Text Andreas Wilink
Vor dem großartigen Werk des Fotokünstlers Horst P. Horst, wie es sich im Düsseldorfer NRW Forum präsentiert, steht ein unsichtbares Verbotsschild: Jeglicher wie auch immer gearteter Erscheinungsform des Natürlichen ist der Zutritt höflichst untersagt.
Ein Kapitel der vom Londoner Victoria and Albert Museum konzipierten Ausstellung mit klassischer Mode-Fotografie in Schwarzweiß, mit Porträts, Reise-Bildern, Stillleben, Akt-Studien, Naturaufnahmen und einem knalligen Finale heißt »Stage and Screen«. Die Überschrift könnte über beinahe allen Arbeiten von Horst P. Horst stehen, in denen das Dekor eine normale Lebensregung löscht oder das Ornamentale des Gegenstandes selbst absolut gesetzt wird, wie bei den Expeditionen zu Flora und Fauna, zu Schmetterlings-Flügeln, Muscheln, Stein oder Blattwerk.
Die Kunstgeschichte wird von dem flamboyanten Horst P. Horst zwar auch als schmückendes Requisit eingesetzt, aber mehr noch als essentielle Referenzgröße seiner Fotografie. Das gilt besonders für die Epochen der Klassik und der Renaissance, die den Körper feierten, für das strenge Bauhaus und den fantastisch ausschweifenden Surrealismus. Hier ein Hieronymus-Bosch-Monster, dort Köpfe wie von De Chirico hingerollt, mal ein Akt wie von Ingres,dann ein himmlischer Botticelli-Engel im Hintergrund, eine Giacometti-Lampe oder Magritte-Wolken. Mit Salvador Dalí verband HPH Zusammenarbeit, wenn sich ein Hände-Ballett bewegt, ein Kopf vom Körper abgetrennt scheint, Blätter von Ästen herabschmelzen, Uhren die verlorene Zeit anzeigen.
Der Entstehungsprozess einer Studio-Aufnahme blättert sich wunderbar in seinem (als Lichtschaukasten projizierten) Skizzenbuch auf, das belegt, was für ein toller Zeichner HPH war und wie er etwa das legendär gewordene Motiv des »Mainbocher-Corset« (1939) auf dem Papierblock präzise präpariert hatte.
Horst P. Horst hat früh die Stars – Joan Crawford, Gary Cooper, Bette Davis, Rita Hayworth, Vivien Leigh, Ginger Rogers –wie Models fotografiert und die Models als Stars inszeniert. Der Wille zum ästhetisch Absoluten hat den 1906 geborenen Horst Paul Albert Bohrmann aus Weißenfels an der Saale 1930 nach Paris geführt, zunächst in das Architekturbüro von Le Corbusierund bald zu dem Freund und Förderer George Hoyningen-Huene, dem Cheffotografen der französischen Vogue. Und von dort dann im Jahr des Kriegsausbruchs nach New York.
Hoyningen-Huene übrigens wurde in Hollywood Berater von George Cukor, dem fabelhaften Frauen-Regisseur und Meister der sophisticated maliziösen Screwball-Comedy.
Bühne und Leinwand. Jede Aufnahme von Horst P. Horst ist komponiert wie ein glamouröser Film-Still – Miniatur-Filmgeschichte in nur einer Einstellung. Verbergen, um zu enthüllen! HPH umgab wie der große Josef von Sternberg, dessen Filme er studiert haben muss, die Frau mit der Magie von Licht und Schatten als Geheimnisträgern. Wohin man schaut: Faltenwürfe, Stoff-Kaskaden, Vorhänge, Säulen, Portale, Prospekte, Rahmungen, Kulissen, Gerafftes, Plissiertes, Spitzen, Arabesken. Verschleierungstaktik. Ganz großes Theater. Hier könnte Fred Astaire tanzen. Hier könnte die Garbo schweigen.
HPH legt Coco Chanel wie ein selbstbewusstes Schneewittchen auf eine Louis-XVI.-Ottomane; platziert die schöne Lisa Fonssagrives als Akt hinter die Saiten einer Harfe, um die Konturen des Körpers im Dialog mit dem filigranen Instrument noch zu potenzieren; bringt Marlene Dietrich in zeitlicher Vorausschau von »Zeugin der Anklage« in die Rolle der souveränen Szene-Beherrscherin.
Auf der gemeinsamen Schönheitslinie von Hoyningen-Huene und Horst lag auch Cecil Beaton. Der gegenüber HPH zwei Jahre ältere britische Foto-Dandy sagt: »Die Modephotographie ist eine tückische Profession. Sie ist in der Kunst, was Sex-Appeal in der Liebe ist. Kunstgriffe können gefährlich sein; bei falscher Anwendung zeitigen sie vulgäre, geschmacklose Ereignisse. Ihre richtige Anwendung ist eine Frage des Instinkts. Aufgabe des Modephotographen ist es, Illusionen zu schaffen.«
Als Beaton den ungemein gut aussehenden Horst 1948 vor dessen von Christian Bérard geschaffenem Porträt-Gemälde fotografierte, sieht man in dem Bild-Arrangement zu seinen Füßen eine Gießkanne. Selbst noch der arglos schlichte Gebrauchsgegenstand wurde in diesem Herren-Haushalt mit einem eleganten Streifenmuster verziert, als wäre ihm ein Haute-Couture-Mäntelchen umgehängt worden. Umgekehrt hatte HPH Beaton 1934 fotografiert, in mondän müder Pose. Beide Aufnahmen sind in Düsseldorf präsent.
Der Illusionist Horst hatte Instinkt, seine Bilder besitzen exquisiten Sex-Appeal. Das gilt für die silbrig-grau schimmernden Männer-Akte aus den fünfziger Jahren, deren abstrahierte Monumentalität und formale Gestaltung an Henry Moore erinnert. Gilt für die intensiv leuchtenden und, wären sie nicht so brillant, fast rabiaten Farbfotografien, die er parallel zu den Schwarzweiß-Serien machte und die am Schluss der Schau als Galerie der Großformate den Atem stocken lassen. Und gilt ebenso für Antiken-Objekte, die er etwa in Persepolis fand, als HPH mit seinem Lebensgefährten Valentine Lawford 1949 den Nahen Osten bereiste. Horst P. Horst, der betagt und geehrt 1999 in Florida starb, hat bis zuletzt an seinem Ideal festgehalten. 1987 kombinierte er auf einem »Rund um die Uhr« betitelten Foto: Pumps, Beine, Strapse, Tutu – ohne den Hauch von Vulgarität. Für diese Ansicht müsste auch eine Nonne sich nicht genieren.
NRW Forum, Ehrenhof 2, Düsseldorf; bis 22. Mai 2016; Katalog: »Photographer of Style«, Verlag Knesebeck, 336 Seiten, 400 Abbildungen, 49,95 Euro.