EIN HINTERGRUND VON HONKE RAMBOW
Am 4. April 2017 übergab die Tanzkommission NRW dem am Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung NRW angesiedelten Kulturhochschulbeirat ihren Abschlussbericht. Seit Januar 2016 hatte das neunköpfige Gremium unter Vorsitz von Claudia Feest die Tanzausbildung an der Hochschule für Musik und Tanz (HfMT) Köln und der Folkwang Universität in Essen analysiert, die Tanzlandschaft unter die Lupe genommen, nach Zukunftsfähigkeit und Entwicklungsmöglichkeiten geforscht. Kurz nach Übergabe des Berichts stellte das Ministerium ihn auf seiner Seite für jedermann zum Download bereit. Geplant war das nicht, wie man von Hochschulseite und aus der Kommission hört. Sie hätte sich rückblickend gewünscht, »dass Zeit gewesen wäre, mit den Hochschulen erst mal in direkter Kommunikation zu stehen«, sagt Feest heute. Wohl auch, weil sich herausstellte, dass der Bericht sachliche Fehler und datenschutzrechtlich Bedenkliches enthält.
Das Papier verbreitete sich bei Kölner und Essener Tanz-Studenten wie ein Lauffeuer. Und sorgte bei den ohnehin von Zukunftsängsten geplagten Tänzerinnen und Tänzern für zusätzlich tiefe Verunsicherung. Wer täglich mit seinem Körper kämpft und fürchten muss, dass Rücken oder Knie vielleicht doch nicht dem vierjährigen kräftezehrenden Studium standhalten, zu schweigen vom Arbeitsleben danach, wer es durch harte Auswahlverfahren endlich an eine renommierte Hochschule geschafft hat, möchte nicht lesen, dass er am Arbeitsmarkt vorbei ausgebildet wird. Wie fühlt sich der Gang zu den Tanzsälen in Essen-Werden an, wenn einen dort aus Fotocollagen vielfach Pina Bausch oder eine ihrer ikonischen Inszenierungen anblickt? Wenn die Personifizierung der Folkwang-Tanztradition, die als Garant für die bestmögliche Ausbildung steht, jetzt als »hermetisch« und »Folkwang-Blase« bezeichnet wird? Diese Tradition, die enorme Identifikation der Studierenden mit der Hochschule schafft – nun ein Problem? Im Bericht heißt es in Bezug auf die Einschätzung der Folkwang-Ausbildung durch potenzielle Arbeitgeber: »Im Allgemeinen wurde angemerkt, dass es den Absolvent*innen an Umgang wie an Wissen hinsichtlich des zeitgenössischen Tanz-Feldes sowohl in NRW, bundesweit als auch international fehle.« Qualitätsmängel werden zudem beim tänzerischen Niveau wie bei elementaren Kenntnissen für die Projektarbeit in der freien Szene was Bewerbungen, Projektanträge und -inhalte angeht, ausgemacht.
Der Bericht gibt sich zunächst alle Mühe, die Bedeutung beider Institute – des Zentrum für Zeitgenössischen Tanz (ZZT) in Köln und des Institut für Zeitgenössischen Tanz (IZT) in Essen – für die hiesige Tanzlandschaft herauszustellen. Unmissverständlich wird betont, dass der Erhalt beider Ausbildungen das Ziel ist. Er widmet sich auch den Studiengängen Tanzwissenschaft und Tanzvermittlung; im Zentrum der Diskussion steht allerdings die praktische Tanzausbildung, bei dem es erheblichen Modernisierungsbedarf gebe. Dabei sind die kritischen Punkte bei den Instituten sehr unterschiedlich. In Köln wird die inhaltliche Ausrichtung als zeitgemäß und zukunftsfähig angesehen, da die Studierenden von Anfang an auf freie Projektarbeit und Gegebenheiten der freien Szene vorbereitet werden, die finanzielle, räumliche und personelle Ausstattung des Fachbereichs wird allerdings als prekär und kaum funktionsfähig beschrieben. Abhilfe sei nur durch erhebliche zusätzliche Mittel zu schaffen, dafür wäre zunächst die Politik zuständig. Andererseits sieht die Kommission aber auch mangelndes Interesse am Tanzbereich innerhalb der HfMT.
Ein Vorwurf, gegen den sich der Rektor, Professor Heinz Geuen, mit Nachdruck verwehrt. Bei der Kritik der Kommission an der Hochschulleitung handele es sich eher um Mutmaßungen. Ein generelles Problem der Argumentation, das auch an der Folkwang Universität von deren Rektor Professor Andreas Jacob so gesehen wird: »Die Kommission schien sich nicht ganz einig darüber gewesen zu sein, ob man eine Evaluation, ein Gutachten oder einen eher allgemeinen subjektiven Eindruck zu Papier gebracht hatte.« Zur Kritik an der HfMT verweist Geuen darauf, dass 2009 der Tanz in den Namen der Hochschule mitaufgenommen wurde, sowie auf Pläne für den Neubau eines eigenen Tanzzentrums. Zudem gebe es zwischen den Fachbereichen der Hochschule enge Zusammenarbeit, wie etwa regelmäßige gemeinsame Improvisationsseminare von Jazz-Musikern und Tänzern.
Die kritischen Punkte an der Folkwang Universität sind dagegen interner Natur. Die starke Tradition von Kurt Jooss bis Pina Bausch und die immer noch enge Verflechtung mit dem Wuppertaler Tanztheater, finanziell und personell, da zahlreiche Lehrende aus dem dortigen Ensemble stammen, habe dazu geführt, dass die Studierenden veraltete Technik erlernten, die am Markt nicht mehr gefragt sei. Echte Vorbereitung auf das reale Berufsleben wie an der HfMT finde überhaupt nicht statt.
Die Kritik an der ersten Version des Berichts war ausreichend, dass sich am 3. Mai die Rektoren beider Hochschulen und der Kunsthochschulbeitrat zur klärenden Sitzung trafen. Das zuständige Ministerium teilt mit, dabei seien »einige wenige sachliche Fehler benannt« worden, die kurzfristig ausgeräumt werden, und weiter: »Die Kommission hat keine Veranlassung, ihre Einschätzungen und Empfehlungen zu korrigieren.« Geuen wird konkreter: »Es gab Fehler, was Raumgrößen und Studienangebote anging.« Zudem finden sich im Anhang die Namen der Studierenden, mit denen die Kommission gesprochen hat.
Claudia Feest betont, dass die Namensnennung für sie ein Zeichen der Anerkennung für die Gesprächspartner gewesen sei. Zudem sei kein Zitat namentlich zuzuordnen, aber wenn es im Text heißt, »dass Studierende (der Folkwang-Universität) sich im Gespräch mit der Kommission über zu wenig Offenheit gegenüber ihren Bedürfnissen, aber auch gegenüber aktuellen Tendenzen im Tanz beklagen«, besteht die Gefahr, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Lehrenden und Studierenden nachhaltig beschädigt wird. Mindestens ist es unglücklich, selbst wenn Feest sich auf Gesetzeslinie sieht: »Das Hochschulgesetz sagt auch, die Freiheit des Studiums umfasse die Erarbeitung und Äußerung künstlerischer oder wissenschaftlicher Meinungen zu Inhalt, Gestalt und Durchführung von Lehrveranstaltungen.«
Nicht nur Professor Geuen führt für den merkwürdigen Umgang mit Daten und deren Bewertung an, dass im Rahmen der Evaluationen von der Tanzkommission ein Fragebogen an die zehn künstlerischen Leiter/innen der städtischen Tanzensembles in NRW ging und nur vier davon beantwortet zurückkamen, trotzdem aber daraus eindeutige Schlüsse gezogen werden. Professor Jacob formuliert es so: »Unter die handwerklichen Fehler würde ich es rechnen, wenn relativ kleine Anzahlen von Anfragen getätigt werden – z.B. an Tanzinstitutionen im Bundesland oder an die ausgewählten Interviewpartner – und diese dann verallgemeinert wurden. Das suggeriert (statistische) Validität, obwohl es sich um Einzelmeinungen handelt.«
Feest verweist ihrerseits darauf, andere Untersuchungen seien bei nur 15 Prozent Rückläufen schon zufrieden und die Kommission habe zudem auf Informationen aus Gesprächen zurückgegriffen. Auf Anfrage von k.west antworteten fünf Tanzensembles. Nur Tobias Ehinger vom Ballett Dortmund konnte sich an den Fragebogen der Tanzkommission erinnern. Das sei »kaum überraschend«, erklärt Florian König vom Ballett im Revier, Gelsenkirchen, »wenn man weiß, dass wir sehr oft solche Anfragen bekommen, für Diplom- oder Doktorarbeiten oder von Journalisten. Die Bundesdeutsche Ballett- und Tanzdirektorenkonferenz, die regelmäßig tagt, ist für solche Anfragen als erster Ansprechpartner besser geeignet und könnte einen besseren Rücklauf erzielen«.
Henning Paar (Tanztheater, Münster) stützt allerdings die These des Berichts, indem er sagt, dass weder die Absolventen aus Köln noch aus Essen derzeit konkurrenzfähig seien, weil klassisches Tanztheater nicht im Trend sei und ohne die Bandbreite auch in Ballett-Technik nichts ginge. Selbst die Absolventen der Palucca-Hochschule in Dresden, die klassisches Ballett lehrt, seien technisch breiter aufgestellt. Professor Brinkmann (Folkwang) indes stellt klar, dass für seine Studierenden die Aussichten gar nicht düster seien: »(Es) lassen sich viele bedeutende Namen von ArbeitgeberInnen für unsere AbsolventInnen nennen wie das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, Susanne Linke, Reinhild Hoffmann, Sasha Waltz, Meg Stuart, Johannes Wieland, Gregor Zöllig, Samir Akika, V.A. Wölfl, Ben J. Riepe oder ganz aktuell die Produktion des Düsseldorfer Schauspielhauses ‚Der Sandmann’ von Robert Wilson.«
Die Unruhe, die die Veröffentlichung des Berichts an beiden Instituten verursacht, sieht Feest zunächst positiv: »Manchmal trifft man auch in wunde Punkte, wenn dann die entsprechende Reaktion kommt, bestätigt das den kritischen Blick, der vom Kunsthochschulbeirat ja gefordert war.« Selbst wenn Professor Jacob über die überarbeitete Version des Papiers sagt, die Korrekturen seien nicht immer im Ton so gehalten, dass eine Revision der grundsätzlichen Argumentationslinie erkennbar würde, gesteht er zu, dass es »eine Reihe von Vorschlägen und Ideen« gebe, »die wir gern aufgreifen bzw. die in eine ähnliche Richtung zielen, wie wir sie uns ebenfalls für die Weiterentwicklung des Studiums vorgestellt hatten«.
Das Ministerium beschreibt den Fahrplan so: »Auf der Grundlage dieser Entwicklungskonzepte und des Berichts der Kommission wird der Beirat eine fachliche Stellungnahme erarbeiten, die die notwendigen Schritte auf der Hochschul- und der Landesebene definieren wird.« Dabei sollte mit etwas mehr Bedacht und Genauigkeit vorgegangen werden, wenngleich für die Studierenden zu wünschen ist, die Impulse mögen schnell erfolgen, um ihnen die Sicherheit zurückzugeben, dass sie sich für die richtige Hochschule entschieden haben.