// Zum Kulturhauptstadtjahr haben sich die Kunstmuseen des Ruhrgebiets programmatisch zu den »RuhrKunstMuseen« zusammengeschlossen – etwas, was auch einfallsreicher heißen könnte, aber unbedingt bestehen bleiben sollte. Der großen originären Kunstvorhaben von Ruhr.2010 aber sind nur wenige, eines davon ist das Projekt »Emscherkunst«. Sucht man ein Beispiel dafür, was die Idee Kulturhauptstadt im Guten bewirken und wie sie über das Jahr ihrer Dauer hinaus fruchtbar sein könnte – hier ist es. Denn »Emscherkunst« kann sich räumlich wie inhaltlich als Fortsetzung eines Ereignisses begreifen, das den Umschlagpunkt vom alten zum neuen Ruhrgebiet markiert: die IBA Emscherpark von 1989–1999.
Die IBA gab den Bewohnern des Reviers die konkrete Anschauung, dass sie etwas wertvolles Eigenes besitzen, die Industriekultur. Etwas, was nach dem Wegfall seiner ursprünglichen Funktion, der Montanindustrie, auf einmal Schönheit gebar. Etwas so Neues, das es dafür zuvor nicht einmal einen Namen gab. Seitdem ist ein Glanz entstanden, der nicht durch Imagewerbung aufpoliert war, sondern aus den Dingen selbst erwuchs: den befreiten Gebäuden und Arealen.
Parallel zur IBA wurde ein Vorhaben begonnen, das zu Recht den Namen Jahrhundertprojekt verdient: die Renaturierung des Emschersystems. Die Emscher ist ein nördlicher Parallelfluss der Ruhr, und während diese sich lieblich im Tale schlängelt, weil die Industrialisierung zwar hier begann, aber bald nach Norden weiterzog, bekam jene die volle Wucht der industriellen Umgestaltung zu schmecken. Der Bergbau ließ die gesamte Landschaft zwischen Emscherquelle und -mündung bis zu zwölf Meter absinken, der vom Versickern bedrohte Fluss, der das Abwasser der Region transportierte, musste in Rinnen gelegt und zum Rhein gepumpt werden. Daneben erbaute man anfangs des 20. Jahrhundert den Rhein-Herne-Kanal für die Schifffahrt, beide Wasserwege ziehen über Dutzende von Kilometern still und öde nebeneinander her.
Seit vielen Jahren ist die Emschergenossenschaft dabei, die dito in Rinnen und Rohren verlaufenden Zuflüsse der Emscher wieder in Bäche zu verwandeln; und auch die Emscher selbst transportiert kein Abwasser mehr, wenngleich sie es aufgrund des verschwundenen Gefälles niemals wieder von selbst in den Rhein schaffen kann. Der Streifen zwischen Emscher und Kanal aber blieb Unland, ein Wasserbegleitgrün sozusagen, ein namenloses Nichts.
Dank »Emscherkunst« aber soll dies nun anders werden. Die Chancen dafür, dass es wirklich anders wird, stehen nicht schlecht. Schon, den nichtigen Streifen »Insel« zu nennen und dadurch mit den leuchtenden Assoziationen zu diesem Wort aufzuladen, war eine weise Entscheidung. Bis vor kurzen existierte noch die Idee, hier kostenlos Claims an kreative »Siedlungspioniere« abzugeben, an Kreative aller Couleur. Sie ist sang- und klanglos verschwunden – wie so manches Gute an Kulturhauptstadtsideen. »Emscherkunst« aber ist geblieben und wird nun ab Ende Mai 2010 ein 34 Kilometer langes Stück der Insel mit Kunst taufen, von Heidenland in Christenland verwandeln sozusagen. Das heißt, aufnehmen in die Geografie und Topologie des Urbanen.
Und sang- und klanglos wird diese Kunstintervention in einem öffentlichen Raum, der erst öffentlich gemacht werden muss, auch nicht sein. So wird im Bereich der Stadt Gelsenkirchen ein »Singing Mountain« entstehen, aus dem er ertönt: der Song, den die schottische Rockband Mogwai über die Emscher komponieren wird. Und am sogenannten Herner Meer wird der Düsseldorfer Bogomir Ecker eine Großskulptur errichten, die durch Wind zum Singen gebracht wird. 40 Künstler hat der in Essen geborene, in München lehrende Kunsthistoriker Florian Matzner ausgewählt, einzeln oder zu mehreren erarbeiten sie mehr als 20 »Interventionen«, die sich auf der Emscherinsel an acht Stellen zu Clustern verdichten. Dazwischen das wilde Land – durch das mit dem Mietfahrrad zu brausen sein wird, rechts und links die Wasser.
Dies sind einige der geplanten Projekte: Da, wo die Emscher den Rhein-Herne-Kanal unterquert (ja, das gibt es!), im nördlichen Castrop-Rauxel, wird der Japaner Tadashi Kawamata eine Art Aussichtsturm aufbauen – nie war hier zuvor der Blick von oben aufs Wasserkreuz möglich. Hier startet auch das »Walking House« der dänischen Künstlergruppe N55, ein kleines Appartement samt Küche und Bad, das man mieten und in dem man die Emscherinsel, ohne zu gehen, ablaufen kann: Das Ding hat Beine. Vermutlich prägender werden die Eingriffe sein, die an den Klärwerken Herne und Bottrop-Ebel von Künstlerhand vorgenommen werden: In Herne gestaltet die Frankfurterin Silke Wagner an der Außenhülle des Faulturms auf 70 Metern Umfang ein sieben bis acht Meter hohes Mosaik, das wandzeitungsartig Themen aus der Geschichte der Bergarbeiterbewegung aufgreift. Während die ehemalige Kläranlage in Ebel in der Regie von Mischa Kuball, Lawrence Weiner, Piet Oudolf und Gross.max zu einer Piazza mit Kulturzentrum umgebaut wird: Eines der kreisrunden Klärbecken wird sich in einen arenaartig abfallenden Garten verwandeln, das andere in einen See. Matzner, der schon die »Skulptur.Projekte Münster« kuratierte, war es wichtig, für all diese Eingriffe in die Landschaft des Emscherraumes Künstler zu gewinnen, nicht Architekten oder Landschaftsplaner. Sie haben einen anderen Blick. So wird auch die neue Kanal-Fußgängerbrücke in der Nähe des Oberhausener Schlosses von dem Bildhauer Tobias Rehberger entworfen.
Zirka elf Millionen Euro hat Matzner für seine Emscherkunstprojekt zur Verfügung, inklusive Brückenbau; das Geld kommt von diversen Landesministerien, dem RVR, der Ruhr.2010 und vor allem der Emschergenossenschaft, unter deren Regie es steht. Gut die Hälfte der Objekte bleibt nach Ablauf des Kulturhauptstadtjahres bestehen – und: die 2010-er Emscherkunst ist die erste Staffel einer Biennale, die bis zum Abschluss der Emscher-Renaturierung 2020 zwischen Fluss und Kanal wandern wird. Sie will den geschundenen Stadt- und Naturraum dort adeln, ihm seine Würde zurückgeben. Insofern kann »Emscherkunst« ein legitimes Kind der IBA Emscherpark sein. //
29. Mai bis 5. Sept. 2010. www.ruhr2010.de