TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
»Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich seriös genug wäre für ein Museum wie dieses!« Wieder so eines der lässig aus der Hüfte geschossenen Zitate Karl Lagerfelds; so gesagt bei der Presse-Audienz zur Eröffnung seiner Ausstellung »Parallele Gegensätze« in Essen. Lagerfeld stapelt gerne tief, wenn es um seine Person geht; um ihn, den international erfolgreichen und anerkannten Modedesigner, Fotografen, Filmemacher, Sammler und Verleger. Balmain, Patou, Chloé, Fendi, Chanel – mehr Eleganz und Pariser Chic geht nicht. Medien und Bewunderer nennen ihn »Meister«, »Mode-Zar«, »König Karl« oder »Karl den Großen«; zum Gott hat es bisher nicht gereicht, aber das kommt vielleicht noch. Eine Lichtgestalt ist er allemal – im Foyer des Museum Folkwang hängt dann auch eine Art Lagerfeld-Starschnitt in Lebensgröße, umglüht von einem blauen Neon-Lichtband, einige Zentimeter über den Boden schwebend.
Keine Frage – das Folkwang hat sich mit Lagerfeld einen großen Namen ins Haus geholt. Diejenigen, die das ein wenig irritiert und die mit dem Museum stets hohe Kunst ohne Bank- und Haarpflegesponsor verbinden, werden von offizieller Seite stets auf den Museumsgründer Karl Ernst Osthaus verwiesen, dessen Bestreben es war, die Grenzen zwischen freier und angewandter Kunst zu überwinden. Und auch sonst freut man sich, ein wenig Glamour nach Essen geholt zu haben – »Glanz, Pracht und Luxus sind ja sonst gewiss nicht im Ruhrgebiet zuhause«, stellte Museums-Direktor Tobia Bezzola vor der versammelten Presse fest. Auch Lagerfeld selbst wurde auf das Ruhrgebiet angesprochen, sammelte sich beim Sprechen, bekannte, das Ruhrgebiet noch als Ruinenlandschaft zu kennen, und ja: »Ist ja ganz schön gemacht.«
ICH HASSE RETREOSPEKTIVEN
Die Ausstellung hat Lagerfeld zusammen mit den Kuratoren Gerhard Steidl und Eric Pfrunder konzipiert, als Rückschau will er diese aber nicht verstanden wissen, das habe so was Endgültiges: »Ich hasse Retrospektiven.« Und: »Man darf sich nicht mit Wohlgefallen in seiner eigenen Vergangenheit herumräkeln.« Der Mann hat keineswegs vor, sich zur Ruhe zu setzen, weder physisch noch mental. Das bekam auch eine Journalistin zu spüren, die wissen wollte, ob er, Lagerfeld, denn noch immer mit echten Pelzen arbeite, und als Entgegnung einige Sätze Nachhilfe in Material-kunde erntete, gefolgt von der Feststellung: »Solange Sie Lederschuhe tragen und Fleisch essen, halte ich diese Frage für uninteressant.«
Die Welt des Karl Lagerfeld ist im Folkwang 1.400 Quadratmeter groß, die über 400 Exponate wie Zeichnungen, Fotografien, Designobjekte, Bücher, Plakate, Bühnenbilder und Haute Couture-Modelle aus der aktuellen Chanel Herbst/Winter-Kollektion sollen den Modemacher in seinen sämtlichen künstlerischen Facetten zeigen. Was aber nutzt Größe, wenn die Nähe fehlt? Natürlich kann man einer Schau, die dermaßen perfekt auf eine Person ausgerichtet ist und die daran auch noch mitgearbeitet hat, keinen Mangel an Persönlichkeit vorwerfen. Dennoch: Nach dem Gang durch die Kabinette wünscht man sich fast, dass sich Lagerfeld selbst musealisieren möge, sich bis Anfang Mai auf einen Stuhl in die Ausstellung setzt und einfach Karl Lagerfeld ist – zeichnend, denkend, fotografierend, nebenbei einige seiner Bonmots unter das Volk streuend. Er könnte auch an seinem interessant geschnitzten Arbeitstisch Platz nehmen, der als Teil von Lagerfelds Studio in der Ausstellung aufgebaut ist und auf dem für einen kreativen Geist erstaunlich wenig Chaos herrscht. Skizzenhefte liegen im rechten Winkel, ebenso die Stifte, Kreiden und Klebestifte; kein achtlos liegengelassener Notizzettel stört die Inszenierung. Aber vielleicht ist der Mann in dem was er tut, tatsächlich so organisiert.
Auch die sich anschließenden Bilderreihen wirken in ihrer kampagnenhaften, perfekten Darstellung distanziert und oberflächlich, alles scheint genau berechnet zu sein und mit Bildbearbeitungsprogrammen der Realität entglättet. Inszenierte Modefotografie eben, und doch möchte man, Nam June Paik zitierend, ausrufen: »When too perfect, lieber Gott böse!« Lagerfeld hat sich mit mehreren foto-grafischen Hommagen an Künstler wie Feininger und Hopper angenähert und deren Bildwelten nachempfunden, in »Suite 3906, Hommage à Edward Hopper« ist er auf einem Bild selbst zu sehen und kommt, anders als die von ihm fotografierten Luxus-Models mit den immer gleichen Gesichtsausdrücken, allein in der Hotelzimmerkulisse der Hopperschen Verlorenheit schon recht nahe. Andere Bild-Serien, wie Lagerfelds sepiafarbener Fotoroman »Faust« (1994), wirken unfreiwillig komisch, wenn Claudia Schiffer als Gretchen im Gebüsch von David Copperfield als Mephisto aufgelauert wird, der sich sichtlich um eine bedrohliche Mimik bemüht. Und auch die knallbunten Frisuren-Motive der von ihm fotografierten Schwarzkopf-Kampagne hätte man wahrscheinlich in Magazinen außerhalb des Museums so zügig wie mutwillig überblättert.
SIEBEN MODELLE
Interessant wird die Ausstellung dort, wo sie Lagerfelds Persönlichkeit und Originalität dokumentiert. Etwa in den so leicht wirkenden Strichen in seinen Zeichnungen der aktuellen Chanel-Kollektion, in den eigens entworfenen Bühnenbildern der Chanel-Shows und natürlich in seiner Kollektion. Sieben Modelle, alles Originale, wurden in der Ausstellung auf einem Catwalk nach dem Vorbild der Chanel-Modenschau vom Oktober 2013 inszeniert – hier wird der verschwenderische Glamour der Pariser Modewelt spürbar, auch wenn man in der Ausstellung eines Modedesigners mehr dieser textilen Kreationen erwartet hätte. Wer sich beim Gang durch die Schau irritiert fragen sollte, wer denn die Dudelmusik auf die Hausanlage gelegt hat – auch das gehört zum Konzept, um den Besucher die Atmosphäre der Modenschauen zu vermitteln. Da pluckert es housig oder es soundtrackt enniomorriconesk im Breitwandsound – ob es der Stimmungsfindung dient, sei dahingestellt.
Viel mehr lohnt in diesem Zusammenhang ein Blick auf die Architekturmodelle für die Chanel-Shows im überdimensionierten Pariser Glaspalast »Grand Palais«, die Lagerfeld als eine Art Ken Adam der Modewelt erscheinen lassen. Ähnlich dem legendären Szenenbildner der Bond-Filme, beweist Lagerfeld hier Mut zum grandiosen Größenwahn, in dem er für die kurze Zeitspanne einer Modenschau einen Aufwand betreibt, der selbst in der Mode- und Werbebranche nicht mehr selbstverständlich ist. Beim Prêt-à-Porter im Frühling 2013 stöckelten die Models durch einen Wald aus fast maßstabsgetreuen Windenergierädern, die auf einem Laufsteg aus Solarzellen standen. Im Herbst 2013 bildete eine riesige, monochrome Weltkugel die Kulisse für Lagerfelds Kollektion; in diesem Globus waren, wie bei einem Eroberungsfeldzug, schwarze Fahnen samt weißen Chanel-Logos in die verschiedenen Länder gesteckt worden. Höhepunkt dieser Sets ist mit Sicherheit das baufällige Kino, das Lagerfeld als geschlossenen Raum im »Grand Palais« errichten ließ. Im Inneren bröckelten der Putz und die Logen, als würde das Kino tatsächlich seit Jahrzehnten verfallen; da wo sich die Leinwand befinden sollte, klaffte ein Loch in der Mauer, das den Blick auf eine futuristische Skyline freigab, als hätte sich Lagerfeld von der zerbröselnden Stadt in Christopher Nolans »Inception« inspirieren lassen. Die Besucher nahmen auf den Kinoklappsesseln Platz, während die Models nicht auf einem Catwalk, sondern durch die Gänge zwischen den Stuhlreihen defilierten.
Auch hier wird deutlich: Karl Lagerfeld ist der Großmeister der Inszenierung und des schönen Scheins. Konsequenterweise hat man den Museums-Shop direkt in die Ausstellung integriert und sich dabei aber auf Druckwerke Lagerfelds statt Merchandising-Tand beschränkt. Keine Sonnenbrillen, Puderdosen oder Chanel-Gummibärchen, sondern Bücher, Bücher und nochmals Bücher, wie in Lagerfelds eigenen Pariser Buchhandlungen »7L« und »L.S.D.«. Neben Katalogen und Fotobüchern gibt es eine Ecke, in der auch Belletristik zu finden ist – »Was ich lese. Hier finden sie alle Bücher, die Karl Lagerfeld gerade liest oder gelesen hat« – darunter Kästner, Nietzsche und Nabokov. Bücherschränke können viel über einen Menschen verraten, taugen aber auch zur intellektuellen Image-Pflege. Mittendrin liegt ein Buch, das wirkt, als hätte es Lagerfeld mit einem feinen Lächeln dazwischengeschmuggelt; das Cover ziert eine deutsche Pickelhaube, der Titel lautet: »petite histoire de la germanophobie«. Man könnte es für Ironie halten. Für eine kleine Störung in der Oberfläche.
»Karl Lagerfeld: Parallele Gegensätze«, 15. Februar bis 11. Mai 2014, Museum Folkwang, Essen. Tel: 0201. 8845 000. www.museum-folkwang.de