Man kann dem Bochumer Komponisten Stefan Heucke nachfühlen, dass ihm beim Lesen des Buches mulmig wurde. »Das Mädchenorchester in Auschwitz« hießen die halb dokumentarischen, halb romanhaften Erinnerungen der Französin Fania Fénelon an ihre Zeit im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.
Dort begleitete eine Musikkapelle den Abmarsch der Häftlinge zur Arbeit, die Selektion an der Rampe oder die Casino-Belustigungen der SS mit Strauß-Walzern und Puccini-Melodien.
Zwei Jahrzehnte dachte Heucke (Jahrgang 1959) über den Plan zu einer Oper nach, bis die Bühnen Krefeld- Mönchengladbach mit Stiftungs- und Sponsorenhilfe willig waren, das Werk zu stemmen.
Heuckes Bruder Clemens verarbeitete Episoden aus Fénelons Vorlage zu einem Libretto, als wär’s ein Stück des mittleren Verdi. Hausherr Jens Pesel schuf als Regisseur dazu Bilder, die eine der schlimmsten Folteranstalten der Menschheitsgeschichte zur Betroffenheits- Soap banalisieren. Wenn aus dem Hintergrund das jüdische Kulthorn, der Schofar, erstmals seine heiseren Laute ausstößt, sieht man Juden im Waggon. Außerdem: Dr. Mengele als fistelnden Tenor bei der Selektion, SS-Männer beim Prügeln, Häftlinge beim Schrubben mit der Zahnbürste, das Orchester bei der Probe mit ihrer Dirigentin Alma Rosé (Anne Gjevang), die Kolonnen der Neuankömmlinge und, als herbste Geschmacksverirrung, eine große Plexiglasröhre, in der in schönstem Gelb und Blau das Gas schwebt. So gerinnt die Katastrophe zur Schmiere.
Das Scheitern gilt auch fürs Musikalische. Die Partitur des dreistündigen Werks lebt vom Kontrast zwischen einem groß besetzten Orchester, das Graham Jackson im Hintergrund dirigiert, und dem Frauenorchester auf der Bühne, das mit naiven Arrangements den irritierenden Kontrapunkt zur Handlung setzt. So weit noch sinnvoll. Aber die plakative Art, mit der Heucke deutsches Liedgut in die Partitur montiert und brutale Marschrhythmen mit synagogalen Klagegesängen konfrontiert, verfehlt das eigentliche Thema: Tonkunst als zynische Begleitmusik des Grauens und zugleich letzte Flaschenpost des Menschlichen darzustellen. STRUCK-SCHLOEN