TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
»Ornament ist vergeudete Arbeitskraft und dadurch vergeudete Gesundheit. (…) Der moderne Mensch, der Mensch mit den modernen Nerven, braucht das Ornament nicht, er verabscheut es.« Diese Sätze hat der Architekturtheoretiker Adolf Loos 1908 in seinem Buch »Ornament und Verbrechen« geschrieben und prägte damit nicht nur seinen Schüler Richard Neutra, der bei Loos an der Technischen Hochschule Wien studierte. Dass nun gerade im MARTa Herford eine Ausstellung über Richard Neutras Spätwerk in Europa stattfindet, ist insofern pikant, als dort zwei Architekturstile aufeinandertreffen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Stammt doch das MARTa von Frank O. Gehry und ist eines seiner raumstürmenden, dauergewellten Häuser, denen gern auch mal hämisch-neidisch das Wort »Event-Architektur« nachgerufen wird. Aber vielleicht wird dieser gewollte Kontrast den Reiz der Schau ausmachen, für die eigens Modelle von Neutra-Entwürfen angefertigt wurden. Ebenso sind historische Skizzen, Fotos und Konstruktionspläne aus seinem Nachlass aus Los Angeles zu sehen.
In Herford wird eine weitere Facette von Richard Neutras Arbeit sichtbar – eine, die bislang der Öffentlichkeit weniger bekannt war. Mit dem gebürtigen Österreicher Neutra (1892 bis 1970) verbindet man die klassische Moderne der amerikanischen Architektur; Häuser, die er in den 50er und 60er Jahren etwa in den Hügeln Hollywoods errichtete. Modern-filigrane Bauten mit Flachdächern und großen Fensterflächen, die Natur und Architektur verbinden. Das Ganze möbliert mit Designmöbeln von Mies van der Rohe oder Ray und Charles Eames. Der Fotograf Julius Shulman, dessen Fotos parallel zur Ausstellung gezeigt werden, hat Neutras Werk dokumentiert und als Ikonen der Moderne inszeniert. Dass Richard Neutra in seinen letzten zehn Lebensjahren Häuser in Europa baute, ging dadurch bisher ein wenig unter. Auch wenn manche Entwürfe nicht verwirklicht wurden, wie der Neubau des Düsseldorfer Schauspielhauses oder eine Villa für den Unternehmer Konrad Henkel, so baute Neutra von 1960 bis 1970 in Europa immerhin acht Villen und zwei Wohnsiedlungen. Letztere entstanden für die Gesellschaft »Bewobau« in Walldorf bei Frankfurt (1960) sowie Quickborn (1965) und ließen mit großzügigen Fenstern und offener Bauweise Licht und Luft in die oft düstere Mehrfamilien-Architektur jener Tage.
Neutras Villen entstanden in der Schweiz, in Frankreich und Deutschland. Beispielsweise für den Zeit-Verleger Gerd Bucerius, hoch über dem Lago Maggiore gelegen mit einer atemberaubenden Aussicht, die Neutra gekonnt in seinen Entwurf einband. Das Haus Bucerius war eines der aufwendigsten Bauprojekte Neutras in Europa. Ebenfalls in der Schweiz und in ähnlichem Stil errichtet wurde das Haus Rentsch (1964), aber mit zwei Unterschieden. Statt einer Aussicht auf arkadische Gestade geht der Blick auf die imposante Kulisse der Jungfrau im Eigermassiv. Zum anderen ist es das einzige Haus Neutras, das mit einem Giebeldach gebaut wurde, weil behördliche Auflagen dies verlangten.
In Deutschland wurden drei Villen errichtet, dazu gehören die Häuser Kemper und Pescher. Schaut man sich die Fotos heute an, kann man sie für Werke von Shulman halten, aufgenommen irgendwo in Kalifornien. Aber diese Moderne ist eine Bergische – die Häuser liegen versteckt im Wuppertaler Gelpe-Tal. Das Haus Kemper hat von der Struktur her Ähnlichkeit mit der spektakulären Villa von Bucerius. Auch hier bestimmen viel Glas, ineinander verschachtelte Dachflächen und weitausladene Terrassen das Bild – wenn da nicht das bergische Wetter und der fehlende Seeblick wären. Für Neutra wurde dieses, eines seiner letzten Häuser, indes zum Schicksalsort. Bei einem Besuch starb er dort 1970 an einem Herzinfarkt.
MARTa Herford. 8. Mai bis 1. August 2010. Tel. 05221/99 44 30 – 0. www.marta-herford.de