wollen. Meistens aber ist das Urheberrecht Schuld an den Verboten. Erst 70 Jahre nach dem Tod eines Künstlers werden dessen Werke gemeinfrei. Vorher können er oder seine Erben entscheiden und an der Verbreitung verdienen. Das heißt: Vor einer Veröffentlichung ist der Rechteinhaber ausfindig zu machen. Oft hat er die Rechte auch übertragen an eine Verwertungsgesellschaft wie die VG-Bildkunst, die dann Lizenzabgaben erhebt.
Diese Regelungen gehen nicht nur den Handy-Knipser und seine Facebook-Freunde an. Sie beschränken auch ganz erheblich die Möglichkeiten der Museen. Immer lauter wird deshalb Kritik aus diesem Lager. Wiederholt und besonders leidenschaftlich hat Roland Nachtigäller, Direktor des Herforder Museums Marta, Stellung bezogen in der Debatte. »Gebt endlich die Bilder frei«, forderte er etwa im hauseigenen Blog.
Als Museumschef weiß er, was die bestehenden Regelungen in der Praxis bedeuten. Etwa für den Relaunch der Marta-Website: Weil Nachtigäller Raumansichten vergangener Ausstellungen auf die Seite stellte, wurde er unverzüglich ermahnt. Die VG-Bild-Kunst hatte in den fotografierten Räumen Werke der von ihr vertretenen Künstler ausgemacht und forderte nun Abgaben. Mittlerweile würden für die Onlinenutzung Mietmodelle etabliert, die auf lange Sicht geradezu abenteuerliche Summen für eine einzelne Abbildung auftürmten, so Nachtigäller. Er fügt hinzu: »Abgesehen von dieser finanziellen Belastung wäre es uns nur über viele Monate hinweg möglich, jedes noch so klein erkennbare Kunstwerk in den alten Raumaufnahmen zu identifizieren und seine rechtliche Situation zu klären, um schließlich zu entscheiden, welche Aufnahme wir mit welchen Kostenfolgen zeigen können.«
Ein Blick auf die Internetseiten großer Museen im Lande lässt das Problem noch klarer hervortreten. So sind beispielsweise in der »Sammlung Online« der Kunstsammlung NRW nur rund 200 besonders populäre Werke aufgeführt, noch nicht einmal zehn Prozent des Gesamtbestandes. Die Datenbank der Kölner Kunst-Institute ist zwar zahlenmäßig besser bestückt, behilft sich aber bei etlichen Werken mit leeren grauen Rahmen und dem Hinweis »Bild noch nicht verfügbar«. Das ist schade – auch für die Wissenschaft, der mit kompletten Online-Katalogen sehr geholfen wäre.
Es könne nicht angehen, dass alle an der gut gepflegten Internet-Datenbank oder der frisch aufpolierten Museums-Website verdienen, nur nicht die Künstler, deren Bilder dort zu sehen sind. Das gern geäußerte Argument der VG-Bildkunst ist nicht von der Hand zu weisen. Doch gilt es, unkompliziertere Wege zu finden. Alle warten darauf, dass sich juristisch etwas ändert. Dass nicht länger jeder Einzelfall zu klären ist. Dass die Bilder-Mieten bezahlbar bleiben. Und dass Licht in die durch Social Media entstandenen rechtlichen Grauzonen kommt.
»Prinzipiell müsste man jedes Bild klären, das man auf Facebook oder Twitter stellt«, so Alissa Krusch, in der Kunstsammlung NRW zuständig für das Online-Angebot. Das sei einfach nicht mehr zeitgemäß. Damit trifft sie den Nagel auf den Kopf. Auch mit Blick aufs alternde Museums-Publikum. Will man die Jungen erreichen, muss man sie vor den Bildschirmen abholen. Und will man sie im Museum halten, gelingt das sicher nicht, wenn ihnen das Fotografieren und Teilen verboten wird.
Und im übrigen: Welchem armen, unbekannten Künstler ist schon damit geholfen, wenn seine Werke den Weg ins World Wide Web nicht finden oder dort gleich wieder von der Bildfläche verschwinden müssen? Tomás Saraceno jedenfalls macht ihnen mit seinem Stahlnetz vor, wie sich der digitale Raum als wirksame und kostenfreie Werbefläche nutzen lässt.