Wenn es sich nicht grundsätzlich verböte, den Beginn einer historischen Epoche auf den Punkt zu benennen, man könnte Napoleon als den ersten Menschen der Moderne bezeichnen. Lange vor Nietzsche setzt er sich selbst absolut. Die Tradition ist Material für ihn. Er verbindet höchste Ideale mit ebensolcher Egomanie. Vollender der Aufklärung, bringt er den Unterdrückten Freiheit durch Zwang. Geradezu popartig wird er Held und Dämon für Millionen. Er war ein »Genie und Despot«, wie die Ausstellung »Napoleon« in der Ludwig Galerie Schloss Oberhausen ihren Protagonisten im Untertitel charakterisiert.
Dieses (nicht wirklich widersprüchliche) Doppelattribut ist gewiss treffend, erfasst allerdings die Dimension des Diskrepantesten aller Neuzeitgroßen nur unzulänglich. Vollständigkeit strebt die (in Kooperation mit dem Wilhelm-Busch-Museum Hannover und dem Napoleon-Museum Arenenberg entstandene) Ausstellung im Grunde auch nicht an, sie präsentiert nur zwei der vielen Gesichter Napoleons: hier den Heros, Herrscher, Visionär; da den aufgeblasenen Emporkömmling und lächerlichen Dämon. Konkret: Einige Gemälde und Büsten, die Napoleon als jugendlichen Kriegshelden, gravitätischen Kaiser in Cäsarentradition, siegreichen Feldherrn feiern, stehen einer riesigen Zahl von Karikaturen gegenüber, in denen der Neugestalter Europas als lüstern verschlagener »korsischer Affe« verhöhnt wird, als grotesk aufgedonnerter, rasender Zwerg mit Riesenepauletten und dschungelgroßem Federbusch, der unfassbar Böses tut und unfassbar lächerlich ist. Die Bonaparte-Panegyrik ist allerdings zu schwach vertreten, um als wirklicher Kontrast zu wirken; den allergrößten und allerbesten Anteil der Ausstellung bilden saftige anti-napoleonische Karikaturen aus dem perfiden Albion, vom begeisterten englischen Publikum aller Schichten damals frisch von der Druckpresse weggekauft. So gut wie jede der militärischen und politischen Großtaten des Revolutionsgenerals, Ersten Konsuls, Kaisers, Feldherrn, Geschlagenen, Verbannten, Rückkehrers, erneut Verbannten finden ihren manchmal wütenden, meist höhnischen, aber immer vollkommen respektlosen Kommentar im flinken Strich und der treffenden Verzerrung vor allem der englischen Künstler James Gillray, Thomas Rownaldson und George Cruiksank. In den Auslagen ihrer Londoner Verleger waren die – oft handkolorierten – Radierungen beinah täglich frisch präsent, Käufer und Neugierige drängten sich, der Vertrieb war gut organisiert und erreichte bis zur Kontinentalsperre 1806 auch das Festland. Zwischen 1800 und 1815 wird niemand so häufig karikiert wie Napoleon, über 2000 Blätter verhöhnen den Korsen auf dem Kaiserthron, bald nur noch »Little Boney« (Kleiner Knochen) genannt, der dies, weiß die Geschichtsschreibung, wenig sportlich nahm.
Aber eben fast nur englische Blätter; denn nur auf der Insel existiert seit dem Ende des 17. Jahrhunderts so etwas wie Pressefreiheit. Erst die Befreiungskriege erlauben es auch deutschen Zeichnern, den Griffel gegen den Fremdherrscher zu zücken, allerdings können ihre Werke den englischen die Aquatinta nicht reichen. Mit Ausnahme der sehr gelungenen »4 Satiren« von Johann Gottfried Schadow von 1813, die wiederum ob ihrer komplizierten Raffinesse kein Massenpublikum finden. So bleibt die Zerrissenheit, in die das Phänomen Napoleon die aufgeklärt, national oder republikanisch gesinnten Deutschen stürzt – Kleist hasst Napoleon, Goethe verehrt ihn, Hegel sieht ihn ihm den Weltgeist zu Pferde, C. D. Friedrich wird krank, als die Franzosen seine Dresdener Heimat besetzen – bleibt diese deutsche Zerrissenheit für uns ungezeichnet. Ohne Debatte geworden zu sein, wurde sie Nationalpolitik: Weil die ersehnte Freiheit in falscher Gestalt, nämlich von außen und als Fremdherrschaft gekommen war, war sie als Ganze in Deutschland für das folgende Jahrhundert diskreditiert. //
Bis 16. September (wegen Bauschäden verkürzt). Tel. 0208 / 4124922. www.ludwiggalerie.de
George Cruikshank: Klein Boney geht auf den Topf, 1814. Radierung, koloriert. Wilhelm-Busch-Museum Hannover, Leihgabe Stiftung Niedersachsen