TEXT: ANDREAS WILINK
Wenn man ernst nehmen könnte, was hier dramaturgisch ein Franzose über Heranwachsende in der späten DDR und über wiedervereinigte, erwachsen gewordene Wohlstandsbürger erzählt, könnte das Stich- und Schlagwort lauten: der Mensch als Verfügungsmasse. Es wird gefälscht, getrickst, gelogen, betrogen, verraten, manipuliert, entführt und getötet. Das Leben der Anderen fällt auf die eigene Existenz zurück – und wird sie vernichten. Prolog: Der Schüler Paul liebt Anna, die seinen Freund Georg liebt. Paul fälscht Annas Handschrift und gibt Georg einen angeblichen Brief Annas, in dem sie Schluss macht mit ihm, was der ohne mit der Wimper zu zucken zur Kenntnis nimmt. Statt seiner solle doch Paul Anna (bis auf weiteres) übernehmen und ihm zudem Ersatz beschaffen. Zufällig zeigt Paul auf Yvonne, Georg muss nur noch deren Punk-Freund Daniel ausschalten, was dem Sohn eines Hauptmanns der Volkspolizei keine Mühe bereitet. So waren die Verhältnisse. Das Ganze passierte an Pauls Geburtstag. 30 Jahre später ist Paul erfolgreicher Investment-Banker, Anna (Marie Bäumer) seine Frau und Professorin für Mikro-Biologie, sie haben zwei Kinder, Tochter Emilie gleicht der Anna von damals. Georg wird Pauls neuer Chef und ist – methodisch, emotionslos und kalt bis ans Herz – der Teufel, möglicherweise. Will Georg, der immer noch mit der damaligen Yvonne in zynischer, strategischer Gemeinschaft liiert ist, Anna zurück, will er Paul ruinieren oder etwas bzw. jemand anderes? Währenddessen wird die Rache von dritter Seite vorbereitet und exekutiert.
Denis Dercourt wollte wohl einen Film noir, ein unbehagliches Bezieh-ungsdrama in politischer Absicht und eine Parabel à la Jean Renoir über das deutsche unglückliche Bewusstsein drehen. Wie er dabei für seine Zwecke mal eben mit links Weltkrisenherde und Weltfinanzmärkte einspannt, wie er seine Figuren wie Roboter reden, in Maskenhaftigkeit erstarren und aus toten Augen blicken lässt, um die Kälte des bürgerlichen Subjekts anschaulich zu machen, wobei doch nur versteiftes Spiel herauskommt, bleibt so abstrus wie rätselhaft. Es gehört schon viel dazu, Sophie Rois als sarkastisch vergiftete Yvonne blöd aussehen zu lassen. Indes müssen Mark Waschke (Paul) und Sylvester Groth (Georg) achtgeben, sich nicht von ihrer Fernseh-Routine neutralisieren zu lassen. Im Vergleich mit den »Großen« sind die Darsteller ihrer früheren Ichs so frisch, frei und unvoreingenommen sich selbst gegenüber, dass man sich gewünscht hätte, der Prolog wäre die Hauptsache – und die Geschichte käme nie an ihr abruptes Finale.
»Zum Geburtstag«; Regie: Denis Dercourt; Darsteller: Mark Waschke, Marie Bäumer, Sylvester Groth, Sophie Rois, Johannes Zeiler, Saskia Rosendahl; D 2013; 86 Min.; Start: 19. September 2013.