Text und Interview: Ulrich Deuter
Die Akzente, das seit 1977 existierende Duisburger Kulturfestival, stehen jedes Jahr unter einem anderen Leitmotiv. Dieses Jahr fragt es: Woran glauben? Eine Erkundung, die im Windschatten der weltweiten Renaissance des Religiösen nahe zu liegen scheint, aber gerade wegen dieser Renaissance und der mit ihr einhergehenden Problematik auch lauten könnte: Warum glauben? Wie dem auch sei, die Akzente sind kein Bekehrungsprogramm, ihr Plakatmotiv ist das Goldene Kalb, vielleicht ist es ihnen also eher um einen weiteren Beitrag zur »Privatisierung der Letztbegründung« zu tun, für die der amerikanische Philosoph Richard Rorty seit langem streitet.
Rorty ist nicht zu den Akzenten geladen, wohl aber die in Glaubensfragen unumgehbaren Herren Eugen Drewermann und Franz Alt; sie tragen vor. Lesen wird The Voice Christian Brückner, und zwar Benn zu dessen 50. Todestag (11. Mai) – der Dichterarzt glaubte bekanntlich eher an die Biologie. Lesen wird auch Erich Loest aus »Sommergewitter «, in dem es um Glaubensverlust sozialistischer Art geht.
Neben dem traditionellen Schwerpunkt der Akzente, dem »Theatertreffen « mit Gastinszenierungen wie Michael Thalheimers »Faust« (Gretchenfrage!) oder Jürgen Goschs »Virginia Woolf« (wer glaubt noch an Liebe?), verspricht besonders das Bildende-Kunst-Programm der Akzente erhellende Auseinandersetzung mit dem Festival-Motto.
Unter dem Titel »Designing Truth« ziehen und verwischen im Wilhelm-Lehmbruck-Museum angesehene Künstler wie Back & Forth, Danielle Buetti, Jimmy Durham, Mark Lewis u.a. die Grenzen zwischen Fiktion und Dokumentation. Unter der Überschrift »PubliCity – Constructing the Truth« siedeln sich weitere philosophische Kunstprojekte in der Duisburger Innenstadt an, darunter die Arbeit »Tausch der Tabus« des renommierten Konzeptkünstlers Jochen Gerz, der Anhänger von acht Glaubensrichtungen (darunter auch einen Atheisten) bat, je ihr transzendentales Objekt zu beschreiben.
K.WEST: In der »Akzente«-Ausstellung im Duisburger Museum sind Sie zwar auch vertreten, aber Ihr eigentliches Betätigungsfeld ist der öffentliche Raum. Warum?
GERZ: Die Kunst hat in den Museen viel erreicht, hat sie mit emanzipiert.
Doch der ungewonnene Krieg ist der im öffentlichen Raum. Dort muss die Kunst eine neue Realität jenseits der Fiktion bekommen. Im öffentlichen Raum befindet sie sich allerdings in einer unterprivilegierten Situation, wird sie mitunter sogar zur Disposition gestellt. Das ist anders als im Museum, wo es auf der einen Seite den bedeutenden Künstler gibt, und auf der anderen Seite die farblose Menge von Menschen, die dazu geboren sind, meine Zuschauer zu werden. Wir leben aber inzwischen in einem Dementi zu dieser Grundsituation, einem Dementi mit Namen Demokratie. Öffentlichkeit hat zu tun mit der Gegenwart des anderen. Deswegen mache ich keine Arbeiten mehr, die ich allein machen könnte.
K.WEST: In Ihrer Arbeit »Tausch der Tabus« haben Sie Angehörigen verschiedener Glaubensrichtungen die Frage gestellt: »Wie lässt sich der Gegenstand Ihrer Suche beschreiben, darstellen, vermitteln?« Eine Frage, die Gläubige eigentlich aus der Fassung bringen müsste.
GERZ: Ich habe gemerkt, dass diese Frage den Befragten, ob Muslim, Mormone oder Katholik – vertraut schien und ohne Zögern beantwortet wurde.
K.WEST: Was waren das für Menschen, ganz normale Angehörige dieser Religionsgemeinschaften oder exponierte Vertreter?
GERZ: Ich habe die Auswahl nicht getroffen. Es gehört für mich dazu, dass der andere auf mich zukommt – er soll ja nicht ein Opfer meines Kunstwollens sein. Zum Teil sind es Menschen, die in ihrer Religionsgemeinschaft eine Funktion ausüben, zum Teil nicht. Die Leute haben einzeln mit mir zusammen gesessen, ich habe meine Frage gestellt, es war ein Gespräch von einer dreiviertel bis einer Stunde.
Hinterher habe ich die Texte redigiert und sie auf die gleiche Länge gebracht. Diese Texte werden auf Glasscheiben in der Größe von 82 mal 44 Zentimetern eingraviert. Der nächste Schritt war, dass wir zu den Orten des jeweiligen Kultes gegangen sind und die Vertreter der Institutionen davon überzeugen konnten, eine solche Tafel bei sich in ihrer Glaubensstätte zu installieren. Die Autoren der einzelnen Texte bleiben anonym und ein Schildchen erklärt das Projekt. Auch vor dieser Entscheidung gab es weniger Skepsis als Neugier. Mittlerweile ist die Sache so akzeptiert, dass die Tafeln auf Dauer bleiben, an allen acht Orten. Über den achten Ort, also die Heimat des Atheisten, haben wir lange nachgedacht und sind dann auf den Musentempel gekommen, das Museum. Dieses fast tangentiale Streifen der Kunst gefällt mir.
K.WEST: Das heißt, der Leser der Tafel in der evangelischen Kirche oder der in der Moschee erfährt nicht, von welchem Glauben der Text zeugt?
GERZ: Nein. Aber der Verlust der Sicherheit in der Wahrheit ist notwendig heute. Das ist kein Verlust, sondern der erste Schritt in eine Sozietät hinein, die wir uns schulden. Der gläubige Mensch sollte sich auf die Schulter klopfen und beruhigt sagen, mein Glaube, das ist eine große Leistung von mir. Ich habe nichts gegen den lieben Gott, insofern als er eine große Leistung des Menschen ist. Glauben heißt nicht wissen.
K.WEST: Sie haben bisher zwischen der Jetztzeit und der Geschichte vermittelt.
Ist dies nun der Schritt auf ein neues Terrain – zwischen den Religionen zu vermitteln?
GERZ: Im öffentlichen Raum ist es oft so, dass ich mir meine Arbeit nicht aussuche, sondern dass die Arbeit Resultat eines Auftrags ist. Ich finde das hervorragend. Bereits im Auftrag ist die Gegenwart des Anderen als Autor und der Kunst als Äußerung von Demokratie angelegt.
Kunst ist nicht das anspruchslose Ding, das wir uns zur Verbesserung der visuellen Lage gönnen. Man macht mir ein Kompliment, wenn man mich nicht alles tun lässt.
K.WEST: Religionen widersprechen sich. Oder nur dann nicht, wenn man sie ihrer Besonderheiten entkleidet. Religionen verkünden die eine Wahrheit und nur so haben sie ihre Berechtigung.
GERZ: Das ist sicher richtig, aber auch nicht anders, als in der Politik. Da gibt es auch verschiedene Übersetzungen vom Urtext.
K.WEST: Aber den Urtext gibt es in der Politik nicht.
GERZ: Trotzdem würde niemand in der Politik so laut reden, hätte er nicht das Gefühl, für viele zu sprechen. Dadurch aber, dass hier die verschiedenen Glauben in Form gleich funktionierender Texte nebeneinander stehen, müssen sich die Aussagen jeweils nach den andern umgucken. Sie sind wie in den Kultstätten übrigens auch in der Westdeutsche Allgemeine Zeitung zwei Monate lang jeweils am Donnerstag und jeweils ganzseitig zu lesen als ein Teil der gleichen Arbeit. Meine Frage an die Gläubigen lautete: Kann man den Gegenstand ihrer Suche beschreiben? Profan gesagt: Kann man Gott beschreiben? Aber was dabei herausgekommen ist, sind Handlungsanweisungen, Selbsthandlungsanweisungen für hier, letztlich ein Kanon des Sozialen.
K.WEST: Wie ist Ihre eigene Position: Gibt es Wahrheit unabhängig von Glauben und Überzeugung?
GERZ: Nein, eine Wahrheit nicht. Aber es gibt so etwas wie das Empfinden für die Gemeinsamkeiten. Wenn ich in mich hineinhöre, stellt sich die Gewissheit ein, dass ich nicht von anderen verschieden bin.
Ich kann mich nur denken als jemand, der Ähnlichkeiten mit anderen besitzt. Wenn ich das übersetzen soll in ein Bild, dann wäre ich ein Ast und würde mich an einen Stamm erinnern.
K.WEST: Das Motto »Woran glauben« stammt zwar nicht von Ihnen, aber müsste die Frage 250 Jahre nach der Aufklärung nicht lauten: Warum noch glauben?
GERZ: Wir leben ja insgesamt in der Zeit der kulturellen Zitate, dazu gehört eben auch das Unterschlüpfen unter Vordenker und sonstige schützende Vordächer. Zu glauben ist aber heute aus unserer Sicht archaisch, wir sind gewöhnt an viele Sicherheiten. Wir rationalisieren und nähern uns fast nur noch bereits Bekanntem. Es gibt aber keine Rückkehr zur vergangenen Zeit. Unser Vertrauen ins Wissen ist wahrscheinlich übertrieben. Diese Übertreibung führt zu vielen Enttäuschungen.
Der Gläubige kann nicht enttäuscht werden, aber auch nicht ent-täuscht werden. Insofern ist er für mich ein gleichwertiger Partner, weil ich dafür bekannt bin, dass ich die Menschen ent-täusche.
Der unenttäuschbare Mensch ist für mich die härteste Nuss, denn das wäre der Mensch, der resistent ist gegenüber der Moderne, der Aufklärung, dem Neuen, der Krise usw. Vielleicht bin ich neidisch.
Vielleicht möchte ich modern und nicht enttäuschbar sein. Ich glaube einfach, dass unsere Existenz keine lineare ist, sondern dass wir immer mit und in verschiedenen Jahrhunderten leben. Unsere Zeitgenossin kann Hildegard von Bingen vielleicht mehr sein als eine gegenwärtige Politikerin. Der missverständliche Begriff Kreativität bedeutet ja nur die Antenne, mit der du einfängst, was für dich Gegenwart ist, Präsenz, Nähe, Environment. //
Bis 21. Mai 2006. Tel.: 0203/94000. www.duisburger-akzente.de
»Es ist als Bild nicht zu vermitteln. Es ist nicht mehr der da oben und wir die hier unten. Ich spüre ihn in allem, nicht nur in mir selbst oder in anderen Menschen. Ich bin im Kraftfeld des Magneten, der die Späne richtet. Es ist eine Kraft in allem. Noch mehr wir meine Vorstellung aber von dem Gefühl herausgefordert, dass es nicht nur eine Energie ist, sondern mein Du. Es ist mein persönliches, nahes Du. Ich zögere, von Vertrauen zu sprechen. Zusammenbringen oder begreifen kann ich es nämlich nicht. Es provoziert mich. Es ist entstanden in meinem Leben und hat sich gewandelt.Gleichzeitig ist es, meine Vorstellungen hin oder her, eine Ecke in mir, die immer im Dunkel bleiben wird.«
Jochen Gerz, Tausch der Tabus: Bekenntnis eines Gläubigen