TEXT: ULRICH DEUTER
Erlösungsmythen gehen vorrangig aufs Ländliche: Garten Eden; Schäferidylle; Häuschen im Grünen; Urlaub am Strand. Was handfeste Erleichterung verschafft, aber wurde stets in der Stadt ersonnen – bis hin zu der inneren Unabhängigkeit, Sehnsucht nach der stadtfernen Idylle zu hegen: Stadtluft macht frei, auch den Kopf. Die erste große Stadt war Uruk. Das war, das kann nur gewesen sein im Zweistromland, weil dort alles, was wir Hochkultur nennen, begann. Rom als Hauptstadt seines Imperiums hatte zur Zeitenwende eine Million Einwohner, doch in Uruk zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris lebten unvorstellbare 3.500 Jahre früher bereits bis zu 50.000 Menschen allein in der Zentralstadt, die Dimension der noch im Boden schlummernden Vororte ist unbekannt.
Wohnhäuser, Straßen, Kanäle, Häfen, Tempelpaläste, Parks, Werkstätten, Vorratshallen – von der 2. Hälfte des 4. bis mindestens zum Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. war Uruk mit einer Fläche von 2,5 bis maximal 5,5 Quadratkilometern die weitaus größte Stadt Mesopotamiens, besaß sie die Vorherrschaft unter den Stadtstaaten der Region; ihre Stadtmauer maß neun Kilometer. Deren Erbauer war Gilgamesch, der – wenn er denn mehr war als ein Mythos – als früher König in Uruk herrschte. Uruk kannte Arbeitsteilung, Verwaltung, Versorgung, in Uruk erfanden die Menschen die Schrift. Und doch ist der Name dieser Stadt seltsam unbekannt – eine Ausstellung im Berliner Pergamon-Museum versuchte im Spätsommer, diese Lücke zu füllen, nun ist die Schau – mit ca. 300 Exponaten, leider unter Abzug der monumentalen Teile ihrer Inszenierung – in Herne im dortigen Archäologischen Museum zu sehen, als zweite und letzte (!) Station.
Ein Jahrhundert hat diese Präsentation auf sich warten lassen, Ende 1912 begann die Deutsche Orientgesellschaft in einem Areal 300 Kilometer südlich von Bagdad zu graben, Babylon und Assur hatte man schon erforscht, der neue Ort würde eine noch ältere Kultur zutage fördern. Die Archäologen waren erkenntnisbesessen und begierig auf spektakuläre Museumsstücke, eine in Zeiten der Fundteilung berechtigte Hoffnung. Die dennoch unerfüllt blieb. Denn was man zutage förderte, war »klein, zerbrochen oder schwer erkennbar«, wie Ausgrabungsleiterin Margarete van Ess vom Deutschen Archäologischen Institut Berlin sagt. Erst moderne Methoden der Rekonstruktion, die aus wenigen Bruchstücken etwa einen ganzen Statuenkopf extrapolieren; der Computersimulation, die tausende archäologische Einzelerkenntnisse zur dreidimensionalen Animation eines Gebäudes zusammenzaubern kann; der Ausstellungsarchitektur, die auch Handtellergroßes anregend zu inszenieren vermag – machen es möglich, dieser ersten »Megacity«, wie der Ausstellungstitel etwas reißerisch annonciert, den ihr gebührenden Platz in der Reihe früher Metropolen der Menschheit zuzuweisen.
Warum aber ist von Uruk nur Kleines geblieben? Weil Uruk aus Lehm erbaut war. Vor etwa 10.000 Jahren beginnen die Menschen im sogenannten Fruchtbaren Halbmond …
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»Uruk – 5.000 Jahre Megacity«; LWL-Museum für Archäologie Herne, bis 21. April 2014. Begleitbuch (empfehlenswert!) 24,95 Euro. www.uruk.lwl.org