TEXT: STEFANIE STADEL
Treffen um zehn? Nein, eine ganz schlechte Zeit. Alexander Basile fühlt sich so früh einfach noch nicht fit. Eine Stunde später erscheint der bekennende Nachtmensch dann aber doch ziemlich aufgeweckt im schicken Bürohaus-Foyer. An seiner Seite die Assistentin und eine jungen Dame von der Unternehmens-Kommunikation, die während der folgenden Stunden nicht viel zu sagen haben werden, denn Basile kann sehr gut selbst reden. Über seine Kunst, über das Kuratieren. Über seine Vergangenheit als Skater und auch über den aktuellen Auftritt in der Parterre eines Kölner Versicherers. Man hört dem eloquenten Aufsteiger überhaupt nicht an, dass er wahrscheinlich auch heute wieder bis in die Puppen vor Bildschirm und Beamer gesessen hat. Was macht er da die ganze Zeit? »YouTube schauen.« Weil man dabei die spannendsten Künstler finde, erwidert Basile forsch auf den fragenden Blick. »Es ist einfach das beste Museum unserer Zeit.« Das ist ein Wort.
Was er damit meint, leuchtet im Laufe der Unterhaltung und mit Blick auf Basiles Arbeiten immer mehr ein. Schon vor dem ersten Bild: Das Foto eines Bücherschranks, in dem die Bände dicht an dicht gereiht stehen. Aus Platzmangel liegt ab und zu eins oben auf oder klemmt mit dem Cover nach vorn hinter der Glasscheibe. So sah und fotografierte Basile das Möbel 2011 in seinem alten Atelier. Fast scheint es mit Plan arrangiert, doch habe sich das Ensemble rein zufällig ergeben. Eine Skulptur, die unvermittelt auftauchte. Ein Werk also, das keine »Kunst« sein wollte – wie die Filme bei YouTube.
DAS BEILÄUFIGE, LEICHTE, GEFUNDENE
Seit dem Erlebnis mit dem Bücherschrank erscheinen Basile allenthalben Skulpturen, die er filmisch oder fotografisch festhält und durchnummeriert. Bei 20 »Emerging Sculptures« ist er inzwischen angelangt und wird sie demnächst allesamt in einem Künstlerbuch veröffentlichen. Die Kölner Ausstellung gibt noch mehr Beispiele. Die En-Face-Aufnahme eines dicken schwarzen Mercedes bei Nacht etwa. Durch die Windschutzscheibe schaut man auf ein Kreuz, das am Rückspiegel hängt. Weiter unten auf den Markenstern, um den sich die beiden langen Henkel einer schwarzen Tasche legen, die stolz ein goldenes Versace-Label vorzeigt. Auch dies ein Zufallsfund, mitten in Istanbul.
Das Beiläufige, Leichte, Gefundene, das Imperfekte, das Offene – es sind Begriffe, die immer wieder anklingen in Basiles Erklärungen. Und die überall durchscheinen in seinen Werken, die sich der Popkultur näher fühlen als der Kunstgeschichte und dem Gestus des großen, einmaligen, vollendeten, hehren Kunstwerks mit Genuss zuwiderlaufen. Oft waren es Fotografien. Unzufrieden ob der großen Sicherheit und Vertrautheit mit dem Medium, sucht Basile aber in jüngerer Zeit immer öfter nach neuen Formaten: Videos etwa, die mit hoher Perfektion und Profi-Equipment gedreht werden, dabei aber ihre Unbeschwertheit nicht verlieren. So auch das Beispiel in der Kölner Ausstellung. Da sieht man eine ungeübte Wasserskiläuferin winkend an der Promenade von Thessaloniki vorübergleiten.
ER HAT SEINE EIGENE OFF-GALERIE
Zu Foto und Film kommen Performances, Installationen – und allerhand mehr. Zunächst scheint es schwierig, dieses Schaffen unter einen Hut zu bringen: Mal setzt sich Basile in eine Galerie, um über eine fingierte Fahrradtour von Köln nach Basel zu referieren. Mal dreht er schräge Werbefilme für ein junges Modelabel, ohne Angst um den guten Künstlerruf. Er betreibt die eigene Off-Galerie und zeigt in einer selbst kuratierten Ausstellung, was er unter neuer Fotografie versteht. Das klingt chaotisch, fügt sich im Ganzen betrachtet aber gut ineinander.
Auch der Auftritt jetzt im Bürohaus, an den der Künstler offenbar in gewohnter Unbefangenheit herangegangen ist. Als Bühne dient ein Saal, durch den die Angestellten von den Büros in die Cafeteria gelangen. Auch an diesem Tag sieht man sie mit Hemd und Schlips hindurcheilen. Allerdings ist ihnen nur eine schmale Passage geblieben. Denn Basile hat einen großen Kubus in die repräsentative Halle gesetzt und den Kern des Ausstellungsgeschehens kurzerhand aufs Trottoir verlegt.
Also raus in Kälte und Lärm. Da steht man nun fröstelnd vor dem Schaufenster und sieht sich drinnen einer Batterie strahlender Filmscheinwerfer gegenüber, die besonders in der Dunkelheit, so wird erzählt, weit über das Bürohaus hinaus wirken. Vielleicht bieten sie ja Anlass für neue, fremde Bilder. Er selbst habe schon einige Fotos gemacht und hoffe, dass auch andere die Gelegenheit nutzen. »Oft geht es mir darum, Rahmenbedingungen für Kunst zu schaffen«, so Basile. Was Christo und Jeanne-Claude in Berlin praktiziert haben, erscheint ihm absurd: »Zuerst den Reichstag verhüllen, und dann das Fotografieren verbieten.«
Sein Übergriff auf den öffentlichen Raum bietet einen willkommenen Anlass, den Künstler auf seine oft erwähnte Vergangenheit als Skater anzusprechen. An diesem Punkt schaltet sich nun doch einmal die Assistentin ein mit der Mahnung, diesen Aspekt in der Vita nicht überzubewerten. Basile überhört das und pocht umso lauter auf die Bedeutung dieser Phase. Über zehn Jahre habe sich ein wesentlicher Teil seines Lebens zwischen Walther Königs Kunst-Buchhandlung und den Skatern auf dem Kölner Roncalliplatz abgespielt. Etliche Erfahrungen von damals seien entscheidend für ihn gewesen.
Basile spricht von der ganz eigenen Form der Wahrnehmung eines Raumes, einer Stadt, über die Bodenbeschaffenheit und ihre zentrale Bedeutung für den Skater. »Das ist eine eigene sensitive Form des Wissens.« Auch das Engagement im »Dom Skateboarding e.V.« sei wichtig gewesen, die Auseinandersetzungen um das Skating-Verbot auf der Dom-platte und die Gestaltung einer alternativen Anlage am Rhein.
Heute steigt Basile nur noch an warmen Wochenenden aufs Rollbrett. Er hat von der Skater- in die Kunstwelt gewechselt. Von der Domplatte ins eigene Atelier mit integrierter Off-Galerie. Am Tag darauf um elf besucht man ihn dort und erkennt einiges wieder. Jenen vollgestopften Bücherschrank, der ihm zur »Emerging Sculpture« wurde. Daneben Regale, auch sie voller Fotobücher, die Basile bei Walther König lieben gelernt hatte. Natürlich auch Bildschirm und Beamer, mit denen er sich wohl auch die kommende Nacht um die Ohren schlagen wird.
Alexander Basile: »Emerging Sculptures«. Bis 3. Mai 2013. EG Null – Raum für junge Kunst der Generali Deutschland, Tunisstr. 19–23, Köln, Tel.: 0221 / 420301