// Lärm kann krank machen. Stille wird allgemein als wohltuend empfunden. »Süß« und »lieblich« sind die Attribute, die Dichter der Stille verleihen – »Die du früh dem Lärm der Toren mich entrücktest, / Besser mich zu bilden, nahmst in Mutterschoß / Dein, du Immertreue! sei mein Lied!«, flüstert Hölderlin in seiner Ode an »Die Stille«.
Aber es gibt auch die andere, die »fürchterliche« Stille. Die vor dem Sturm. Die des Todes. Wer einmal einen schalltoten Raum erlebt hat, weiß, dass völlige Geräuschlosigkeit Panik erzeugen kann. Unser Hirn braucht den Schall, unser Herz die »Stimmfühlungslaute« (K. Lorenz) anderer Menschen. Aber ein bisschen leiser könnte die Welt schon sein. Den Gehörlosen – »Stille, stille! / Das ist erst das wahre Glück«, so Goethe –, geht es denen besser? Behinderten, das haben wir anderen gelernt, fehlt zwar irgend etwas. Aber Mangelwesen sind sie deshalb nicht. Unsere Sinnesorgane sind miteinander verbunden, keines existiert isoliert. Das System der Wahrnehmung ist zu unglaublichen Kompensationsleistungen fähig – es gibt sogar eine bekannte taube Percussionistin, Evelyn Glennie. Gehörlose sprechen auf dieselbe intensive Weise miteinander wie wir Hörenden, wahrscheinlich sogar intensiver, denn sie setzen ein, was unsere Kultur weitgehend unterdrückt hat: Mimik, Gestik, ja den ganzen Körper. Sie sprechen im Raum.
In der Ausstellung »Dialog im Stillen« in der Dortmunder DASA kann man dies jetzt sehr eindrücklich erleben. Da drehen sich die normalen Verhältnisse um. Da sind wir Hörenden die Behinderten. In einem schallisolierten Parcours können wir erfahren, wie schwer es zunächst ist – wie leicht es dann fällt, sich ohne Ton, ohne gesprochene Sprache zu verständigen.
Am Anfang steht der Lärm. Kaum sind wir einem gehörlosen »Guide« – einem von elfen – übergeben, wird unsere Besuchergruppe von einer grellen Kakophonie überfallen. Bloß raus! Die Tür des nächsten Raums schließt sich hinter uns. Und Stille legt sich auf uns. Und damit sie auch vollkommen ist, versucht unser Führer, der gehörlose Gerald Brunk, uns zu bedeuten, dass wir Ohrschützer aufsetzen und die Handys ausschalten mögen. Das sagt er uns, ohne die jetzt waltende Stille zu stören: mit den Händen, den Augen, den Lippen. Eine wölbende Geste am Ohr, verbunden mit einem Deuten auf den Ständer mit den Ohrschützern, das ist ja ganz einfach.
Ca. 6.000 Gehörlose leben in Nordrhein-Westfalen. Aufgrund des medizinischen Fortschritts nimmt ihre Zahl ab. Dagegen nimmt die Zahl der Schwerhörigen zu: eine Folge von iPod-Missbrauch. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Akustik leidet schon jeder vierte Jugendliche an einer Hörschädigung.
Die dicken Geräuschdämmer über den Ohren, herrscht eine Art Unterwassergefühl. In den fünf nun folgenden Räumen lernen wir peu à peu, uns auch ohne akustische Sprache auszudrücken. Zunächst bilden wir in Schattenspielen mit den Fingern geometrische Formen nach, die uns unser Cicerone im Reich des Schweigens – im sonstigen Leben Technischer Zeichner – zuvor in die Luft gemalt hat. Bis alle begriffen haben, was zu tun ist, vergeht eine Weile. Gott sei Dank gibt es immer jemanden in der Gruppe, meist eine Frau, die schneller merkt, was der Guide will. Im nächsten Raum wird die Mimik trainiert: Wir machen den Kussmund der Monroe, das Lachgesicht von Otto, das aufgerissene Brüllmaul von Oliver Kahn nach, die vor uns hin projiziert werden. Dabei stecken unsere Gesichter in beleuchteten Rahmen, damit es lustiger ist, dass wir einander beim Grimassenschneiden zusehen. Wie sich erweist, kommt das Fratzenmachen beim Anblick einer Spinne ganz von selbst.
Und so geht es weiter. Nächster Schritt: Per Scharade versuchen wir, uns aufgegebene Stimmungen und Situationen auszudrücken; danach finden wir heraus, was bestimmte Handhaltungen meinen oder bezeichnen könnten. Bis wir zuletzt, nach etwa einer Stunde nonverbaler Kommunikation, die ersten Zeichen der Deutschen Gebärdensprache kennen lernen. Was uns – mehr schlecht als recht – befähigt, an der Theke sprachlos, aber handberedt und unter vollem Körpereinsatz einen Kaffee zu bestellen. Das DGS-»Wort« dafür ist übrigens eine Geste, in der das Drehen einer Kaffeemühle noch erkennbar ist. Und wer Milch braucht, gebärdet – so heißt das Wort – seinen Wunsch mit einer Melkbewegung. Eigentlich ganz einfach. Und wunderbar still. // UDE
Bis 29. August 2009 in der DASA (Deutsche Arbeitsschutzausstellung) Dortmund. Tel.: 0231/9071-2479. www.dialog-im-stillen.de. K.WEST ist Medienpartner dieser Ausstellung.