TEXT: ANDREAS WILINK
Heinrich VIII. soll beim Ritt durch diese Gegend, so erzählt Paul Raymond seiner Tochter Debbie, als sie im Rolls Royce mit dem Kennzeichen PR II die Straßen des Viertels kreuzen, den Jagd- und Schlachtruf »Soho« ausgerufen haben – und Londons Stadtteil hatte seinen Namen. Raymond ist der King von Soho, aber der Film von Michael Winterbottom zum Glück nicht zu vergleichen mit Dieter Wedels gemütlich-kleinkariertem »König von St. Pauli«. Eher schon mit Chabrols Sezierlust oder, um noch höher zu greifen, mit Fellinis »Casanova«.
Dieser Paul Raymond, der einmal Geoffrey Quinn hieß und aus bescheidenem Elternhaus in Liverpool stammte, wird bis ins Alter zwanghaft die Gymnastik des Geschlechtsverkehrs mit wechselnden jüngeren Partnerinnen betreiben, unterstützt und stimuliert von Champagner, Kokain und – in seinem von Ringo Starr designten Penthouse – einem ausfahrbaren Dach direkt über dem Riesenbett, so dass das Firmament mit Mond und Sternen das leibliche Gemenge überglänzt.
Er ist ein Mechaniker des Sex – und sein genialer Vermarkter. Raymond beginnt in den 50er Jahren mit Striptease-Bars und Nachtclubs, wo zunächst harmlos die Hüllen fallen, die Busen freigelegt und mit viel Federn umfächert werden. Erzählt wird die authentische Geschichte des englischen Boulevard-Lieblings (1925 bis 2008) in langen Rückblenden, wenn der graue Wolf nach dem Drogentod von Debbie (Imogen Poots) sich mit der Vergangenheit konfrontiert: sein Leben buchstäblich »Revue« passieren lässt, zunächst in Schwarzweiß und in der rührenden Frivolität der Nachkriegsepoche. Dann wechseln die Kleider, Frisuren und Songs. Farbe kommt ins Spiel. Das London der Sixties mit Goldfinger-Touch und dem Look von »Blow Up« treibt es bunt; in den 70ern und 80ern wird das Geschäft härter, schmutziger, vulgärer, auch kostspieliger. Raymond lässt die Puppen tanzen, produziert Sex-Comedies wie »Pyjama Tops«, die sich dadurch auszeichnen, dass Mädchen nackt posieren und in einem Schwimmbassin abtauchen, darunter auch Fiona (Tamsin Egerton), die bald seine Lebensgefährtin wird und für die er Ehefrau Joan (Anna Friel) und die beiden Kinder verlässt und die Scheidung nach Zahlung einer enormen Abfindung erreicht. Er etabliert das Magazin Men Only und kauft halbe Straßenzüge auf. Am Ende soll er 650 Millionen Pfund besessen haben. Die einzig stabile Beziehung aber hat er zu Debbie, deren fatale Neigung so werden zu wollen wie ihr Vater, sie das Leben kosten wird.
»The Look of Love« ist so herb wie Burt Bacharachs Song, den 1967 Dusty Springfield sang und der neben Bacharachs »Anyone who had a Heart« von 1963, für Dionne Warwick geschrieben, die Leitmelodie vorgibt.
Raymond, der wie der mythische Midas alles, was er anfasst, zu Gold macht, sieht bei Steve Coogan aus wie eine Kreuzung au Rolf Eden und Donald Sutherland. Er hat das Auftreten eines Gentlemans und seriösen Geschäftsmannes, wirkt charmant, kultiviert und gewandt. Nur seine Haare trägt er zu lang, zu lockig, zu aschblond. Am Ende kauft Paul Raymond seiner Enkelin Fawn in derselben Patisserie Leckereien, von denen Debbie einstmals wunschgemäß viel zu viele bekam. Einmal ist eben nie genug.
»The Look of Love«; Regie: Michael Winterbottom; Darsteller: Steve Coogan, Anna Friel, Tamsin Egerton, Imogen Poots; GB/USA 2013; 99 Min.; Start 29. August 2013.