TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Tarnkappe noch hochdramatisch dem Zwerg Alberich entreißen, um an den Schatz zu gelangen; Simon Bloch findet sie dagegen in einer Aldi-Tüte in der hintersten Ecke seines Kleiderschrankes. Überhaupt ist Blochs Existenz eher unspektakulär, er hat sich eingerichtet in einem überschaubaren Leben. Sein Traum, als anerkannter Filmkomponist in Hollywood zu arbeiten, ist ihm verloren gegangen; was bleibt sind die eingeübten Routinen eines Angestellten, der sich in der Beschwerdestelle einer Immobilienfirma verdingt. Auch die Tarnkappe selbst ist äußerlich wenig verheißungsvoll – eine angeranzte, muffige Lederkappe, die er fast wegwirft, die dann aber massiv in sein Leben eingreifen wird.
Markus Orths, 1969 in Viersen geboren und für seine bisherigen Werke mit Preisen und Stipendien überhäuft, verzichtet in seinem Roman »Die Tarnkappe« auf plakative Fantasy-Elemente. Sein Simon Bloch ist kein großer Held, sondern eine Figur, wie man sie aus den Romanen Wilhelm Genazinos kennt – dem Leben zuschauend, die eigenen Ticks kultivierend, zu bequem für Änderungen. Als Bloch das Naheliegende tut und unter der Tarnkappe zum Voyeur wird, sieht er in den Leben der Anderen das eigene: Einsamkeit, Resignation, Stillstand. Dass die Tarnkappe, die den Mittvierziger zu einem neuen Menschen macht, auch seinen Verstand verändert, merkt er viel zu spät. Da löst sich jemand buchstäblich auf, in einer Welt, die fremder ist als zuvor, in Orths’ melancholischem Märchen.| VKB
Markus Orths, »Die Tarnkappe«; Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 2011, 224 S., 19,95 Euro
Lesungen: 26.5. Gymnasium Haus Overbach in Jülich; 27.5. Stadtbibliothek Viersen