// Wenn man ihn denn mal erwischt hat, gibt es kaum einen unterhaltsameren Gesprächspartner zum Thema Kulturhauptstadt als Karl-Heinz Petzinka, den künstlerischen Direktor für das 2010-Themenfeld Architektur, Stadtentwicklung und Bildende Kunst. Unter dem Übertitel »Stadt der Möglichkeiten« kommt das Ressort ohnehin utopisch daher, und Petzinka versteht es nicht nur, die Utopien schwungvoll auszumalen. Er gibt sich auch als ein Mann, der sie zu verwirklichen weiß, den die Abwehrformel »Geht nicht!« erst richtig in Fahrt bringt: »Ich möchte immer nur Neues machen, Dinge, die eigentlich so nicht gehen«.
Dennoch: In den letzten Monaten, ehe die Ruhr.2010 GmbH die erste Tranche ihres Kulturhauptstadt-Programms präsentierte, schien sich eine bleischwere Atmosphäre der Lahmheit, Lustlosigkeit und Untätigkeit über das ganze Unternehmen zu legen. Einblicke in die Ideenwerkstatt blieben der Öffentlichkeit verwehrt. Satt dessen wurden immer wieder dieselben Event-Kamellen angeboten – nicht unbedingt die gehaltvollsten der bereits bekannten Projekte. Dieser seltsame Stillstand oder gar Rückschritt schien auch den Möglichmacher Petzinka gebremst zu haben.
Zuvor hatte er mehrfach seine Vision ausgeschmückt, wie die Autobahnen der Region zu Kunstmeilen und baumbestandenen »Boulevards« mutieren könnten – nun hörte man nur mehr von jener eintägigen Stillstands-Party auf der A 40, ad nauseam. Zuvor hatte Petzinka sich gesprächsweise stark gemacht für das besonders ambitionierte Projekt der »Zweiten Stadt«, einer künstlerischen Installation unter Tage auf Zollverein. Im Sommer 2008 dagegen schien er zurückzurudern. Ähnlich war es mit seinem keck verkündeten Plan, dem Förderturm von »Nordstern« in Gelsenkirchen, Denkmal und Firmenzentrale der von ihm geleiteten Wohnungsbaugesellschaft, zusätzliche Stockwerke und eine Lüpertz-Skulptur aufzusetzen. Und gelegentliche Äußerungen, dass es für ihn Lieblingsprojekte unter den zahlreichen Ideen nicht gebe, konnte man nun auch so auffassen, dass Professor Petzinka sich eben später nicht mit der Aufgabe eines solchen Projekts identifizieren lassen wollte.
Prof. Karl-Heinz Petzinka. Foto: THS
Zwar hat dann das erste Programmbuch für 2010 mit einigen gehaltvollen, bis dato kaum je angedeuteten Punkten angenehm überrascht (s. K.WEST Nov. 2008). Doch sind in diesem Buch einige der besten Projekte lediglich als unsichere »Ausblicke« dargeboten. Darunter auch die »Zweite Stadt«. Das schien alle Skepsis zu bestätigen, mit dem man gerade diesem Projekt eines »künstlerischen Besucherbergwerks« von Anfang an begegnen musste – schließlich sind an der Ruhr schon mehrfach Untertageprojekte wegen unzähliger Bedenken und unzahlbarer Kosten gescheitert. Hat man also auch dem Möglichmacher Petzinka seine Grenzen gezeigt, hat ihn im vergangenen Sommer die Frustration gepackt? »Nein«, sagt der darauf Angesprochene, »und ich mache auch nichts, von dem ich nicht überzeugt bin.« Im übrigen sei schon vieles möglich geworden, was vor zwei Jahren noch unmöglich schien. Es müssten aber bei einigen Projekten derart viele Beteiligte an so vielen Punkten übereinkommen, dass der Prozess noch nicht ganz abgeschlossen sei. So auch bei der »Zweiten Stadt«: »Wir sind da viel weiter, als wir nach außen vermitteln!«
Es habe Stolpersteine gegeben und Missverständnisse. Etwa die Zahl 170.000: »Wir brauchen 170.000 Besucher im Jahr, sonst rechnet sich das nicht« – das habe man ihm gesagt. Dieses Datum hatte Folgen, erzählt Petzinka. Zum einen bedeute eine solch hohe Besucherzahl, dass statt der bergmännischen Förderkörbe richtige – sehr teure – Aufzüge in die 1.000 Meter tiefen Schächte eingebaut werden müssten. Zweitens habe die angepeilte hohe Besucherzahl mit der Überlegung zu tun, dann müsse da unten in jedem Fall international renommierte Kunst gezeigt werden wie jene der immer wieder genannten Jenny Holzer – die man natürlich erst einmal gewinnen und dann teuer bezahlen müsste.
Die Zahl 170.000 aber, sagt Petzinka, habe schlicht auf einem Irrtum beruht: »Man glaubte, das Projekt sei auf 2010 begrenzt« und müsse sich in diesem einen Jahr rechnen. Da es aber auf Dauer angelegt sei, hätten sich die befürchteten Zwänge in Luft aufgelöst. Was dort unten gezeigt werden soll, sei dann weit offener diskutiert worden, berichtet Petzinka. So sei aus dem Ruhrmuseum die Idee gekommen, die bedeutende Mineraliensammlung des Hauses dort zu präsentieren. Zollverein wäre aber auch, meint Petzinka, »ideal für eine Dependance des Lichtkunstmuseums Unna.« Er habe darauf bestanden, dass der Parcours die riesigen Pumpen einschließt, die Tag für Tag Wasser aus der Grube fördern: »So erhält man einen Begriff von den Ewigkeitskosten«. Ebenso wichtig sei ihm gewesen, dass die Besucher nicht im Schacht 12 ein- und wieder ausfahren, sondern einige hundert Meter östlich durch Schacht 2 wieder ans Tageslicht kommen – um erlebbar zu machen, welche Entfernungen Bergleute unter Tage zurücklegten.
Auf die Autobahn-Projekte angesprochen, hält Petzinka sich mit dem sattsam beschriebenen, eintägigen Stillstands-Event nicht lange auf. Es geht um eine künstlerisch gestaltete A 40/B 1 und eine »EmscherPARKautobahn« A 42, und da redet Petzinka sich schnell in Fahrt: mit Enthusiasmus, Eloquenz und gelegentlich eingestreuten Kraftausdrücken, die er lieber nicht gedruckt sehen möchte. Dann hält er inne, kommt auf den Verdacht der Frustration und Indifferenz zurück und grinst: »Sie merken – egal ist mir die A 42 keinesfalls!« Im Grunde, sagt Petzinka, müsse man sich um die A 42 mehr kümmern als um die A 40/B 1, denn die Idee der »EmscherPARKautobahn« stamme letztlich schon aus IBA-Zeiten.
Zwar, die brutalen Zerschneidungen, die einst mit dem Bau der Ruhr-Autobahnen einhergingen, »die werden wir nicht ändern können«. Man könne aber diesen Ingenieurbau, der ohne Bezug zur Umgebung von A nach B führt, in einem »Perspektivwechsel« zu einem Teil der »urbanen Stadtlandschaft« machen. Konkret gehe es bei der A 42 um die schon vorhandenen Elemente des »Emscher-Landschaftsparks«: den Landschaftspark Duisburg-Nord, das Gelände der Landesgartenschau OLGA und den Gehölzgarten Ripshorst in Oberhausen, den Nordsternpark in Gelsenkirchen. Außerdem werden weitere Orte wie Ruhr-Zoo in Gelsenkirchen, Schloss Strünkede in Herne, das Tetraeder in Bottrop zwar technisch durch die A 42 miteinander verbunden, aber nicht optisch. Das soll sich sukzessive ändern. Dafür haben sich alle Anrainerstädte der Autobahn unter Bottrops Federführung zusammengetan, dazu Ministerien, »Straßen NRW«, Regionalverband, Emschergenossenschaft und Ruhr.2010.
Geplant ist eine völlige Abkehr vom Gewohnten: Die A 42 soll nicht mehr durch massive Schallschutzwände und dichte Bepflanzung von der Umgebung abgeschottet werden. Das Grün soll mehr in die Tiefe gestaffelt werden, Schutzwände sollen nach einheitlichem System gestaltet und an geeigneten, interessanten Punkten durchsichtig werden; die fünf Autobahnkreuze der A 42 will man von Tabu-Räumen zu »Ohrenparks« umgestalten. Die »Anschlussstellen« verwandeln sich zu »Parktoren«, »Parktankstellen« sollen statt Benzin Ausblicke und Informationen bereithalten. Insgesamt soll die »PARKautobahn« helfen, die Region zu vernetzen – und Autofahrer dazu animieren, von der Autobahn ab- und zu den bis dato unsichtbaren Attraktionen der Emscherregion hinzufahren.
Bis 2010 »können wir den Umbau der A 42 sichtbar machen«, sagt Petzinka in typischer Wortwahl. Zwei Autobahnkreuze sollen dann schon »Ohrenparks« sein; die Wettbewerbe zur Gestaltung sind abgeschlossen. Insgesamt aber ist die »EmscherPARKautobahn« ein langfristig angelegtes Projekt, entsprechend den ohnehin notwendigen und finanzierten Reparaturen und Umbauten. Das Entscheidende, so Petzinka, sei größte Flexibilität hinsichtlich des wechselnden Geldflusses bei »eindeutiger Kunstaussage«; es komme darauf an, alle Gelder nach einem Masterplan über die Jahre so zu verwenden, dass am Ende das Gewünschte dabei herauskommt.
Ganz ähnlich sei das bei der künstlerischen Umgestaltung der A 40. Diese Idee habe bei der Präsentation in Brüssel ein großes Echo gefunden – denn Probleme mit solchen Straßen gebe es ja anderswo auch. Petzinka hat da ein Bild von der B 1 vor Augen, wie sie einst von Ingenieuren für die »autogerechte Stadt« gebaut wurde. »Und wir sagen jetzt: So eine Sch …-Straße, wie konnte man nur!« Die Frage sei nun: »Was wollen wir für eine Straße haben? Wie kann man sie mit Gestaltung, mit Bäumen, mit Kunst verändern?« Und darüber machten sich nun Künstler Gedanken, nach dem Kulturhauptstadtmotto »Wandel durch Kultur«. Auch bei diesem langfristigen Projekt seien viele Mitspieler zu berücksichtigen, eine zeitraubende Angelegenheit. Doch gerade aus solchem Zusammenspiel, auch zwischen den Projekten, ergebe sich bei »2010« der Mehrwert.
Dass Karl-Heinz Petzinka als künstlerischer Direktor so oft von »Erlebbarem« spricht, von »Sichtbarmachen« und von »Bildern«, die es für das gewandelte Ruhrgebiet zu finden gelte, wird ihm zuweilen als Wolkigkeit angekreidet. Die Tendenz entspricht aber einer Wendung, die Petzinka als Architekt gerade vollzogen hat. Bekannt wurde er mit gläsern-repräsentativer Architektur, modern und technisch effizient. Sein Büro führt neben den Namen der Partner das Konzept im Namen: »Petzinka Pink Technologische Architektur«. Auch bei der »Revitalisierung« alter Gebäude beschäftigt Petzinka sich gern mit technischen Lösungen, die ein vorgeblich »nicht nutzbares« Denkmal wie die Bochumer Jahrhunderthalle eben doch für moderne Nutzungen ertüchtigen. Auf diese Leistungen ist Petzinka sichtlich stolz, wenngleich er damit hadert, dass die Leute für den Charme solcher Lösungen oft wenig Verständnis zeigen, dass sie an der »komischen Rautenform« seines Düsseldorfer »Stadthauses« – dem Sitz der Staatskanzlei – mäkeln (sie hat mit der ausgeklügelten Klimatisierung zu tun) und an den »schrägen Stützen« der Jahrhunderthalle (sie geben dem Ganzen seinen Halt).
Mag sein, dass solche Erfahrungen ihn darin bestärkt haben, nach so viel Funktionalität einen neuen Schwerpunkt zu setzen: die Emotionalisierung von Gebäuden. So baut er denn jetzt Häuser, die funktional noch immer alles bieten, was man braucht, die aber – durchaus auch mit purer Dekoration – etwas für die Emotionen bieten. Eine erstaunliche Mischung aus solchen Elementen ist sein Plan für die Zentrale der Wohnbaugesellschaft THS, deren Geschäftsführer er ist. Der kubische Förderturm über Schacht 2 der ehemaligen Zeche Nordstern, so kalkulierte der Technologe Petzinka, hatte früher gewaltige Lasten zu tragen – also gebe es ein nicht genutztes Potenzial für neue Aufgaben. So entstand die Idee, im Turm ein Museum für Videokunst zu installieren und dem Kubus dafür neue, gläserne Stockwerke aufzusetzen und als Krönung noch einen 15 Meter hohen »Herkules« von Markus Lüpertz.
Mit diesem Emotikon stieß Petzinka auf geteilte Reaktionen. Die Denkmalschützer seien »Feuer und Flamme« gewesen, sagt der Architekt. Begeistert waren sie wohl nicht zuletzt deshalb, weil Technologe Petzinka das Innere des vom Salzfraß existenziell bedrohten Turms ohne Aufhebens schon denkmalgerecht hat umbauen und konservieren lassen. Protest aber kam von Bürgern des Nordstern-Stadtviertels Horst: Denen sind Aufsatz und Skulptur zu viel, überflüssiger Schnickschnack. Außerdem fürchten sie, dass die THS wohl ihrer Verpflichtung nicht mehr gerecht werden würde, alljährlich einen großen Weihnachtsbaum auf dem Turm zu fixieren. Auch eine Art denkmalschützerischer Bedenken. »Der Tannenbaum bleibt«, wehrt Karl-Heinz Petzinka ab. Und »Lüpertz oder nicht – das ist mir egal. Der Turm ist auch nicht mein Denkmal, so etwas brauche ich nicht mehr.« Es gehe auch nicht um ein Prestigeprojekt der THS, sondern darum, dass künftig junge Leute noch sehen können, wie so ein Förderturm mal funktioniert hat. Hat er »erlebbar« gesagt? Gut möglich.
Insgesamt, sagt Petzinka, sei Widerstand gegen Projekte aber keineswegs eine typische Erfahrung bei »2010« – im Gegenteil. Mehr als anderswo gebe es im Ruhrgebiet »die Freiheit, Dinge zu tun«, die anderswo nicht gingen. »Wir sind eine unkonventionelle Kulturhauptstadt.« Insofern gefällt ihm auch der neueste Spruch der Ruhr.2010: »Wo das geht, geht alles«. Und das, so Petzinka, sei auch noch wahr, wenn es bei dem einen oder anderen Projekt »erst 2012 etwas wird«. //