TEXT: STEFANIE STADEL
Ein Kahlkopf im schwarzen Achselhemd. Er wendet uns den Rücken zu, dreht aber seinen Kopf und zeigt die scharfe Hakennase im Profil. Ein Jüngling oder doch eher ein hageres Fräulein? Das lässt sich schwer sagen. Claude Cahun, so der Name des Porträtierten. Auch der hilft nicht weiter bei der Frage nach dem Geschlecht – meint Claude doch einen Mann so gut wie eine Frau. Das Verwirrspiel ist offenbar gewollt. Denn immer wieder geht Claude Cahun, alias Lucy Schwob, vor der Kamera mit der eigenen Identität um, macht ihre komplizierte Existenz zum künstlerischen Kernthema.
Heute regt das nicht weiter auf. Nach Feminismus und Gender-Diskussion sieht man solche Dinge gelassen. Doch Cahuns fotografische Selbstbetrachtungen liegen über 80 Jahre zurück und gingen damals selbst manch einem ach so nonkonformistischen Surrealisten-Kollegen zu weit. Mit ihrem radikalen Gehabe stellte sich die Autorin, Literaturkritikerin, Schauspielerin, Aktivistin, Künstlerin und bekennende Lesbierin an den Rand der Szene. Und es dauerte lange, bis sie dort entdeckt wurde.
Cahun teilt dieses Schicksal mit einer ganzen Reihe von Künstlerinnen, die in den bewegten und wichtigen Jahren zwischen den Weltkriegen avantgardistisch aktiv waren. Inzwischen haben Markt und Museen die lange übersehenen Frauen in den Fokus genommen. Doch scheint es nicht ganz leicht, sie nachträglich einzugliedern in den seit Jahrzehnten festgeschriebenen Kanon der Kunstgeschichte.
Einen Beitrag kann nun sicher die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen und ihre Ausstellung »Auf der anderen Seite des Mondes« leisten. Dort wird Claude Cahun als eine von acht wegweisenden Künstlerinnen vorgestellt, die die Kunstgeschichte vorantrieben, ohne dass dies gebührend gewürdigt worden wäre. Manche sind für lange Zeit total aus dem Blickfeld geraten: neben Cahun etwa die polnische Bildhauerin Katarzyna Kobro oder die Filmkünstlerin Germaine Dulac. Andere verharrten missachtet im Schatten ihrer prominenten Gatten. Beste Beispiele bieten Sonia Delaunay oder Sophie Taeuber-Arp.
Bezeichnend scheint in diesem Zusammenhang, dass die Kunstsammlung NRW zwar Werke von Hans Arp bewahrt, aber kein einziges seiner Frau. Ebenso vergeblich sucht man Sonia Delaunay in Düsseldorf, allein Ehemann Robert ist zu finden. Auch Kurt Schwitters ist zugegen, während seine Dada-Gefährtin Hannah Höch keinen Eingang in die Sammlung fand.
Noch ein Grund, die Damen nun an den Grabbeplatz zu holen. Es hätten viel mehr sein können. Doch tut man gut daran, die exemplarische Auswahl dem großen Rundumschlag vorzuziehen. Wichtig war dabei auch, dass unterschiedliche Stilströmungen und künstlerische Medien zum Zuge kommen.
Kobro, die mit ihren gebogenen, gewinkelten »Raumkonstruktionen« einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der konstruktivistischen Skulptur leistete, steht neben der weltläufigen Florence Henri: Zunächst Malerin, legte sie unter dem Eindruck eines Gastsemesters am Bauhaus den Pinsel beiseite und avancierte mit ihren perspektivisch schwer durchschaubaren Spiegel-Fotografien zur führenden Vertreterin des Neuen Sehens in Frankreich. Wieder ein anderes Genre bedient Dulac, die den ersten surrealistischen Film drehte – 1928, ein Jahr vor Buñuel/Dalís »Andalusischem Hund«.
Doch geht es nicht nur darum, Leben, Werk und künstlerische Leistungen der acht darzustellen – Bekanntes zu rekapitulieren und wenig Geläufiges zu entdecken. Ein wesentliches Ziel der Schau liegt überdies darin, den in der Tat beeindruckenden Vernetzungen innerhalb der Avantgarde nachzugehen. Sie waren, wie es scheint, ein Muss. Für männliche Künstler und wohl noch mehr für die weiblichen. War den Frauen doch der Zugang zu den historisch gewachsenen Kunst-Plattformen – Akademien, Kunstvereine, Künstlergruppen – schwer möglich.
In der Schau mit ihrer dezidierten Werkauswahl belegen übereinstimmende Farben, formale Einfälle oder Motive im Werk der einen und der anderen Künstlerin den regen Austausch. Dora Maar etwa lässt eine elegante Hand aus einer Muschel wachsen, Dulac nimmt das Motiv, um dahinter den Busen einer ihrer Akteurinnen zu verstecken. Bei Hannah Höch schließlich sieht man zwei lange Beine in Schnürstiefeln aus einem Schneckenhaus ragen.
Man reist, trifft sich, schreibt Briefe. Sitzt zusammen am Ostseestrand, posiert ausgelassen zur Modenschau in Cannes, kommt zusammen beim Sonntagskaffee im konstruktivistisch gestalteten Garten von Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp. Überall sind die Künstlerinnen aktiv dabei. Ein Foto zeigt sie etwa beim Treffen der Gruppe Cercle et Carré in Paris: Robert Delaunay neben Hans Arp, dann Florence Henri und der Kritiker Michel Seuphor. Piet Mondrian in der Mitte zwischen Sonia Delaunay und Sophie Taeuber-Arp, die auch als Künstlerin inzwischen dicht an den Niederländer heran gerückt schien. Ihr Werk bietet erstaunlich frühe Beispiele konkreter Kunst, die es mit dem Mondrians oder Malewitschs auf eine Stufe stellen.
Dabei muss man sich klar machen, dass Taeuber-Arp diese revolutionären Gestaltungen aus dem Weben heraus entwickelt hat. Ein Leben lang blieb sie bei der Vermischung von angewandter und freier Kunst. Früh bezog sie beim Tanz überdies Raum und Zeit in ihr künstlerisches Wirken ein. Einst hat man sie für ihre Grenzüberschreitungen ins Angewandte belächelt. Heute scheint sie mit diesem Hin und Her zwischen den Disziplinen, mit der Erweiterung der Kunst in alle möglichen Bereiche ihrer Zeit weit voraus.
Darin verwandt ist ihr Sonia Delaunay, die sich 1913 auf den Weg in die Abstraktion begab. Es war wohl im Bal Bullier, einem angesagten Vergnügungslokal am Pariser Montparnasse, wo Sonia und Robert in eigens dafür entworfenen Simultan-Outfits ein und aus gingen. Aus den gelegentlichen Schneidereien für den Eigengebrauch wurde bald schon ein Broterwerb. Notgedrungen. Denn nach der Oktoberrevolution blieben die regelmäßigen Gaben des reichen Adoptivvaters aus. Während Robert sich nun weiter der brotlosen Kunst und Theorie widmen durfte, kümmerte sich seine Frau um die Kasse und startete unversehens ihre sagenhafte Karriere als Modemacherin, Stoffdesignerin und Raumausstatterin. Sonia Delaunay gründete mehrere Modehäuser, zuerst in verschiedenen spanischen Städten, dann in Paris. Mit ihrem Schick zog sie während der wilden 20er die Hautevolee in aller Welt an.
So ist sie international zum Star geworden. Wenn auch zunächst nur als Modemacherin. Nicht als Avantgarde-Künstlerin, wie sie es verdient hätte – und mit ihr die sieben Kolleginnen in Düsseldorf.
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf; K21 Ständehaus; Neue Künstlerinnenräume; 5. Oktober 2011 bis 29. April 2012.
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf; K20 Grabbeplatz; Grandes Dames – zu Gast in der Sammlung; 6. Oktober 2011 bis 29. Januar 2012.
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf; K20 Grabbeplatz; Die andere Seite des Mondes. Künstlerinnen der Avantgarde; 22.10.2011 – 15.01.2012.
Tel. 0211/8381204. www.kunstsammlung.de