// Die Beschäftigung mit seiner Person hielt er für »verwässerndes Geschwätz« und »läppischen Biographismus«. Der höfliche Hugo von Hofmannsthal konnte ziemlich wüst gegen »pseudophilologische Anmaßung« zu Felde ziehen, wenn es um »empörende Indiskretionen und Taktlosigkeiten« wie die Veröffentlichung eines Bandes privater Briefe ging. Auch dann, wenn es sich dabei nicht um seine eigenen handelte.
Der österreichische Schriftsteller Walter Kappacher weiß Hugo von Hofmannsthal nicht unbedingt an seiner Seite, wenn er ihn ins Zentrum seines Künstlerromans »Der Fliegenpalast« stellt. Doch blickt er dem von ihm »H.« Genannten auf so intim-respektvolle Weise über die Schulter, dass von Anstandslosigkeit hier nicht die Rede sein kann. August 1924, das Jahr, in dem H. seinen 50. Geburtstag begangen hat: Für zehn Tage zieht sich der Schriftsteller ins sommerliche Kurbad Fusch im Pinzgau zurück. In seiner Jugend hatte er hier glückliche Wochen verbracht und war zuletzt 1908 zurückgekehrt, um am »Florindo« zu arbeiten. Mehr noch als um die Revitalisierung seiner Körperkräfte geht es ihm nun um die Belebung der Einbildungskraft. Denn die Arbeit am »Turm« stockt, genauso wie die am »Timon« und am »Andreas«, dem Fragment gebliebenen einzigen Roman. Nun soll also eine Luftveränderung helfen, der Aufenthalt an einem Ort, der mit Erinnerungen an bessere Tage besetzt ist.
Doch in den 16 Jahren von H.s Abwesenheit hat sich eine gefühlte Kluft epochalen Ausmaßes aufgetan, die Kappacher ganz wunderbar unpathetisch im Alltäglichen anzudeuten versteht. Im Grandhotel wurde mittlerweile das elektrische Licht eingeführt, das Haus aber hält schon lange nicht mehr, was sein Name verspricht. Unter den Betten finden sich Nachttöpfe. Im Speisesaal begleiten die Herren die Damen nicht mehr zu Tisch, und sie tragen geschmacklose Krawatten. Seit dem Krieg scheinen die Kellner ungeschickter und der Kaffee schlechter zu sein, selbst die Qualität der Bleistifte ist nicht mehr dieselbe.
Der von seinen Nerven in Krisen-Bereitschaft versetzte Schriftsteller sieht überall Verfallssymptome seiner Zeit. Einer Zeit, aus der er gefallen ist. Verschüttet fühlt dieser Hugo von Hofmannsthal sich im »Fliegenpalast« – wie all die anderen Dinge und Formen auch er ruiniert von den Veränderungen, die der Krieg mit sich gebracht hat.
Walter Kappachers H. ist ein Mann, dem die Schreibkrise von der Lebenskrise ununterscheidbar ist. Wie sollte es auch anders sein, hat er das Leben doch durch das Brennglas der Literatur zu sehen gelernt. »Mein Problem, das unüberwindlich scheint, ist, daß ich immer aus allem sofort etwas machen will« lässt Kappacher H. sich selbst vorwerfen. Doch das Machen will ihm nicht mehr gelingen.
Mit einem Minimum an Handlung kommt Kappacher aus, um diesen Niedergang zu skizzieren: Hofmannsthal erleidet einen Kreislaufkollaps, er macht die Bekanntschaft des Arztes Dr. Krakauer, der ihm fortan als Gesprächspartner dienen wird. Umso mehr lässt er Hofmannsthal sich mit sich selbst herumquälen. Dann sitzt der Erzähler in H.s Kopf und zieht die kreisenden Bewegungen eines Denkens nach, das keinen Halt mehr findet: in der Vergangenheit nicht und auch bei Werken und Namen nicht, die Kappacher reichlich und doch unaufdringlich gegeneinander verschiebt. Kaum ein Freund, von dem H. sich nicht missverstanden oder gekränkt fühlt. Er, der es in seinen erfundenen Gesprächen und fiktiven Briefen mit den Großen der Geis-teswelt aufnimmt, geht nun zu den Weggefährten auf Distanz, weil sie seinem Wunsch nach Austausch und Anerkennung nicht gewachsen scheinen.
Wer den »Fliegenpalast« betritt, muss kein Hofmannsthal-Kenner sein. Man kann diesen Künstlerroman für die unaufgeregte Sanftheit und beherrschte Melancholie bewundern, mit der Kappacher skizziert, wie da einem seine Welt zerfällt. Doch wer den Verzierungen des »Fliegenpalastes« auch nur annähernd gerecht werden will, kommt kaum umhin, sich für sie durch das Werk Hofmannsthal zu sensibilisieren. So ist Kappachers anspielungsreicher Roman ein Porträt des Künstlers als alternder Mann und zugleich eine herzliche Einladung, mal wieder Hugo von Hofmannsthal zu lesen. //
Walter Kappacher, Der Fliegenpalast; Residenz Verlag, St. Pölten, 2009, 172 S., 17,90 Euro