TEXT: ANDREAS WILINK
Geschichte wird von Menschen gemacht. Das ist schon irgendwie richtig. Und ist das Problem – von Hollywood. Nach dieser Formel und Gesetzesmäßigkeit funktionieren seine Geschichten, die im Zweifel die Analyse der Emotion unterordnen. Den Satz sagt einer von Jim Grants früheren Freunden, jetzt zum Historiker promoviert, zu seinen Studenten. Die Männer waren Kampfgenossen in der Zeit, als Grant noch Nick Sloan hieß und zu einer Gruppe militanter Vietnam-Gegner gehörte, die Bomben warfen und eine Bank überfielen. Es gab einen Toten.
Der Zweck heiligt die Mittel, so glaubten sie. Der Staat nannte sie Terroristen. Das FBI hat sie nicht vergessen. Am Anfang von »Die Akte Grant« – im Original vielstimmiger »The Company you keep« – wird eine der ehemaligen Aktivisten gestellt: Sharon (Susan Sarandon). Jim Grant (Robert Redford), der Anwalt wurde, nachdem er 1979 seine Identität gewechselt hatte, der gerade seine Frau verlor und allein für seine elfjährige Tochter sorgt, könnte sie verteidigen, aber er weigert sich im Abwägen der moralischen Verpflichtung. Doch wird er sich nicht heraushalten können. Ein ehrgeiziger Lokalreporter, Ben Shepard (Shia LaBeouf), ist an dem Fall dran und enttarnt Grant. Der muss flüchten, weil er unter Mordverdacht steht, liefert das Kind beim Bruder in New York ab und begibt sich auf Suche. Wonach?
Nach der einzigen Zeugin, die aussagen könnte, dass er nicht an dem Raubüberfall beteiligt war. Sie heißt Mimi Laurie und wird gespielt von Julie Christie, was allein genügt, sich den Film anzusehen. Die beiden hatten eine Tochter, die sie an Pflegeeltern gegeben haben. (Wir erinnern uns an den Fall Vesper/Ensslin.) Unterwegs begegnet Grant, während der Journalist ihm nachspürt und die Behörden ihn jagen, früheren Kameraden und deren Strategien, mit der eigenen Biografie umzugehen. Prinzipien gegen Ideale, Theorie gegen die Praxis des Alltags, der Kompromiss gegen das Aufrichtige, das Radikale gegen den Zweifel.
Wie kann man das Ganze verbessern, wenn man dabei die eigene Familie zerstört? »Wir haben uns versprochen, nie erwachsen zu werden«, wendet Mimi gegen Grant ein. Der antwortet: »Aber es ist doch passiert.« Das mag man trivial finden. Aber so ist es. In den Großaufnahmen der Gesichter von Sarandon, Redford, Nick Nolte und Julie Christie bekommt es seine filmische Wahrheit. Redford ist der gute, aufrechte Amerikaner. Ein Monument des demokratischen Liberalismus, als Regisseur ein Klassiker wie Frank
Capra und in der Erzähltradition von Sidney Pollack, Sidney Lumet oder Alan Parker. »In gewisser Weise war er so wie das Land: Es fiel ihm alles zu leicht.« Heißt es in Pollacks »The way we were« über den Mann, den Redford spielt: ein Film, der davon handelt, wie Menschen ihre Überzeugungen bewahren oder anpassen. Das Thema übernimmt Redford. Wenn es ihm leicht fällt, wer wollte es ihm verübeln?
»Die Akte Grant«; Regie Robert Redford; Darsteller: Redford, Shia LaBeouf, Julie Christie, Sam Elliott, Nick Nolte, Susan Sarandon; USA 2013; 122 Min.; Start: 25. Juli 2013.