//Da hat sich einer ordentlich was vorgenommen: »Dieses Buch ist vielleicht ein Plagiat von Marcel Proust« steht am Anfang von Henry Parlands Roman »Zerbrochen«, der zu Lebzeiten des schon mit 22 Jahren an Scharlach Verstorbenen unveröffentlicht blieb. Mehr noch aber als die ironisch gebrochene Wahlverwandtschaft zwischen dem 1908 im finnischen Viborg geborenen Parland und seinem französischen Vorbild nimmt das Motto die Distanz vorweg, die der Erzähler zur eigenen Anmaßung zu halten sucht. So, wie er auch die Größe seiner Liebe in der folgenden Geschichte nur aus emotionaler Ferne in den Blick nimmt. Ganz klein wirkt diese Affäre, im Vergleich zu allem anderen aber riesenhaft. Doch bevor Ami, die gut ein Jahr vor der Niederschrift überraschend verstarb, auf gerade mal 140 Seiten in Erinnerung gerufen wird, schaut Parland erst einmal dabei zu, wie sich »der Autor« prüfend im Spiegel betrachtet. Was sieht er? Einen mühsam ironisch wirkenden Mann, von dessen Lippen Langeweile abzulesen ist – eine verrutschte Dandy-Pose.
»Über das Entwickeln von Veloxpapier« – so lautet der Untertitel von »Zerbrochen«. Bezeichnet ist damit ein Verfahren, Fotonegative auf entsprechendes Papier zu kopieren, wobei Aufnahmen, denen es an Schärfe mangelt, durch das Schwenken in der Entwicklerflüssigkeit nachkontrastiert werden können. Wer die Schale aber zu lange schwenkt, verdirbt das Bild. Mithilfe dieser Prozedur geht der Erzähler zunächst daran, seine Erinnerung an Ami, die er zwischenzeitlich angeblich vergessen hatte, zu konturieren. Doch so detailgenau und unbestechlich die Fotografie auch ist, der Reiz dieses launischen Mädchens entfaltet sich nicht aus der Entwicklerschale. Liegt ihre Attraktivität doch gerade in dem Umstand, dass es dem Erzähler schon zu Lebzeiten seiner Geliebten nicht gelingen will, ihr Wesen zu fixieren. »Kulissen waren für sie das einzig Wirkliche, und tiefer gehen als bis zur Oberfläche konnte sie nicht.« Im Sich-Entziehen, und hier zeigt sich Parland als aufmerksamer Leser von Prousts »Recherche«, liegt die Anziehungskraft Amis. So kann die Realität nur ein blasses Bild liefern, das die ästhetisch geschulte Phantasie des Eifersüchtigen immer wieder neu umso üppiger ausstaffieren kann. Wäre es nicht so, würde das Interesse an der Geliebten zweifellos verlöschen.
So entsteht mit dem Porträt der Frau auch das eines Mannes, dessen Existenz allein darauf abgestellt ist, das eigene Fühlen aus souveräner Unbeteiligung heraus zu raffinieren. Eine hitzige Angelegenheit ist das nicht, lassen sich hier doch »zwei frierende Menschen beim Versuch« beobachten, »die Eisrinde aufzutauen, die sie von der Welt trennte.« Doch darf der Leser vermuten, dass diese sentimentale Unterkühlung den vibrierend nervösen Erzähler ähnliche Anstrengungen kostet wie sein dandyhaft unbeteiligter Blick in den Spiegel am Anfang.
Ende der 1920er Jahre gehörte Henry Parland in der schwedischsprachigen Gemeinschaft Helsinkis als Jüngster zu einer literarischen Avantgardegruppe, die, so ist aus dem Nachwort zu erfahren, angeregt durch so unterschiedliche Einflüsse wie Dada, Expressionismus, Neue Sachlichkeit und Jazz nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten suchte. Darüber vergaß der junge Parland, die väterlichen Monatsschecks für das Studium der Rechtswissenschaft zu verwenden. Weshalb er sich 1929 schon bald in Kaunas, Litauen, bei einem Onkel wiederfand, wo er halbtags im schwedischen Konsulat arbeiten musste. Hier schrieb er bis zu seinem Tod am 10. November 1930 an »Zebrochen«, das aus dem Nachlass unter souveräner Missachtung editorischer Gepflogenheiten postum in drei unterschiedlichen Fassungen veröffentlicht wurde. Mit der 2005 herausgekommenen zuverlässigen Ausgabe und der darauf basierenden Übersetzung von Renate Bleibtreu ist nun ein großer kleiner Roman zugänglich über die Unabschließbarkeit des Erinnerns, eine verfehlte Liebe und eine sich selbst betäubende Geistesgegenwärtigkeit, die auf unheimliche Weise genauso gut wie in die 1920er Jahre in unsere Zeit passt. //
Henry Parland, Zerbrochen (Über das Entwickeln von Veloxpapier). Aus dem Schwedischen übersetzt und herausgegebenvon Renate Bleibtreu; Friedenauer Presse, Berlin 2007, 160 Seiten, 18,50 Euro