// Kuchen interessiere ihn nicht. Nur Brot. Und wenn schon Kuchen, dann müsse es ein kleiner, bescheidener sein. Jean Dubuffet denkt an »eine Art Brioche, die noch die Erinnerung an das Mehl und den Backtrog in sich trägt.« Jene Liebe zum Einfachen, Ehrlichen, auch zum Rohen und Rauen – man sieht sie seiner Arbeit an. Sie schwingt immer mit. Wenn der Künstler seine Farben anrührt mit Asche und Asphalt, mit Kieselsteinen und Kehricht. Wenn er dann die dicke Paste mit den Fingern durchfurcht. Wenn er die Züge per Löffel oder Kratzeisen ins Gesicht einschreibt. Wenn er seine »Damenkörper« als unförmige Fladen auf der Fläche ausbreitet. Oder wenn er, mit dem Kugelschreiber kritzelnd, neue Gestaltungssysteme entwickelt.
Bei all dem lästert er genüsslich über »gefüllte Mokkatörtchen«, »Savarin mit Marzipan« und andere ästhetische Gefälligkeiten gewisser Künstlerkollegen. Im Kampf gegen das Establishment – gegen Akademien, Museen, Galerien – entwickelt Dubuffet immer neue Mittel und Methoden, springt dabei, bis ins hohe Alter frisch und wendig, von einer Werkgruppe zur nächsten. Mit 84 Jahren macht er plötzlich Schluss mit der Kunst und schreibt schnell noch seine Erinnerungen nieder: »Ein Leben im Laufschritt«, so nennt Dubuffet die Autobiografie. Die Langen-Foundation wählt dieses Motto nun zum Ausstellungstitel.
Rund 50 Werke, die meisten davon sind Gemälde, geben in Neuss einen Abriss. Es sind Stichproben aus den zahlreichen Kapiteln des an Umfang wie Vielfalt immensen Schaffens des Franzosen, der – einst als Schöpfer von »Dreck- und Kotschmierereien« verschrien – längst als einer der wichtigsten Anreger in der Kunst des 20. Jahrhunderts gehandelt wird.
Anlass für die Schau boten Dubuffets Werke in der Stiftung; ein gutes Dutzend hat das Ehepaar Langen zusammengetragen. Mit teils mühsam ergatterten Leihgaben wird dieser Grund- stock zum summarischen Überblick erweitert. Er will keinen speziellen Aspekt im Schaffen aufarbeiten, will keine Neuigkeiten aufdecken. Ziel des Unternehmens sei es allein, die Augen noch einmal auf Dubuffet zu lenken, sagt Kuratorin Chrysanthi Kotrouzinis, mehr nicht.
Anfang der 40er Jahre sieht man den Meister in der Mitte seines Lebens. Hinter ihm liegen ein abgebrochenes Kunststudium, Erfolge als Unternehmer im Weingroßhandel und wiederholt gescheiterte Versuche, doch noch als Künstler glücklich zu werden. 1942 entscheidet er sich erneut für die Kunst – zum dritten Mal in seinem Leben. Und diesmal trägt der Entschluss.
Dubuffet ist nun wirtschaftlich unabhängig. Er hat seinen Weinhandel verpachtet, sich ein Atelier gemietet und startet ohne Erfolgsdruck, dafür mit dem festen Vorsatz, kulturelle Konventionen außen vor zu lassen. »Wer nach neuen Positionen sucht, sollte ohne Gepäck an Bord ge- hen«, so seine Überzeugung. Die Neusser Schau sticht mit dem Künstler in See. Sie zeigt die knallrote »Gestalt mit Zweispitz« von 1943. Dubuffets antikulturelles Rezept nimmt hier klare, kindliche Formen an: Der Künstler setzt auf Banalität und versucht, den Anschein zu erwecken, sein Bild in unschuldiger Naivität gestaltet zu haben.
Einen Schritt weiter geht das zwei Jahre später gemalte »Ehepaar in Grau, Ultramarin und Karminrot«. Dicke schwarze Linien konturieren die frontalen Figuren mit ihren viel zu großen, kreisrunden Köpfen, den eiförmigen Leibern, den kurzen Streichholzbeinen. Dubuffet füllt die Umrisse von oben bis unten mit scheckig verschmierten Farben. Den Hintergrund gibt er grau-gefleckt, wie eine grob verputzte Mauer.
Im Œuvre folgen verkrustete Landschaften, die jedes Gesetz der Perspektive auf den Kopf stellen. Bizarre Porträts von Freunden, Dichtern, Intellektuellen, in denen Dubuffet die heftig ange- reicherten Malpasten dem Relief annähert; wo er nicht Ähnlichkeit sucht, sondern den Charakter und äußerliche Eigenheiten zur manchmal karikierenden Übersteigerung führt. »Die Menschen sind doch viel schöner als sie glauben«, so sein Kommentar. »Es lebe ihr wahres Gesicht«. Dazu passen Dubuffets gewaltige »Corps de dames« – urtümliche Frauenakte, die sich demonstrativ gegen jedes gängige Schönheitsideal stellen.
Ob er überhaupt richtig malen könne? Auf diese Frage hat Dubuffet einst geantwortet: »Denken Sie daran, dass man nur auf eine einzige Art und Weise gut malen kann, aber schlecht malen kann man auf tausend Arten. Gerade darauf bin ich neugierig, davon erwarte ich etwas Neues, erwarte ich Offenbarungen. Alle Arten, schlecht zu malen, interessieren mich und scheinen mir den Keim neuer gedanklicher Positionen in sich zu tragen.«
Neben heftigen Anfeindungen erntet der Einzelgänger damit schnell Erfolge – unter Kollegen, dann auch auf dem Markt. In Frankreich und wenig später in den Vereinigten Staaten, wo Dubuffet mit seinen »antikulturellen« Ideen besonders gut ankommt, amerikanische Sammler reagieren geradezu gierig.
In Deutschland wartet man bis 1957 auf Dubuffets ersten Auftritt. Er bringt sofort den Durchbruch. Auch Viktor Langen, der bis dahin nicht mal den Namen Dubuffet kannte, kommt damals nach Leverkusen, um sich die Retrospektive im Museumsschloss Morsbroich anzuschauen. Zwei Jahre später kaufen er und seine Frau dann die erste Arbeit des Franzosen: Ungelenke Pinselstriche beschreiben die vier schrägen Typen, deren »rote Wangenknochen« hervorleuchten aus dem schmuddelig schwarz-grau-braunen Einerlei mit Sprenkeln.
Neben Werken von Braque, Beckmann, Jawlensky, Léger und anderen Größen ziehen nun immer mehr Dubuffet-Arbeiten bei Viktor und Marianne Langen ein: Bilder ins Wohnhaus und 1971 eine dreieinhalb Meter hohe »Gebüsch«-Plastik in den Garten.
Gut bestückt ist die Sammlung der Langens mit den teils ungegenständlichen Gemälden der späten 50er Jahre – sie markieren das Ende der jahrelangen Material-Experimente. Denn kurz darauf wird Dubuffet eine radikale Kehrtwende im Werk einleiten. Tief taucht er ab 1960 ein ins schrille Großstadt-Gewimmel. Straßen, Plätze, Menschen, Autos bevölkern das bunte Drunter und Drüber in den »Paris Circus«-Bildern. Offenbar kann sich selbst Dubuffet nicht der Einflüsse der Pop-Art erwehren.
Nun sind die wuchernden Parzellen des populären Hourloupe-Zyklus gar nicht mehr so weit. Schwarz umrandete Parzellen fügen sich da wie Puzzleteile zu phantastischen Gestalten, Gewächsen, Gefilden, die nun über zehn Jahre lang Dubuffets Bildwelt bestimmen werden. Was danach kommt, ist den meisten weniger bekannt. Auch deshalb widmet sich die Schau in Neuss dem späten, weiterhin frischen, rastlosen und nach wie vor charakteristischen Dubuffet etwas genauer.
Eines ist Kuratorin Kotrouzinis bei ihrem Blick über die Jahrzehnte besonders wichtig: Sie will Dubuffet aus der Art-Brut-Schublade herausholen und gewinnt als prominenten Mitstreiter den Kunsthistoriker Siegfried Gohr, der seinen Beitrag dazu im Katalog leistet. Kotrouzinis Ansinnen ist überhaupt nicht neu, dennoch weiterhin berechtigt. Denn trotz etlicher Befreiungs- versuche wird Dubuffet immer wieder gerne als Art-Brut-Künstler bezeichnet.
Sicher auch weil er diesen Begriff einst selbst geschöpft hatte. Dubuffet meinte damit Kunst von Menschen, »die nicht zum kulturellen Milieu gehören und nicht seinem Einfluss unterliegen«. Die Werke von Kindern, von Gefangenen oder Geisteskranken faszinierten ihn. Mit solchen Vorbildern vor Augen versuchte der Künstler, sich frei zu machen von seiner kulturellen Prägung – obgleich er wusste, dass dies nicht funktionieren konnte. »Die aus der Kultur rührende Prägung sitzt tief«, so erkannte er. »Sie ist in Fleisch und Blut übergegangen, man kann sich ihrer wahrscheinlich nicht ganz entledigen, so sehr man sich auch anstrengt.«
Der Blick übers Œuvre beweist noch einmal, dass Dubuffet alles andere als spontan arbeitete – keine Spur von Naivität. Im Gegenteil, jeder seiner »Laufschritte« scheint wohl überlegt, vom Intellekt gelenkt und ganz bewusst gesetzt. Über 40 Jahre, bis zum 12. Mai 1985, als Dubuffet, ganz Herr seiner Sinne, beschloss, dem eigenen Leben und Werk ein Ende zu machen. //
1. Februar bis 24. Mai 2009. Langen-Foundation, Neuss. Tel.: 02182/5701-0; www.langenfoundation.de. Katalog im Hirmer-Verlag, 200 Seiten; 39,90 €.