TEXT: ANDREAS WILINK
Dass Peter Lohmeyer die Farbe Blau mag, hat natürlich mit Schalke 04 und der Vereinsfarbe des Fußballclubs zu tun, dem er die Treue hält, seit er sechs Jahre alt ist. »Unter königsblauem Himmel bist du geboren, unter königsblauem Himmel wirst du sterben, und auf deinem Grabstein wird zu lesen sein, Steh‘ auf, wenn du Schalker bist.« So schrieb er in einem Beitrag für die SZ. Dass ihm Herz und Mund für den Rasensport übergehen, dass er selbst gekickt hat in der C-Jugend des VfB, zu seinen vielen »Elf Freunden« auch sein Jugendidol Günter Netzer zählt, dass er dem Kicker Auskunft gibt, Sportsendungen moderiert, mit Max Raabe und Heino Ferch den Song »Schieß den Ball ins Tor« aufgenommen hat, Dortmund wegen Borussia einen Ort bei Lüdenscheid nennt, lässt sich nicht überlesen. Dreiviertel aller Interviews mit Lohmeyer, dem »Libuda des deutschen Films«, handeln vom Fußball. Der ist für ihn: »Religion, Meditation, Freude, Trauer, Emotion, Seelennahrung«.
Von einem Pfarrerssohn mit Schauspielerkarriere erwartet man etwas anderes, wenn schon nichts Geistliches, so doch Poetisches. Wieso? Er würde dem Fußball »nicht die Poesie absprechen«. Außerdem: »Zuhause in Hamburg steht auch ein Klavier«. Man kann doch zwei Lieben haben. »Die völlig andere Welt« (gemeint ist der Fußball) »nehme ich mir. Die gab es für mich immer.« Ausweg aus dem Hermetischen der Kunstwelt; mit zurück bringt er dann etwas, das für beide Seiten »bereichernd und gesund« sei. »Draußen ist Alltag, drinnen Theater«. Und wo situiert er Film und Fernsehen? Da »hakt es künstlerisch etwas«. Wie sucht er seine Rollen aus? »Ich entscheide mich für die Geschichte.
Geboren im Sauerland, ging Peter Lohmeyer in Hagen zur Schule und machte mit im Schultheater, stand jung in Dortmund auf der Bühne, besuchte in Bochum die Westfälische Schauspielschule (»mein Megapraktikum«) und wurde von Claus Peymann engagiert. Jetzt kehrt der einstige Studienabbrecher mal wieder zurück an die Ruhr-Königsallee, um für Anselm Weber in John Cassavetes’ »Opening Night« (»Die Erste Vorstellung«) zu spielen.
EIN STÜCK ÜBER DAS THEATER
Ein Stück über das Theater, über Schauspieler und die Verschiebe-Mechanik von Rolle und Interpret. Etwas, das Lohmeyer nicht passiert, dafür ist er zu reell, zu normal. »Ich kann in jeder Situation aussteigen«. Das Original, der Film von 1977, besitzt eine Drehung mehr, denn Regisseur und Spielpartner einerseits und die Hauptdarstellerin waren in Wirklichkeit ein Ehepaar: die genialen John Cassavetes und Gena Rowlands. Dafür gewinnt die Bühne gegenüber dem Kino einen anderen Verdopplungseffekt: Das Theater spiegelt sich selbst.
Pedro Almodóvar widmet seinen Film »Alles über meine Mutter« drei Frauen: »Für Bette Davis, Gena Rowlands, Romy Schneider sowie für alle Schauspielerinnen, die Schauspielerinnen gespielt haben…« Er meint Rowlands in ihrer Rolle als Myrtle Gordon in »Opening Night«, geschrieben und gedreht von Cassavetes, der in der Geschichte zudem Myrtles Kollegen Maurice Aarons darstellt. Myrtle, eine Frau nicht bloß am Rande des Nervenzusammenbruchs, sondern einen Schritt weiter; eine Diva, die mit der Figur der Virginia nicht klar kommt, die sie in einem Broadway-Play – einem leicht geschwätzigen Beziehungsdrama – spielt, das in der Provinz voraufgeführt wird, bevor es in New York Premiere hat. Außerdem bringt sie der Unfalltod einer 17-Jährigen, die Myrtle am Bühneneingang um ein Autogramm bat und von einem Auto überfahren wurde, aus der Balance und konfrontiert sie mit sich selbst, ihrem Älterwerden, der Möglichkeit des Sterbens. Sie sucht Hilfe, driftet in den Alkohol ab, kann das fremde und eigene Leben nicht mehr auseinanderhalten. Das Spiel entgleitet ihr.
IMMER VOLL DA
Leben auf Probe, wie »Opening Night« es vorführt, ist Lohmeyers Sache eher nicht. Sein Leben ist immer voll da: »Worunter ich leide, ist, dass der Tag nur 24 Stunden hat«. Andererseits: »Vielleicht will ich manchmal auch zu viel mitnehmen.«
Ein zentraler Satz Lohmeyers als Maurice, dem weniger berühmten Kollegen Myrtles (die in Bochum Katharina Linder spielt), lautet: »Ich muss besser sein als Du, wenn ich das überleben will.« Ein anderer: »Du bist keine Frau, Du bist eine Schauspielerin«. Myrtle – raumgreifend, neurotisch, offensiv – ringt mit sich, den Tod vor Augen, kämpft um Liebe und Anerkennung. Maurice muss sich das, Lohmeyer kann sich das vom Leib halten: »Ich habe hier mit dem Tod nichts zu tun. Das fasse ich gar nicht an. Das ist auch die Behauptung meiner Figur im Stück. Maurice muss bestehen.« Cool bleiben – das kann Lohmeyer gut; Myrtles Tricks abwehren, ihre Krisen parieren, einen gut abgehangenen Sarkasmus anbringen.
Man kennt Lohmeyer schnoddrig und salopp, nicht etepetete. Ein Til Schweiger für den intelligenteren Zuschauer. »Lecker Pils für lau«, das geht ihm so runter. Das nimmt man ihm ab. Und in seinen Figuren eine Heldenhaftigkeit, die davon überzeugt ist, dass man nur verlieren kann, oder dass selbst, wenn alles gut wird, dies auch nicht die Lösung ist. »Ich weiß nicht, wenn so alles klappen würde …«, fragt er. Was gäbe es sonst als »den Reiz des Bruchs, der Tiefe, der dunklen Seite«? »Schlussendlich ist es das Leben.«
FAST HUNDERT MAL STAND ER VOR DER KAMERA
Der Regisseur Dominik Graf, mit dem er schon sehr früh gearbeitet hat, sagte über ihn in seiner Laudatio zur Verleihung des Hofer Filmpreises: »Man kennt das ja von früher aus der Schule: Da gab’s oft diesen einen Mitschüler, der vom Lehrer für jedweden Krawall im Unterricht verantwortlich gemacht wurde und dafür manchmal noch eine schallende Ohrfeige bekam und der trotzdem noch grinste. Er konnte nicht anders als grinsen, selbst wenn ihm Tränen in die Augen traten. Solche seltenen, heldenhaften Figuren habe ich in Peter Lohmeyer damals wiederentdeckt.«
»Ich kenn mich einfach nicht mehr aus. Es ist alles so fremd hier.« Bekennt er als Richard Lubanski, Kriegsheimkehrer, an Leib und Seele verwundet, und Vater von Matthes, in Sönke Wortmanns »Das Wunder von Bern«, bei dem sogar ein kaltschnäuziger Männerfreund wie Gerhard Schroeder geweint haben soll. Das war vor zehn Jahren –Lohmeyer besetzt seither eine Nische im Walhall des Deutschen Kinos. An die hundert Mal stand er vor der Kamera. Und immer wieder spielt er Theater. Zum Beispiel 1990 einen flackernd strahlenden Iason in Hans Henny Jahns »Medea« in Düsseldorf unter der Regie von Werner Schroeter: mutig über Grenzen gehend mit der Partnerin Barbara Nüsse. Im Sommer wird er der »Tod« im »Jedermann« in Salzburg sein, noch ein Ehrenabzeichen der populären Hochkultur.
Das Schalke-Blau lässt sich auch symbolisch nehmen. Es gibt die Blue Hour, wenn der Horizont verschwimmt, Zwielicht herrscht, die Stimmung nach Moll spielt und der Zeiger auf Melancholie steht. Lohmeyer ist kein lauter, kein Hau-Ruck-Schauspieler, kein Strahlemann. Er hat eine gewisse Härte, ist spröde, lakonisch, kann minimalistisch sein oder über die Stränge schlagen, den Fernsehkonsumenten-Alltag bedienen oder wider den Stachel löcken. Das wächst offenbar aus der Heimaterde, wie beim gleichaltrigen Martin Wuttke aus Gelsenkirchen, bei Armin Rohde, Joachim Król oder dem Düsseldorfer Westernhagen, als er noch der Revier-»Theo« war. Alle Mann: robust, widerständig, gegensinnig und empfindlich gegenüber Autoritäten. Authentisch, auch wenn das mittlerweile jeder zu sein vorgibt, ob in den TV-Studios, im Modezirkus oder Dschungelcamp.
Lohmeyer spielt nicht mit den Muskeln, sondern mit den Nerven. Da kreuzen sich Eigenschaften von Rühmann (das Sentimentale), Hans Albers (das Vagabundierende) und Hardy Krüger (das Ungebärdige). Gibt es Vorbilder im deutschen Kino oder muss man anderswo suchen? Zögernd nennt er Montgomery Clift, etwa in Stanley Kramers »Urteil von Nürnberg«, wo er ein Opfer des Nazi-Rassenwahns, einen tief versehrten Mann spielt; nennt auch Sean Penn.
Ein letztes Mal die Farbenlehre. Auch Rot steht dem Sohn aus evangelisch-sozialdemokratischem Haus, das ihn lehrte, »sich nicht alles gefallen lassen zu müssen«. »Red Rat« hatte der Teenager auf seine Jacke gesprüht, als er gegen Atomkraft demonstrierte, später gegen den Irakkrieg und »Laut gegen Rechts« oder auch gegen die Kürzung der Hamburger Filmförderung durch die CDU. Eine Lehrerin von ihm habe, erinnert er sich, orakelt: »Mit Moped fängt es an und mit der RAF hört es auf.« Aus dem Protest macht er kein großes Ding: »Engagement entdeckt und erarbeitet man.«
Lohmeyer ist kein Einzelgänger – so wenig wie »Latte Igel« in dem Kinderbuch von Sebastian Lybeck, das ihm in Erinnerung blieb und das er seinen vier Kindern vorgelesen hat. Ein Gruppen-Mensch, der lernte, »wie man in einem Verband dabei sein kann, ohne sich anpassen oder Chef sein zu müssen«. Eigenschaften, die ihm als Myrtles Ensemble-Partner Maurice nützen werden.
Termine von »Opening Night«: 7., 13., 22. und 27. April 2013, Kammerspiele; www.schauspielhausbochum.de