Rosemarie Trockel schweigt. Jedenfalls redet sie nicht mit Journalisten. Selbst eine eingehende Archivrecherche fördert nicht mehr als eine Handvoll überlieferte Zitate hervor, an denen sich bestenfalls bestätigt, was über die Künstlerin Trockel eh schon an Beobachtungen aus zweiter Hand kursiert. Dass sie einen ziemlich feinen Humor hat. Dass ihre weitgehende Weigerung, sich öffentlich zu äußern über ihr Werk und ihre Person, womöglich weniger mit Scheu zu tun hat als mit einer künstlerischen Strategie.
Dass diese, unter Künstlern ihrer Bedeutung durchaus häufiger vorkommende Zurückhaltung aber anders als bei vergleichbaren Fällen wie Sigmar Polke oder Gerhard Richter eine dezidiert spielerische Note besitzt. Weder scheint sie der Selbstmythologisierung zu dienen; noch allein aus Furcht vor interpretatorischer Festlegung gegenüber dem eigenen Schaffen und dessen damit fast zwangsläufiger Banalisierung zu geschehen; noch aus einer Ernüchterung heraus, dass was immer ein Künstler über sein Werk auch äußert, kaum beeinflusst, wie es allgemein betrachtet wird. Stattdessen scheint viel eher plausibel, was die Kritikerin Isabelle Graw, Herausgeberin der »Texte zur Kunst«, in einem Interview zu ihrem Frauenin-der-Kunstwelt-Buch »Die bessere Hälfte« über Trockel sagte. Deren Arbeiten, so Graw, seien auch deshalb so interessant, weil sie »der Rezeption entgegensteuern oder sie verkomplizieren«, ja suggerierten, sie machten sich »über eine bestimmte Rezeption lustig«.
Bedeutender Teil von Trockels vielschichtigen und mit allen nur erdenklichen Materialien und künstlerischen Sujets operierenden Werks ist also bereits, dass es seine Wirkung und die damit einhergehenden Betrachtererwartungen selbst thematisiert: Wir sehen Kunst, die sich gleichsam schon mit unseren Augen selbst betrachtet hat. Da würde der Kommentar der Künstlerin nur stören.
Was die Sache nicht unbedingt leichter macht, im Gegenteil, und das ist offensichtlich so gewollt. Und führt ganz nebenbei zu mancher Skurrilität. So beschäftigt sich ein Großteil des über Trockel Geschriebenen und Gesagten eben nicht nur mit der Rätselhaftigkeit ihrer Kunst, sondern mit der schieren Unmöglichkeit, sie einordnen, ablegen, kategorisieren, mehr als nur assoziativ betrachten zu können – so wie es dieser Text hier übrigens bislang auch getan hat. Andererseits schafft Trockels Schweigen zum Beispiel auch das Paradox, dass die in Köln lebende und arbeitende Künstlerin eine bedeutende Rolle in der dortigen kulturpolitischen Debatte spielt, ohne sich jedoch größer öffentlich zu äußern oder aufzutreten: als prominente Gegnerin des (trotzdem vollzogenen) Abrisses des Joseph-Haubrich-Forums und Mitbegründerin des dagegen opponierenden »Loch«-Vereins, der später die »European Kunsthalle« ins Leben rief, einer Art Ausstellungsgedankenbau der Zukunft.
Auch wenn Trockel ihr Intervenieren dem Vernehmen nach als bürgerschaftliches Engagement fern ihrer künstlerischen Tätigkeit verstanden und also beides nicht vermengt sehen will, führte dies im vergangenen Jahr zu der absurden Situation, dass ausgerechnet Kölns Oberbürgermeister Fritz Schramma, ihr erklärter Gegner in der »Loch«-Frage, die Künstlerin Trockel mit einer Festrede zu ehren hatte bei der Verleihung des Wolfgang-Jahn-Preises der Gesellschaft für Moderne Kunst am Museum Ludwig.
Eben dieses Haus richtet nun die einstweilen umfangreichste Retrospektive von Trockels Schaffen aus, nachdem es vor drei Jahren bereits eine große Werkschau in der Münchner Sammlung Goetz gegeben hat. Anders als bei der damaligen Ausstellung, die trotz ihrer ebenfalls schon breitgefächerten Präsentation verschiedenster Schaffensperioden und -sujets einen leichten Schwerpunkt auf Videos legte, zeigt Köln verstärkt diejenigen Arbeiten, die trotz aller stofflichen und thematischen Diversifizierung in Trockels Werk bis heute ihre bekanntesten geblieben sind: ihre Wollarbeiten, darunter vor allem die auf Keilrahmen gezogenen, zumeist maschinell hergestellten Strickbilder. Mit diesen wurde die nunmehr 52-Jährige in den achtziger Jahren gleichsam über Nacht berühmt. Und bis heute bildet deren damalige Interpretation das thematische Reservoir, aus denen sich Trockels Rezeption speist.
Schon in den Strickbildern nämlich schien ein Großteil dessen vorhanden, was Trockel später in fast allen anderen verfügbaren künstlerischen Medien, in Zeichnungen, Objekten, Videos, Skulpturen, Installationen immer weiter ausdifferenzierte – aber eben nicht so schematisch, dass sich daraus eine Übersichtlichkeit oder eine ohne weiteres erkennbare innere Stringenz ihres Oeuvres entwickelt hätte. Stattdessen franste ihr Werk eher in kaum überschaubar viele Stränge aus, häufig in Form von Serien, zwischen denen sich jedoch selten unmittelbar nachvollziehbare Verbindungen ergeben.
In den Strickbildern schien Trockel immerhin die meisten Grundelemente ihres späteren Schaffens angedeutet zu haben: Einerseits verwies die Art der maschinellen Herstellung auf das insbesondere von Warhol benutzte Siebdruckverfahren, und weil Trockel in diesen Bildern auch immer wieder Logos als Muster einstricken ließ (den Playboy-Hasen, das Wollsiegel, Totenköpfe), lag zumindest der Verweis auf die Pop-Art auf der Hand. Andererseits war da das Material, dessen Verarbeitungsweise und seine Arrangierung als Bild und Gemäldeersatz. Es musste also um einen Genrekommentar ebenso gehen wie um Zuschreibungen von Weiblichkeit, die hier diskutiert wurden. Wobei nicht klar war, ob dies nun eher eine feministische Kritik an herkömmlichen Zuordnungen war.
Oder eine direkte subversive Reaktion auf die Männlichkeitsklischees in der damals gerade besonders verschwitzten Malerei der späteren Malerfürsten Lüpertz, Immendorff und Baselitz. Oder blanke Ironie. Oder am Ende vielleicht doch bloß: Strickliesltum? Besseres Kunsthandwerk? Was dann aber wiederum auch so verstanden werden konnte, dass Trockel damit die klassische Geschlechterrollenverteilung persiflierte?, kritisierte?, jedenfalls thematisierte? Denn da ist ja der Mann stets, zudem als nur männlich besetzte Genie- Figur, für die Kunst zuständig, während der Frau das Handwerkliche, bestenfalls die kunsthandwerkliche Heimarbeit bleibt: Stricken, Nähen, Sticken, Häkeln – und vielleicht noch Tiffanylampen-Basteln. Waren dann also, wie später in den neunziger Jahren mit dem Heraufziehen feministischer Gender- Theorien spekuliert werden durfte, Trockels Strickbilder vielleicht sogar deren visuelle Abbildung – wurde hier also frei nach Judith Butler das Geschlecht als soziales Konstrukt entlarvt? Immerhin weiß man, allerdings auch wieder nur gerüchteweise, dass sich Trockel tatsächlich für Gender-Studies interessiert.
Heute ist Trockel neben Cindy Sherman die einzige Frau, die seit Jahren verlässlich in den Top Ten etwa des Capital-Kunstkompass auftaucht, und zwar meist als erster weiblicher Kunststar, deren Werke als Anlageobjekte empfohlen werden, gleich hinter Richter, Polke und Naumann. Auch diese Beinahe-Alleinstellung fördert wohl weiter das Klischee vom weiblichen Blick, der sich in Trockels Arbeiten manifestiere, was häufig gerade nicht als Qualitätsmerkmal, sondern eher abwertend, jedenfalls als Eingrenzung gemeint ist. Nach dem Motto: Das ist Frauenkunst. Ungefähr zu verstehen wie: Das ist Frauenliteratur, also bestenfalls zur geschlechtsspezifischen Erbauung geeignet, schlimmstenfalls zur Befriedigung trivialer Herzschmerzbedürfnisse.
Und tatsächlich scheint Trockel mit einer zweiten Serie, die annähernd so berühmt ist wie die Strickbilder, diese Einengung auf ein weibliches Themenspektrum zu bestätigen: ihre Emaillebilder, in die Herdplatten eingelassen sind. Damit zitiert sie ähnlich wie bei ihren Strickbildern qua Material und Verarbeitung diesmal nicht die Pop-Art, sondern die Minimal Art, statt mit Wolle und Strick mit dem ebenfalls weiblich konnotierten Emblem der Kochplatte. Wobei Trockel dadurch, dass sie diese als Motiv auch in anderen Arbeiten benutzt, gleichzeitig eine nur auf den Zitataspekt beschränkte Lesart durchkreuzt. Sie macht viel eher diese Materialien und Embleme zu inflationären Logos ihres Werks, bis diese gleichsam arbiträr werden, sodass Form und Bedeutung keine natürliche oder ikonische Beziehung mehr einzugehen scheinen: Am Ende ist die Kochplatte einfach nur noch ein Zeichen unter vielen anderen, eine semantische Leerstelle, die der Betrachter assoziativ füllen kann.
Zugleich beginnen Materialien und Formen in Trockels Werk scheinbar irgendwann ein Eigenleben zu beginnen, eine spezifische Faszination zu entfalten. Dies kann man in Köln mindestens an einer von zwei extra für die Ausstellung gefertigten neuen Arbeiten sehen, einem gigantischen, knapp zehn mal fünf Meter messenden Vorhang aus Wollfäden, der vor einer der Fensterfronten des Museums hängen wird. Wie genau der aussehen wird, lässt sich nicht nur deswegen hier nicht letztgültig sagen, weil er bei Niederschrift dieses Textes noch nicht beendet war – er wird, so Trockels Wunsch gegenüber dem Museum Ludwig, wie die ganze Schau noch bis zum Tag der Eröffnung veränderbar bleiben. Doch schon in dem Moment, da dieser Artikel geschrieben wird, hatte der Vorhang seine Gestalt mehrmals verändert.
Zunächst hatte Trockel die Wolle naturbelassen haben wollen, ihn dann elfenbeinfarben einfärben, danach schließlich blutrote Farbe darauf verteilen und ihn an einigen Stellen ausdünnen lassen, sodass Löcher und Nischen entstanden. Welche Überlegungen Trockel zu diesen jeweiligen Änderungen bewegte, lässt sich wieder nicht sagen.
Denn Rosemarie Trockel schweigt ja weiter. Ihr Schweigen aber sollte man nicht als Geheimnistuerei oder gar kapriziöse Verweigerung missdeuten. Es ist auch nicht einfach Teil ihres Werks, es bedingt es letztlich: Durch die verbleibende Rätselhaftigkeit wird aus dem großen Werk dieser großen Unerklärlichen ein noch faszinierenderes. Wir dürfen weiter spekulieren. //
Bis 12. Februar 2006. Tel.: 0221/221-26165, www.museenkoeln.de/museum-ludwig