TEXT: ANDREAS WILINK
Blenden wir gut 80 Jahre zurück. Hollywoods berühmtester Stylist, Adrian, der die MGM-Sirenen, darunter Greta Garbo und Joan Crawford einkleidete, entwarf etwa für Kay Johnson in »Madame Satan« eine hautenge Kreation oder den Hosenanzug aus Goldlamé für »Mata Hari« Garbo. Azzedine Alaïa, der sich vom Film der 30er und 40er Jahre, speziell dem Film noir und dem italienischen Kino inspiriert fühlt, bewundert den genialen Kostümbildner. Er selbst hat noch die alte Greta Garbo und Claudette Colbert angezogen, schwärmt von Brando, Anna Magnani und Marilyn Monroe, deren erotisch offensiven Look man in seinen Kleidern finden kann, und nennt als Idealbild der Pariserin Arletty, die berühmte Garance aus »Les Enfants du Paradis« von Marcel Carné.
Um die siebzig ist er, geboren in Tunesien. Genaueres weiß man nicht. Seit den 80er Jahren kreiert Alaïa in Paris, in seinem Atelier im Marais, Rue de Moussy, eine Mode, die als zweite Haut den Körper umschließt und scherenscharf skulpturale Silhouetten nachzeichnet. Seine »Models« Grace Jones, Tina Turner, Diana Ross und Jessye Norman, deren irrwitziges Trikolore-Staatskleid, in dem sie 1989 zum Jubiläum der Französischen Revolution auftrat, von ihm stammt, sowie als erster farbiger Laufsteg-Teenager Naomi Campbell haben ihn auch in der Öffentlichkeit populär gemacht.
Der »King of Cling« (Klebefolie), der ursprünglich Bildhauer werden wollte, wirkt auf seine Kollegenschaft maßgeblich ein. Die New York Times attestierte ihm vor einigen Jahren den allergrößten Einfluss auf die Mode-Ästhetik. Seine kurvige, Proportionen (vor allem Po und Hüfte) zur Geltung bringende Couture zeigt den Kenner der Anatomie und Architektur des weiblichen Körpers. Darin Balenciaga, Schiaparelli und Dior verwandt. Wesentliche Attribute und Materialien sind Stretch (Body und Leggins sind durch ihn en vogue), Korsagen, Rücken-Dekolletés und transparente Stoffbahnen, Leder, Fell und Gummi, Schnürbänder, Bandagen, Schlitze, offen gelegte Nähte und Reißverschlüsse. Stilelemente, die allenthalben zitiert bzw., um es weniger freundlich zu sagen, kopiert werden.
ER HÄLT AUF ABSTAND
Alaïa schaffte es, »to create a need«, wie es in der Branche heißt. Das Marktgesetz ist einfach: Nachfrage herstellen durch geringes Angebot. Alaïa ist rar. War es schon, bevor es richtig losging – 1980 mit seiner ersten Präsentation in New York. Als Rumor, als Gerücht ging er um unter den weiblichen Mandarinen und Grandes Dames von Paris. Der nur ein Meter fünfundfünfzig große, meistens in schwarzer chinesischer Seide gewandete »Nachtmensch« Alaïa ist zurückhaltend und findet den Mode-Rummel »frivol«; seine Kundschaft ist handverlesen. Sein Unternehmen, sieben Jahre lang mit Prada verbunden, hat sich seit längerem verpartnert mit dem Schweizer Luxus-Konzern Richemont, zu dem etwa Montblanc und Cartier gehören. Das soll die Zukunft sichern.
Autonomie bedeutet ihm mehr als Egomanie. Er hält auf Abstand. Am nächsten kommen Alaïa vielleicht die Belgier wie Dries van Noten oder Ann De Meulemeester. Kein Medien-Magier und Society-Jetter wie Lagerfeld, nicht neurotisch-kapriziös und scheu wie es YSL (Yves Saint Laurent) gewesen ist, aber auch ohne den meditativen Philosophie-Purismus der Japaner Yamamoto oder Miyake. Er veranstaltet keine öffentliche Show, entwirft nicht mehr als zwei Kollektionen pro Jahr, die in halbprivaten Défilées ablaufen. Keine Nebenlinien, keine Franchise-Produkte, kaum Verwerten des Labels für Accessoires (außer Schuhen und Taschen) und nicht das große Geschäft mit der Kosmetik, wie man es von den meisten Modedesignern kennt, von Chanel bis Cardin, von Armani bis Versace. Wer Alaïa auf der Haut spüren will, muss seine Kleidung kaufen, Parfüm gibt es nicht.
Die Ausstellung im NRW Forum stammt aus dem Groninger Museum von 2011/21012 (Kurator Mark Wilson), das Alaïa bereits in den Neunzigern gewürdigt hatte, und führt den Designer ins 21. Jahrhundert. Konzeptuell basiert sie auch auf einer Präsentation der Brant Foundation / Guggenheim Soho im Jahr 2000, wo die Mode mit Arbeiten von Künstlern wie Basquiat und Julian Schnabel, Andy Warhols seriellen Mao-Porträts oder ägyptischen Antiken in Dialog gesetzt wurde. Dort waren die Kleiderpuppen thematisch arrangiert (Afrika im Leoparden-Look) und farblich dramatisch inszeniert. Grandios etwa die Kombination von Picassos »Femme à la Sebille« in Braun-Beige mit einem Kroko-Mantel in ähnlicher Tönung oder einem Brautkleid vor Andy Warhols »Last Supper« nach Leonardo.
HERRISCHES LEDER
Auf diese sublimen Korrespondenzen muss man in Düsseldorf verzichten. Aber das, was man aus zehn Jahren sieht, ist noch genug und frappiert immer wieder durch die Verbindung des eigentlich nicht Kombinierbaren: hinreißende Pailletten-übersäte, samtene Roben; Mäntel in wuschelig-wolliger Fell-Fülle für anspruchsvolle Höhlenweibchen; Panzerungen für Amazonen; feinst gefältelte und bestickte weiße Baumwolle; herrisches Leder, das einem Sado-Maso-Ritual gut anstünde; in spitzem Dreieck zulaufende Röcke wie für Oskar Schlemmers Triadisches Ballett; fantastische Ensembles mit schräg geschnittenen Lineaturen, die hinreißende Konturen erschaffen; das kleine Schwarze in Wolle, das seine Avantgarde-Klassizität durch Jahrzehnte behaupten kann; farbsprühende Ensembles in luftig verträumtem Chiffon und exquisite, leuchtende Strick-Abendkleider.
Alaïa kam 1957 nach Frankreich. Mit 17 musste er nach nur fünf Tagen das Modehaus Dior verlassen – zur Zeit die Algerienkriegs schien ein Nordafrikaner eine Zumutung. Danach lernte er bei Guy Laroche; dann verdingte er sich als Haushälter bei der Comtesse Louise de Vilmorin, kochte, kümmerte sich um die Kinder und nähte. Heute kann er es sich leisten zu sagen, dass er nicht seine Kundschaft, sondern nur seine Haustiere »behandele wie Prinzen und Prinzessinnen«.
»Azzedine Alaïa in the 21st Century«; NRW-Forum Kultur und Wirtschaft, Ehrenhof 2, Düsseldorf; 8. Juni bis 8. September 2013; www.nrw-forum.de