TEXT: ULRICH DEUTER
Es gibt wenig auf der Welt, das nicht – auch – Zeichen ist. Und wenn Menschen zusammenkommen, gilt ohnehin Paul Watzlawicks unerbittliches (oder tröstliches) Diktum: Man kann nicht nicht kommunizieren. Wer also eine Ausstellung über Zeichen macht, macht eine Ausstellung über alles und hat als Erstes die unbedingte Pflicht zur Beschränkung. Der kommt das Bonner Haus der Geschichte tapfer nach und konzentriert sich in seiner »Zeichen«-Schau auf die alltagspraktische, die kommunikative Dimension des Problems (wohl auch, weil das Nürnberger Museum für Kommunikation kooperierte). Die erste Grundthese scheint zu sein: Zeichen bringen die Phänomene der Welt in eine Ordnung. Und die zweite: Ihre Wirkung ist uns nicht immer bewusst. Unter diesen Überschriften drängt sich eine Fülle von mit allen Tricks moderner Vermittlungstechnik ausgestatteter Exponate. Zwei Nackte auf Folien bilden die Eingangsdoppeltür: Erst Kleider machen Leute, soll das wohl heißen, denn dahinter erwartet uns das Berufskostüm als schnell wirksamer Ausweis von Zugehörigkeit, Funktion oder Befugnis: Die Fotoserie »Deutsche in Uniform« von Timm Rautert aus dem Jahre 1974 präsentiert Bestatter, Polizist, Krankenschwester, Oberforstwart, Pfarrer, Schützenkönig usw.; Amtskopfbedeckungen vom Barett des GSG-9-Kommandanten Ulrich Wegener über die Schirmmütze Willi Stophs als General der NVA und Jutta Limbachs rotem Bundesverfassungsrichter-Fez bis hin zu Benedikts Papst-Pileolus zeigen auf das jeweilige Amt. Doch zeigen Zeichen nicht auf sich selbst; was eine Uniform mit seinem Träger sowie denen, die sie wahrnehmen, »macht«, macht erst die Wirksamkeit dieses Zeichens aus und bleibt hier leider unerklärt.
Dass die Ausstellung zwischen Zeichen, Symbol und allen Zwischenformen nicht unterscheidet, ist nicht immer hilfreich; immerhin präsentiert sie neben Zeichen, die jeder, auch solche, die nicht jeder kennt, so zum Beispiel ausgedachte wie die Signaturfarbkodierung in deutschen Behörden (vom Chef abwärts grün, rot, blau) oder gewachsene wie die Kleiderordnungen in Konzernen (je höher die Position, desto dunkler der Anzug). Fotos zeigen die Büros von Kanzlerin, Außenminister, Bundespräsident, die allesamt kreissparkassendirektorales Format offenbaren. Doch warum ist das (in Deutschland) so, was meint das? Das erfahren wir nicht. Ein Zeichen ist »an sich« ja leer, es ist interpretationsbedürftig, es funktioniert nur, wenn seine Bedeutung »vorher« bekannt ist – das Begleitheft zur Ausstellung weiß um diese semiologischen Prämissen, die Ausstellung selbst aber gibt sich ahnungslos und verschenkt so einige Chancen, dem Besucher zu verdeutlichen, dass wir aus dem Gefängnis der Zeichen zwar nicht herauskönnen, es dennoch keine festen Wände hat. Eine dieser Chancen ist die in jeder Gesell-schaft basale Geschlechter-Differenz. In Bonn zeigt eine Computeranimation ein Skelett beim Gehen; mittels Schieber lässt sich der Gang vom sich wiegenden »Weibchen« ganz auf dem einen zum stampfenden »Macker« ganz auf dem anderen Endpunkt verschieben. Die Faszination aber liegt irgendwo in der Mitte, da wo der Gang androgyn wirkt, wo klar wird, dass männlich/weiblich eine Zuschreibung ist, keine biologische Konstante. Doch nichts fordert den Besucher auf, dieses kleine semiotische Wagnis einzugehen. (Meines Wissens wurde diese Animation vom Biomotion Lab in Ontario entwickelt und findet sich noch immer auf deren Website www.biomotionlab.ca/Demos/BMLrunner.html.)
Immerhin jedoch gelingt es »Zeichen. Sprache ohne Worte«, die stereo-type Inszeniertheit der Veranstaltungen unseres wichtigsten Verfassungsorgans zu enthüllen, der Talkshow. Es muss immer ein Kasperle, ein Gretchen, ein Schutzmann und ein Krokodil vorkommen, wird der Ex-Talker Friedrich Küppersbusch zitiert (wo ist er nur hin?) – und diese kindische Dramaturgie wird in Video-Sequenzen aus Maischberger, Jauch, Will et. al. recht gut belegt. Noch überzeugender kann demonstriert werden, dass fast alle Talkshow-Gäste aus der Politik dieselbe einstudierte Gestik gebrauchen, ein einfältiges Repertoire aus parallel hackenden Händen (ich ordne ein), erhobenem Zeigefinger (ich weiß besser) oder dem »Fingerring«, bei dem Daumen und Zeigefinger sich zu einem Kringel formen und das Behauptete rhythmisierend beglaubigen – eine schon in antiken Rhetorikratgebern empfohlene Figur. Schön, wie Ex-Kanzler Schröders brutale Körpersprache decodiert wird. Sehenswert auch eine Sequenz mit Dominik Graf, der einiges über die Schauspiel-Afterkunst von Politikern zu sagen weiß.
Zeichen schließen ein (kann ich die Schilder lesen, kann ich teilnehmen am Straßenverkehr) oder schließen ein wie aus (etwa die Codes der Jugendsprache); sie bestätigen Hierarchien wie der »Diener« oder Hofknicks, befestigen Zugehörigkeit wie der Bruder- oder verraten sie wie der Judaskuss. Zeichen sind kulturell bedingt wie das V-Zeichen, das (wahrscheinlich seit dem hundertjährigen Krieg, spätestens seit Churchill) in England und bei uns »Victory«, in Australien jedoch (bei nach vorn gedrehtem Handrücken) eine Beleidigung bedeutet. Aber Worte sind auch Zeichen; und insofern ist der Untertitel der Ausstellung eine Irreführung. »Zeichen. Sprache ohne Worte« anzusehen und interaktiv auszuprobieren ist vergnüglich, weil die Sache raffiniert gemacht ist. Doch in Zeiten täglich zunehmender Show, also zunehmender Zeichenfülle, verschenkt sie eine Chance zur Aufklärung und bleibt selbst nur – Zeichen.
Bis 15. April 2012, Haus der Geschichte, Bonn. Tel.: 0228/91 65-0. www.hdg.de/bonn


