// Die Reise nach Düsseldorf: »Für mich ist es so etwas wie eine sentimental journey«. Jahrzehnte sind vergangen, doch Lawrence Weiner erinnert sich noch lebhaft. An Kollegen, die er einst hier traf – an Richter, Polke, Rückriem, Palermo. Auch an Konrad Fischer mit seiner legendären Avantgarde-Galerie in der Düsseldorfer Altstadt, wo der Künstler aus New York seit 1969 Stammgast war. Und an jenen Morgen: Um sechs war Weiner mit dem Flugzeug gelandet und hatte seine schweren Taschen zu Fischers Haustür geschleppt. »Dann gingen wir zur Galerie und versuchten, eine Ausstellung aufzubauen, von der wir beide nicht glaubten, dass sich irgendjemand dafür interessiert.«
Heute, mit 66 Jahren, kann Lawrence Weiner mit mehr Beachtung rechnen, wenn er in Düsseldorf landet. Nach Stationen in New York und Los Angeles ist seine große Retrospektive jetzt angekommen in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K21, ihr einziger Halt in Europa.
Weiners schon immer imposanter Vollbart ist geblieben – wenn auch ergraut. Und auch was die Kunst betrifft, bleibt Weiner der derselbe. Gelegentliche Abwandlungen oder Erweiterungen des Repertoires kratzen nicht an seinen künstlerischen Prinzipien, die seit 40 Jahren feststehen. Das belegt nun auch der Düsseldorfer Überblick. Ende der 60er Jahre schon hatte Weiner damit begonnen, seine Kunstwerke als Formulierungen in Sprache niederzulegen: »EIN GLETSCHER VERWÜSTET«, »EINE TASSE MEERWASSER AUF DEN BODEN GEGOSSEN«, »EIN LITER GRÜNE LACKFARBE AUF EINE BACKSTEINMAUER GEWORFEN«. Mit solchen Anweisungen auf Zetteln oder Plakaten, in Büchern, auf Wänden oder Fassaden konfrontierte er sein Publikum. Und tut es noch heute.
Die Praxis hat Kunstgeschichte geschrieben, trotzdem provoziert sie, nach wie vor. Dabei macht die Retrospektive noch einmal bewusst, wie revolutionär Weiners Entscheidungen eigentlich waren: Dass ein Bildhauer die Sprache zum Material seiner Arbeit macht. Dass er die Idee zum Kunstwerk erklärt, ihre Ausführung dagegen als unwesentlich erachtet. Dass er damit wegführt vom einzigen, unvergleichlichen, unveränderbaren Original. Daraus spricht ein Selbst- verständnis, das gerade heute, in Zeiten irrwitziger Auktionsrekorde und hochgejubelter Künstlerstars wieder zu denken gibt.
Weiners Arbeiten werden nicht in sorgsam gesicherten Kisten umhergeschickt. Der Künstler-Nomade trägt sie im Rucksack bei sich, wenn er von einer Schau zur nächsten um den Globus reist. Oder er hat sie ganz einfach im Kopf – zusammen mit 40 Jahre alten Statements, die bis heute immer wieder zitiert werden, wenn es da-rum geht, diese Kunst zu erklären: »1. Der Künstler kann die Arbeit herstellen. 2. Die Arbeit kann angefertigt werden. 3. Die Arbeit braucht nicht ausgeführt werden.«, so stellte Weiner damals fest. Jede dieser Möglichkeiten sei gleichwertig und entspreche der Absicht des Künstlers. »Die Entscheidung über die Ausführung liegt beim Empfänger zum Zeitpunkt des Empfangs.«
Jene vielsagenden Sätze bringen Weiner ganz eng in Verbindung mit der Concept-Art der 60er – mit Künstlern wie Joseph Kosuth oder Sol LeWitt, die damals wie er in New York lebten. Weiner selbst hat sich aber von Anfang an gegen das konzeptuelle Label gewehrt. »Ich sehe nicht, dass es zu mir passt«, protestierte er schon 1969 gegenüber dem Kollegen Kosuth. Doch der erwiderte: »Du benutzt Sprache, deshalb ist der Begriff konzeptuell passend, ob dir das gefällt oder nicht, Baby.« Die Macher der Düsseldorfer Schau stellen sich indes auf Weiners Seite. Er sei kein Konzept-Künstler, sondern vor allem Bildhauer, meint Kuratorin Stefanie Jansen. Denn es gehe Weiner vor allem um das Material und um die Beziehung des Menschen zum Material.
Recht handfest scheint denn auch der Start in der K21. Zu den frühesten Stücken der Schau zählt ein dicker Kalksteinbrocken, der sich auf einem derben, eigens für ihn angefertigten Holztisch präsentiert. Das schlichte Arrangement von 1963 kam nicht ohne weiteres zustande: Über Wochen lag der Stein damals herum im Garten hinter Weiners Atelier. Verzweifelt habe er versucht, etwas daraus zum machen, sagt der Künstler. Das war nicht einfach, denn die Arbeit sollte nicht im Geringsten die Fragen der Kunstgeschichte aufgreifen. »Den Stein am Ende auf den Tisch zu legen und es dabei zu belassen, war die Lösung.«
»What Is Set Upon the Table Sits Upon the Table (The Stone on the Table)«, so der typische Titel dieses wegweisenden Werks. »Was auf den Tisch gesetzt wird, steht auf dem Tisch (der Stein auf dem Tisch)«. Nun scheinen die berühmten Spracharbeiten nicht mehr fern. In Düsseldorf sind um die 50 davon zu lesen. Eine heimische Beschriftungsfirma hat die Buchstaben und Symbole nach Weiners Weisungen aus New York produziert, und vor Ort im Museum bestimmte Weiner ihre genaue Platzierung.
Gleich in der großen Eingangshalle stößt man mit dem Blick nach unten auf die Titelarbeit der Ausstellung: »AS FAR AS THE EYE CAN SEE«. Die Arbeit »gehört« der großen New Yorker Galeristin Marian Goodman. In ihrer Wohnung sei sie immer mit Blick über den Central Park installiert gewesen, weiß Weiner. Bei der ersten Station der Retrospektive vor ein paar Monaten zog sie sich dagegen als gelbe Zeile hoch oben an der Fassade des Whitney Museums entlang. Und nun liegt sie am Boden, zum Kreis gebogen: »SO WEIT DAS AUGE REICHT«. Darüber reicht der Blick durch die gläserne Kuppel des Ständehauses bis in den Himmel.
Weiners Werke können wandern. Sie können in der Schublade liegen oder als Schriftzug in Erscheinung treten. An der Wand, auf Papier, Glas, Holz, sogar auf der Haut. Die Buchstaben können ihre Gestalt und Größe ändern, sie können neu angeordnet in alle möglichen Sprachen übersetzt und an beliebig vielen Orten dieser Erde gleichzeitig gezeigt werden.
Als Schriftzug oder auch in die Tat umgesetzt. Für eine regelgerechte Ausführung eignen sich vor allem die sehr konkret gehaltenen Formulierungen aus der Frühzeit. Diese etwa: »EIN HALBER LITER WEISSER HOCHGLANZLACK AUF DEN BODEN GEGOSSEN UND TROCKNEN GELASSEN«. Oder jene: »EINE WAND DURCH EINEN EINZIGEN SCHROTFLINTENSCHUSS MIT KRATERN ÜBERSÄT«. Vier solcher Einfälle führt die Schau aus – die Ergebnisse sind als Löcher im Putz und Farblachen auf dem Boden zu bewundern.
War Weiner selbst am Werk? Legte er die Flinte an? War er es, der den Farbeimer umgekippt hat? Das ist völlig gleichgültig. Solange die Idee vom Künstler stammt. Alles Übrige können ebenso gut andere übernehmen. Weiner gewährt den »Empfängern« da maximale Freiheit. Die K21-Kuratoren haben sie gewitzt genutzt, sie platzierten Weiners Schriftgut an unerwarteten Stellen. An der Außenwand des Stammhauses am Grabbeplatz, in einer regionalen Tageszeitung, sogar auf einer Düsseldorfer Straßenbahn.
»A LINE DRAWN FROM THE FIRST STAR AT DUSK TO THE LAST STAR AT DAWN«, ist da zu lesen. Und auf der anderen Seite des Zuges: »EINE LINIE GEZOGEN VOM ERSTEN STERN DER ABENDDÄMMERUNG BIS ZUM LETZTEN STERN DER MORGENDÄMMERUNG«. Die Möglichkeit der Ausführung hat Weiner bei dieser Niederschrift von 1995 offenbar längst aus den Augen verloren.
Beim Blick über die Jahrzehnte kann man in Düsseldorf beobachten, wie Weiner die Schrifttypen wechselt, wie er allerlei Symbole in seinen Zeichensatz aufnimmt. Und wie sich die Inhalte verändern. Zunächst sehr konkret, heben Weiners Anweisungen immer öfter ab – ins Poetische, Metaphorische, Utopische. Bis hin zur jüngsten Arbeit, die ganz deutlich ein Memento mori anstimmt: »SOME FLOWERS CUT AND STREWN UPON SOME APPLES FALLEN FROM THE TREE & LAID TO REST«, so lautet der Satz aus dem vergangenen Jahr. »EINIGE BLUMEN GESCHNITTEN UND GESTREUT ÜBER EINIGE ÄPFEL DIE VOM BAUM GEFALLEN SIND & SICH ZUR RUHE GELEGT HABEN«. //
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K21, Düsseldorf. Bis 11. Januar 2009. Tel.: 0211/8381 130. www.kunstsammlung.de