Der Ort ist das eindrücklichste Schaustück: Die Bunkerkirche St. Sakrament in Düsseldorf-Heerdt stiftet längst das Sakrament des Lammes, nachdem 1942 auf Kirchengrund von jenen ein Luftschutzbunker angelegt worden war, die sich vom Sakrament des Büffels nährten, wie Heinrich Böll die Gegenwelten in einem seiner Romane nennt. Der umgewidmete Bau selbst ist ein Mahnmal – und für die Ausstellung »Krieg und Utopie« über Kunst, Literatur und Politik im Rheinland nach dem Ersten Weltkrieg der ideale Resonanzraum.
Die Jahre 1919 bis 1925 ließen die Weltkriegs- Erfahrung als physische und psychische Katastrophe nachklingen, als soziale Krise und mentaler Schock. Jede Hoffnung auf eine reinigende Kraft, den Vitalismus des Krieges, mit der das »Weihefest des Todes« (Thomas Mann im »Zauberberg«) zunächst zum nationalen Heil begangen wurde, hatte sich im Matsch und Elend der Schützengräben verloren. »Der Krieg war nirgendwo wirklich aus den Köpfen getilgt und die »Kriegskultur« wurde folglich in die Periode des Friedens überführt« (Gerd Krumeich). Die Realität des Krieges und/oder seine nachträglichen Konstruktionen prägten das Bewusstsein und brachten unterschiedlichste Versuche der Bewältigung.
Der Tod hatte Ernte gehalten – mochte er auch anonym sein, als Gas in Lungen dringen, als Feuersturm toben oder einfach als Erschöpfungszustand eintreten, Künstler wie Brockmann, Drechsler, Uzarski stellten ihn dar wie schon das Mittelalter: als Knochenmann, klapperndes Skelett und Reiter der Apokalypse, der die Schlachtfelder überzieht. Auf die einsetzende Brutalisierung der politischen Konflikte reagierte die Kunst, indem sie sich ebenfalls – propagandistisch und provokativ – radikalisierte, der »Tatsachenphantasie « (Döblin) Vorschub leistete und aktiven Pazifismus mit Neigungen zu einem auch europäischen Gemeinschaftsgeist betrieb. Eine antibürgerliche und Traditionen negierende Tendenz findet sich dabei auf beiden Seiten, der linken wie der rechten, bei Dada so gut wie in frühen nationalistischen Strömungen. Zugleich lassen sich (wie immer zu bewertende) Glaubensimpulse, spirituelle Beseeltheit und intellektuelle Fortschrittsideale ausmachen – vom religiös beeinflussten Sozialismus bis zum pervertierten Messianismus. So wie man in den Krieg gezogen war, wurde nun der Kampf um eine brüderliche Welt ausgetragen – mit auch christlich geprägten Visionen. Vom »Pfingstwunder« sprach die Germanistin Gertrude Cepl-Kaufmann in ihrem Eröffnungsvortrag.
Das vom Versailler Vertrag und seinen Folgen geschundene, seit jeher antipreußische Rheinland, im besonderen Düsseldorf und Köln, wurde in der Symbiose von Kunst und sozialem Engagement zu einer zentralen Gedanken- und Produktionswerkstatt, die die Schrecknisse des Krieges und den Geist der Revolte formulierte. »Bilder und Texte zeigen die Dichotomie von Apokalypse und Utopie«, so die Verantwortlichen der reich bestückten Ausstellung und Herausgeber des weiterführende Aufsätze enthaltenden Begleitbandes, Gertrude Cepl-Kaufmann, Gerd Krumeich und Ulla Sommers.
Zu den wesentlichen progressiven Vertretern gehörten Otto Dix, Otto Pankok und Gert Wollheim, Max Ernst und Johannes Th. Baargeld, Herbert Eulenberg, die Galeristen Flechtheim, Johanna Ey und Karl Nierendorf, die Künstlervereinigungen »Das junge Rheinland « und »Aktivistenbund«, die Kölner »Gesellschaft der Künste«, die Zeitschriften »Die Schöpfung« und »Der Strom« sowie der »Kairos-Verlag«.
Steigt man in den Untergrund und nimmt den Gang durch die Zellen – gepflastert mit Totenscheinen, begleitet von Gedichten, Büchern, Briefen, gefüllt mit Bildnissen von Krüppeln, Blinden, Müttern, markiert von dem Hinweisschild »Männer von 16 bis 70 gehören in den Einsatz und nicht in den Bunker « – gleicht dies einer Reise ins Gestern. »Zum Raum wird hier die Zeit«, um die alte Wagner-Weise des »Parsifal« zu singen. Und ist nicht auch der »Verwundete« Wollheims ein Amfortas, unstillbar blutend aus seiner Wunde – einem Bauchschuss, wie ihn auch der Maler erlitten hatte. Das riesige Gemälde (Teil eines Triptychons, dessen zweite und dritte Tafel verloren gingen) hängt am gekurvten Kreuzweg des Bunkers hoch zum Kirchenraum. Spätexpressionistisch in fahlen Grünewald-Farben scheint der Körper wie angenagelt oder geschmiedet. Ein Ecce homo, dessen Schrei und Schmerz wie vieles im Aufruhr dieser Epoche hallen. Ein Prometheus, gefesselt zwar, doch Entfesselungskünstler. Denn die Kunst wechselte die Seiten von der Passion zu Opposition, Aggression, Protestaktion. Der Rundgang in den Katakomben fügt sich zum Kreisschluss. Am Beginn liegt ein rostiger Haufen, »Gestrandet an der Somme« von Yong-Chang Chung, der Relikte des Stellungskrieges, Zähne, Blechgeschirr, Helme, Munition, sammelt, die immer noch aus dem Erdreich bei Verdun geborgen werden. Er endet mit der Installation »Guantanamo« von 2002, die ein Gestell zeigt mit einer schwarzen Plane, unter der Umrisse eines Körpers zu erahnen sind, während stumpfes Licht aus einer Lampe herab scheint. Ein anderer Krieg. Aber keine Utopie. //
Bis 23. Juli, Düsseldorf-Heerdt, anschließend Siebengebirgsmuseum Königswinter; Katalog, 400 Seiten, Klartext Verlag, Essen; www.kriegundutopie.de und www.bunkerkirche.de