Text Honke Rambow
Denkmalschutz oder Abriss – dies seien in der Diskussion um die Bauten der Nachkriegsmoderne meist die einzig beiden Alternativen, glaubt Theo Deutinger. Der österreichische Architekt und Urbanist mit Büros in Salzburg und Amsterdam rief das Projekt »Ruhrmoderne« ins Leben, um einen neuen Umgang mit diesen Bauten zu finden.
Sein Interesse für das Ruhrgebiet wurde geweckt, als er 2014 durch ein Projekt in den Niederlanden auch auf die Stadt Marl aufmerksam wurde. Hier wie auch im benachbarten Wulfen findet sich eine einzigartige Konzentration an herausragenden Bauten und Experimenten der Nachkriegsmoderne. Und damit alle hinlänglich bekannten Probleme mit jenen Bauten: geringer Zuspruch in der Bevölkerung, Leerstand, Verfall der Substanz.
Zunächst erarbeitete Deutinger das Projekt »Der Garten der Moderne« für Marl, doch schnell wurde ihm bewusst, dass nicht nur der Nordrand des Ruhrgebiets, sondern die gesamte Region in die Bearbeitung einbezogen werden sollte. Nun ist die Diskussion um den Umgang mit dieser Bau-Epoche in Fachkreisen nichts Neues mehr. Während die Akzeptanzprobleme unter Laien durch den rasant zunehmenden Sanierungsbedarf besonders der Stahlbetonteile immer größer werden, sind Architekten und Denkmalschützer alarmiert. Meist ist dann der Kampf um die Denkmalwürdigkeit der Gebäude das Mittel, um sie nicht bis zur Schrottreife verkommen zu lassen.
Theo Deutinger will mit der »Ruhrmoderne«, die auch von StadtBauKultur NRW unterstützt wird, einen anderen Weg einschlagen. Denkmalschutz ist immer auch eine Art Musealisierung der Städte. Das Ruhrgebiet hat dies am Beispiel der Industriekultur durchexerziert: Zechen und Stahlwerke wurden erhalten; einzige Möglichkeit war oft eine Nutzung für Kultur, als Museum oder Eventhalle. Zum einen ist das Umnutzungspotenzial begrenzt, zum anderen für diese zumeist Verwaltungs-, Wohn- oder Zweckbauten kaum praktikabel.
»Ruhrmoderne« setzt deshalb nicht auf Erhaltung im Originalzustand um jeden Preis. Ziel ist es, die Zustimmung zu den architektonisch wertvollen Arbeiten durch neue Nutzung zu erhöhen. Dass dazu in jedem Einzelfall eine gründliche Abwägung zwischen Modernisierungsbedarf und Substanzschutz nötig ist, trifft einen zentralen Punkt in Deutingers Ansatz. In einem so großen Maßstab sei das bisher noch nicht versucht worden, ist er überzeugt.
Eine Kick-Off-Veranstaltung für die »Ruhrmoderne« fand bereits statt. Mit Experten wurde ausgelotet, wie ein weiterer Prozess aussehen könne. Der ist auf mehrere Jahre hin angelegt und startet mit einer Bestandsaufnahme im gesamten Ruhrgebiet. Am Ende soll ein Architekturführer stehen und die Ruhrmoderne ein touristisches Konzept, vergleichbar mit der Route der Industriekultur, sein. Allein das, so ist Deutinger überzeugt, könne bereits zu einer Attraktivität der Gebäude für Nutzer und besonders beim Wohnungsbau ein Bewusstsein für die Architektur zum Nachfrageschub führen.
Parallel plant Deutinger das, was gern »Labor« genannt wird. »Die Bewohner sind die besten Experten für die Ruhrmoderne«, ist der Architekt überzeugt. Ohne sie werde Akzeptanz kaum zu erreichen sein. In Marl gebe es schon eine Art Fanclub, erzählt Deutinger, er ist sich aber durchaus bewusst, dass es sich um ohnehin interessierte und engagierte Bürger handle, mit denen allein sich kein allgemeiner Bewusstseinswandel vollziehe. Entscheidend wird sein, eine kritische Masse zu mobilisieren.
Dritte Stütze der »Ruhrmoderne« ist die weitaus anspruchsvollste. Gebraucht und gesucht werden Menschen mit Ideen. Praktischen Ideen. Nutzungsideen. »Leerstand ist die größte Gefahr. Ungenutzte Gebäude verfallen, sind dem Vandalismus ausgeliefert, werden als Schandfleck wahrgenommen, und irgendwann macht der Zustand eine Sanierung nicht mehr möglich.«
Die Idee kann ein Döner-Imbiss sein oder ein Unternehmen, das Büroraum benötigt. »Ruhrmoderne« will da eine Vermittler- und Moderatorenrolle einnehmen. Gemeinsam mit Interessenten und Architekten sollen Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Sanierung und Modernisierung überlegt werden. Aus diesen Bausteinen könnte ein Modell für die gesamte Diskussion um die Bauten der Nachkriegsmoderne entstehen.