Er scheint nicht müde zu werden, das Menschliche darzustellen, ohne am Menschlichen teilzunehmen. Scheint geradezu die Einsamkeit zu ersehnen, die er sich komfortabel in seinem Domizil »Lamb House« in Rye/ Sussex erscha . Henry James (1843-1916), den der irische Schri steller Colm Tóibín in einer romanha gestalteten Biographie-Impression zwischen Januar 1895 und Oktober 1899 begleitet, dieser Amerikaner in Europa ist ein Exilierter. In England beherrscht er nicht »die Kultur des zwanglosen Doppelspiels «, in Irland nimmt er Logis im Palais des Vizekönigs, wo man ihm einen soldatischen Kammerdiener zuweist, an dem er Gefallen ndet, ohne dass seine formale Existenz sich mehr erlaubte als das strenge Glück eines Gesprächs und Blicks. In Italien legt er die Spuren seiner Romanheldinnen wie Isabel Archer. Frauen mithin, deren Dilemma es ist, sich zwischen den Konventionen ihrer Erziehung und dem Bedürfnis, deren Regeln zu brechen, zu bewegen – was auch Camou age von James’ eigener Situation und Problematik meint.
Das Warten bildet das zentrale Motiv seiner fragilen Existenz: auf ein Gesicht, einen Einfall, die Verwandlung einer realen Person in eine literarische Figur. Das Verhältnis von Ausbeutung des und Interesse am anderen Menschen, die Bedingung des Kreativen und die Methoden der Wahrnehmung, der Dialog von Selbstsucht und Selbstrechtfertigung sind das Geheimherz dieses quellenkundigen, sublimen Buches, dessen elegantem, nie prunkendem Stil es gelingt, »Henry« wie eine Figur von Henry James au reten zu lassen. Es ist, als würde dieser »Henry« lieber in Dialog mit den Toten als den Lebenden treten. Tóibín scha Spukbilder wie in der berühmten Erzählung James-Erzählung » e Turn of the Screw«: der früh verstorbenen Schwester und »geistreichen Invalidin« Alice, die sich in ihre teils hysterische Krankheit üchtet wie ihr Bruder in die Dichtung; der ebenfalls früh entschwundenen intellektuellen Freundinnen Minny Temple und Constance Fenimore Woolson. Hat »Henry« nicht vielleicht an ihnen allen Verrat geübt, indem er – Nähe suchend – Nähe verweigerte? Natürlich ist der Zeitgenosse Oscar Wildes, der zu Anfang des Romans einer Au ührung von »Ein idealer Gatte« in London beiwohnt und not amused ist, auch dessen Widerpart: in der peniblen Diskretion der Lebensführung und -beherrschung. Statt für den Skandal entscheidet er sich für die Gleichschaltung und schaut doch mit einer Mischung aus Bewunderung und Schaudern auf den Prozess und dessen Folgen für den »Sodomiten « Wilde. Womöglich tritt uns Tóibíns »Henry« sympathischer entgegen, als dieser »Letzte Puritaner« in Wahrheit war, um den Titelhelden von George Santayanas großem Roman zu zitieren. Über diese Spezies heißt es bei Santayana: »Alles Geschlechtliche ist ihnen zuwider, und sie können es nicht auf beglückende Weise mit ihrem Gefühl für die Menschen, die sie lieben, in Verbindung bringen. Deshalb bleibt Sinnlichkeit für sie immer etwas Ekelha es, bloße Zärtlichkeit aber etwas Unvollkommenes.« Gleichwohl ist es mehr und anderes als eine neurotische Störung. Jedenfalls bei diesem »Henry«. Dessen Strategien des Verschweigens hat Tóibín überzeugend Ausdruck verliehen. //
Colm Tóibín: Porträt des Meisters in mittleren Jahren Hanser, 2005, 424 S., 24,90 €