// Schicht auf Schicht: »Im Prinzip eine endlose Ablagerung.« Per Kirkeby vergleicht seine Malerei gern mit erdgeschichtlichen Prozessen. Er spricht von Sedimentierung, von Eruption, beschreibt die eigenen Gemälde als »Summierung von Strukturen«. Genauso schauen sie auch aus: Hier bauen sich Lage für Lage tektonische Gebilde auf. Dort sieht man geschichtete Flächen von feinen Liniengespinsten überzogen. Anderswo versucht das Auge, durch wild wucherndes Grün in die Tiefe zu dringen. Übermalen, abtragen, hinzufügen – manchmal, so Kirkeby, sitze er mehr als ein Jahr an einem Bild.
Die Verbindung zwischen Vorgängen in der Natur und dem eigenen künstlerischen Schaffen wird für den 1938 in Kopenhagen Geborenen zur Maxime. Zu Recht verweist man immer wieder auf den naturwissenschaftlichen Background des Malers mit dem Doktortitel, der vor seiner Künstlerkarriere ein Studium der Geologie abschloss und diverse Grönland-Expeditionen absolvierte. Was sich in den Schichten seiner Werke – über das Naturwissenschaftliche hinaus – noch so alles verbirgt, wird nun im museum kunst palast sehr schön zur Anschauung gebracht.
Zehn Jahre sind vergangen seit Kirkebys letztem größeren Gastspiel im Rheinland. Damals feierte die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Gemälden der 80er und 90er Jahre den reifen Maler. Damit gibt sich die aktuelle Schau nun nicht zufrieden. Hier wird das gesamte Schaffen gesichtet. Von den Anfängen bis zu jüngsten Arbeiten, quer durch alle Medien.
Düsseldorf übernimmt diese Retrospektive von der Londoner Tate Modern, kann sie aber noch um einige Stücke erweitern. Mit rund 250 Gemälden, Zeichnungen, Skulpturen und Büchern aus fünf Jahrzehnten entsteht ein wirklich rundes Bild des dänischen Universalkünstlers. Man sieht Kirkeby als Schöpfer winziger Architektur-Modelle und amorpher Bronzeskulpturen, die offensichtlich auf Rodins Vorbild bauen. Man lernt ihn als Macher durchaus unterhaltsamer Experimentalfilme kennen – das Repertoire reicht von Dracula bis zu Brigitte Bardot. In sehr selten gesehenen Collagen beobachtet man, wie der Künstler Bildideen durchspielt. Seine literarische Ader belegen daneben rund 80 eigenständige Veröffentlichungen – Gedichte, Tagebuchnotizen, Bemerkungen zur Architektur. Oder auch monografische Texte, in denen er oft recht originelle Gedanken zu Leben und Werk diverser Künstlerkollegen äußert.
Alles zusammen hilft dabei, ein Stückchen weiter vorzudringen in den Kosmos Kirkeby. In die Welt seiner Gemälde, wo sich aus Geologie, Literatur, Historie und sehr viel Kunstgeschichte, aus Landschaft, Natur und Malereitradition ein ziemlich eigenwilliges, immer mehrdeutiges, hoch assoziatives Gemisch zusammenbraut. Denn am meisten Raum in Leben, Werk und Ausstellung nehmen natürlich die Bilder ein.
Kirkeby startet seine Malerlaufbahn in den 60ern, als Fluxus, Happening und Pop Art die Szene bewegen und das traditionelle Arbeiten mit Pinsel und Farbe eigentlich unmöglich, weil anachronistisch erscheinen lassen. Das ist wohl auch dem jungen Kirkeby klar. Vielleicht greift er auch deshalb zunächst zu unkonventionellen Materialien: Hartfaserplatten im Standardformat, Haushaltsfarben und einfache Pinsel, »solche, mit denen du dein Fahrrad anstreichst«. Die Düsseldorfer Ausstellung zeigt eine ganze Reihe von Beispielen aus dieser bisher weniger beachteten, obgleich in mancher Hinsicht wegweisenden Frühphase.
Manches erinnert in diesen Bildern auf Masonit an seinerzeit angesagte Ausdrucksweisen. Vor allem die Pop Art stand Pate. »Sie war ein Schlüssel, der es möglich machte, eigene Erfahrungen zu nutzen«, sagt Kirkeby. Und meint damit wohl in erster Linie visuelle Effekte der Massenmedien, die er damals immer wieder einfließen lässt. Als Motivquellen dienen ihm Illustrierte und bebilderte Bücher, Tintin-Heftchen und Spaghetti-Western. Die Vorlagen bleiben natürlich nicht unverändert – Eindeutigkeiten sind offenbar schon dem jungen Künstler zuwider. Pop scheint nur als eine unter vielen Komponenten interessant. So kombiniert Kirkeby das Vorgefertigte mit Malerei: Landschaftsformen, schneebedeckte Dächer. Auch ornamentale Ideen mischen sich ein, dazu stilisierte Porträts und Architekturelemente. Gestische Partien, die Informellem ähneln, stehen neben klar abgegrenzten Flächenformen.
Dabei weist einiges voraus auf das spätere malerische wie plastische Werk des Künstlers. Vor allem das überschaubare Repertoire an Gegenständen: Höhle, Berg, Baum, einfache Motive wie diese bleiben wichtig. Die architektonischen Formen in den Frühwerken geben einen Vorgeschmack auf die Backsteinplastiken, und die amorphen Elemente werden in den späteren Bronzeskulpturen aufgegriffen. In der Düsseldorfer Werkschau entspinnt sich ein ganzes Netz von Querverbindungen.
Beispielhaft verfolgt die Ausstellung gleich zu Beginn das Motiv der Hütte: 1967 sieht man die einfache Behausung auf Masonit gebannt. Ein paar Jahre darauf entsteht das winzige Hütten-Modell in Bronze. Auf einer Leinwand der späten 80er ist das Häuschen als solches kaum mehr auszumachen. Das Malerische hat die Oberhand gewonnen.
Neben solch konkreten Dingen oder Ideen zieht sich das Prinzip der Unbestimmtheit, der unbegrenzten Mehrdeutigkeit durchs Schaffen, eröffnet immer und überall die Möglichkeit endloser Assoziationen. Alles ist offen. Das Licht der Ambivalenz sei ein himmlisches, hat Kirkeby einmal erklärt. Es schien bereits auf den Masonitplattenbildern. Nach Kirkebys Abschied von der schnöden Industrieware und den klar entzifferbaren Gegenständen, nach seinem Schwenk zur Peinture pure erfährt es seit den späteren 70ern eine Steigerung, wenn der Maler auf vernebelten Leinwänden im lockeren Pinselduktus vor allem landschaftlich Anmutendes ausbreitet.
Etwa im Querformat mit dem Titel »Fram«: Silbriges Grau und kreidiges Weiß bestimmen die Szene, dagegen stehen im rechten Teil der Leinwand Akzente in ocker und orange. Die Töne scheinen halbtransparent, stellenweise auch opak. Die Farbe, zuweilen fließend, gerät hier und da ins Stocken, bildet Schollen und Inseln. Gegen dünne, scharf gezogene Striche wenden sich weiche Schlängellinien, die auftauchen und wieder verschwinden. Ein ungegenständliches Werk, dessen Formen und Farben allein für sich stehen? Kirkeby führte auf eine andere Fährte, als er die Vorbilder seiner Komposition aufdeckte: Caspar David Friedrichs »Eismeer« und der umgestürzte Kelch aus einem klassischen Stillleben. Die prominenten Requisiten aus der Malereitradition sind zur scheinbar abstrakten Einheit verschmolzen.
Zu Beginn seiner Malerkarriere stand Kirkeby mit dem Pinsel in der Hand am Rande des aktuellen Kunstgeschehens, das andere Darstellungsformen favorisierte; im Malerei-Revival der 80er aber rückte der Kopenhagener zusammen mit Kollegen wie Markus Lüpertz oder Georg Baselitz direkt ins Zentrum des Interesses und behauptet bis heute seine Stellung als Star.
Im großen Saal des museum kunst palast kann sich vor allem sein späteres Schaffen eindrucksvoll ausbreiten. Während zuvor erdige Töne oft an Natur denken ließen, werden nun klare Farben wichtiger. Pulsierendes Rot, warm-glänzendes Goldgelb, auch kräftiges Blau. Vorübergehend schiebt Kirkeby hier und da eine waagerechte Barriere ins Bild. Ein gemaltes Brett, das sich von links nach rechts über die Leinwand legt, als wolle es dem malerischen Überschwang Einhalt gebieten. Vielleicht, so wurde vermutet, steht die hölzerne Sperre in Verbindung mit einem um 2000 erlittenen Schlaganfall, den Kirkeby selbst als Wendepunkt empfindet. In jün-gerer Zeit sieht man den Balken nicht mehr. Leichtigkeit macht sich wieder breit. Ungestört badet der Blick etwa im »Leisen Wellenschlag, grün«, wo Kirkeby mit leuchtenden Tönen Erinnerungen an das wunderbare Wuchern einer undurchdringlichen Unterwasserwelt weckt.
Zu den neuesten Produktionen auf dem Düsseldorfer Parcours zählt ein Großformat namens »Portugalien«, 2008 auf der Insel Læsø vollendet, wo Kirkeby für gewöhnlich den Großteil des dänischen Sommers verlebt. Lockere Pinselstriche prägen die bewegte Struktur, warm leuchtendes Gelb, dunkles Rot, üppiges Grün bestimmen die Palette. Die Leinwand verströmt Licht, das an Felder in der Sommersonne denken lässt und sogleich an van Gogh in Südfrankreich.
Wie so viele von Kirkebys Werken trägt auch dieses einen Titel, der das Verständnis kaum befördert, im Gegenteil bloß weitere Deutungsebenen zu öffnen scheint. Diesmal spielt der Künstler auf einen Roman an: »Der Kaiser von Portugalien«, 1914 verfasst von Selma Lagerlöf. Es ist eine Geschichte um Hoffnung, Wahrheit, Lügen und Selbsttäuschung. Doch was tut das hier zur Sache?
Kirkeby selbst ist offenbar nicht ganz wohl bei der Verwirrung die er da anrichtet. »Ich bin ein Maler und ich habe ein Bild gemalt«, ruft er den ehrgeizigen Sinnsuchern entgegen. »Ein Bild erschließt sich nicht aufgrund eines Titels oder aufgrund von Erklärungen – man hat sich damit abzufinden, dass es angeschaut werden muss.« //
museum kunst palast; bis 10. Januar 2010. Tel.: 0211/8990200; www.museum-kunst-palast.de