INTERVIEW: ULRICH DEUTER
Am 11. Dezember 1964 dokumentiert der Fotograf Manfred Tischer (1925–2008) mit Einverständnis von Joseph Beuys ein Fluxus-Happening des Künstlers im Landesstudio Düsseldorf des ZDF. Es wird live gesendet, aber nicht aufgezeichnet, Tischers Schwarz-Weiß-Fotos sind das einzige Bildzeugnis der später »Das Schweigen von Marcel Duchamp wird überbewertet« genannten Aktion. 2009 will das Museum Moyland die bis dato ungezeigten 18 Fotos präsentieren, Witwe Eva Beuys und ihre Rechtevertreterin, die VG Bild-Kunst, klagen dagegen und obsiegen nun auch vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf. Begründung der Richter: Die Fotos seien eine »Umgestaltung« und daher ein ohne Genehmigung rechtswidriger Eingriff in das Ursprungswerk, die Beuys-Aktion.
Rechtsanwalt Simon Bergmann von der Berliner Kanzlei Scherz Bergmann vertrat das Museum vor Gericht. Mit ihm sprach K.WEST über das Urteil und seine Folgen.
K.WEST: In diesem Rechtsstreit spielen verschiedene Begriffe eine Rolle, die die Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Werke betreffen; wollen Sie die bitte dem juristischen Laien erklären?
BERGMANN: Das Urheberrecht unterscheidet drei verschiedene Etappen der Übernahme anderer urheberrechtlich geschützter Werke. Die erste ist die Vervielfältigung, die sich dadurch auszeichnet, dass sie ein Werk eins zu eins übernimmt, etwa wenn auf einem Foto ein Kunstwerk gut zu erkennen und auch nicht umgestaltet ist. Im Fall des Beuys’schen Happenings wäre dies eher eine Abfilmung gewesen, eine Bild- und Tonaufnahme, mit der die wesentlichen Bestandteile des Werks wiedergegeben wären. Auch eine solche Vervielfältigung ist in jedem Fall ohne Einverständnis des Urhebers unzulässig. Die zweite Etappe ist die der Umgestaltung oder Bearbeitung, auch sie ist ohne Erlaubnis unzulässig, sofern das Ursprungswerk in seinen wesentlichen Charakterzügen zu erkennen ist. Die dritte Etappe ist die der freien Benutzung, auch da wird ein anderes Werk zur Vorlage genommen, es mag auch noch erkennbar sein, aber in seinen wesentlichen Zügen nicht mehr, man sagt, es verblasst in dem neuen Werk. Diese drei Stufen müssen bei der Beurteilung der rechtmäßigen Wiedergabe jeweils untersucht werden.
K.WEST: Das OLG ist nun der Auffassung, dass die Tischer-Fotos die von Ihnen erwähnte zweite Etappe darstellen, also eine unzulässige Bearbeitung des Ursprungswerks. Muss man das Urteil also so verstehen, dass eine Fotoarbeit, die das Abgelichtete verfremdet hätte, als freie Bearbeitung angesehen worden und damit erlaubt gewesen wäre?
BERGMANN: Ja. Kolorieren, Verwischen, weitergehende Bearbeitung irgendeiner Art hätte die Fotos je nach Abstraktionsgrad vermutlich in den Bereich der freien Benutzung gebracht und keinen Rechtsstreit hervorgerufen.
K.WEST: Umgekehrt formuliert bedeutet dies, gerade weil die Fotos von Tischer die Aktion von Beuys gut wiedergaben, stellten sie einen Eingriff in das Ursprungswerk dar.
BERGMANN: So die Argumentation des OLG Düsseldorf. Das Gericht sagt, Tischer wollte dokumentieren; er hat es auch geschafft und die wesentlichen Charakteristika wiedergegeben, sie aber auch bearbeitet, indem er eine bestimmte Auswahl getroffen hat. Das heißt, er hat von einigen Objekten des 20 bis 30-minütigen Happenings mehr Aufnahmen angefertigt als von anderen, er hat sich auf das Plakat »Das Schweigen von Marcel Duchamp …« sowie auf die Fettecke konzentriert. Und darin sieht das OLG eine verfälschende Bearbeitung des ursprünglichen Happenings. Man stellt also darauf ab, der Betrachter werde über das Happening nicht mehr richtig informiert, weil Tischer in seinen Fotos eine Art Wertung vorgenommen habe.
K.WEST: Dem Nichtjuristen kommt diese Argumentation absurd vor: Gerade weil die Fotos nicht verfremdet haben, stellen sie einen Eingriff dar.
BERGMANN: Mein Ansatz ist noch ein anderer. Ich bin der Meinung, das OLG hat hier verkannt, um was es bei einem Happening geht. Ein Happening besteht aus zahlreichen Komponenten: Geräuschen, Bewegung, den Objekten, die dabei entstehen, der Person, die spricht – aus einer ganz bestimmten, eigenartigen Atmosphäre. Wenn man dies berücksichtigt, dann ist klar, dass so ein Ereignis durch 18 Fotos schlechterdings nicht wiedergegeben werden kann. Es kann so weder vervielfältigt werden, noch kann es dadurch »unzulässig bearbeitet« werden. Fast alles von einem Happening fällt durch das Fotografieren weg, weswegen ich der Meinung bin, die Fotos stellen eine freie Benutzung dar, deren Veröffentlichung nicht genehmigungspflichtig ist. Niemand kann anhand dieser 18 Fotos wiedergeben, was damals tatsächlich passiert ist. Nur Relikte sind erkennbar, und auch die bedürfen einer Bildlegende, um zu verstehen, um was es sich handelt.
K.WEST: Revision beim Bundesgerichtshof ist zugelassen. Wenn der genauso urteilt wie die beiden ersten Instanzen, was hätte dies Ihrer Meinung nach für Folgen für die Berichterstattung bzw. Dokumentation von künstlerischen Ereignissen?
BERGMANN: Das wäre gefährlich für die Dokumentationsfotografie, weil es übertragbar auch auf andere Werkformen außerhalb des Happenings wäre, auf Theatervorführungen, Straßenkunst. Alles was mit einer bewegten mehrdimensionalen Aufführung verbunden ist, wäre ja argumentativ gleichermaßen betroffen. Indem man als Fotograf bestimmte Ausschnitte wählt, würde das Werk dann nicht mehr so wiedergegeben, wie es geplant war, jedenfalls nicht vollständig, und durch die momentweise Aufnahme würde es im Handlungsablauf verfälscht dargestellt. Das wäre die schlüssige Argumentation. Diese Gefahr sehe ich. Nun gut, bei Aufführungen in Theatern braucht eine Fotograf ohnehin eine Zulassung …
K.WEST: … jeder Regisseur könnte aber im Nachhinein die Veröffentlichung untersagen, weil ihm das Foto »nachteilhaft« vorkommt.
BERGMANN: Richtig, dieser Argumentation würde Tür und Tor offenstehen. Es würde schwieriger.
K.WEST: Auch Greenpeace z. B. könnte die bildliche Berichterstattung über ein politischen Happening verhindern.
BERGMANN: Selbstverständlich. Und der Urheberrechtsschutz für Werke fängt sehr früh an. Straßenkünstler etwa sind auch Urheber, wenn jemand für eine Zeitung davon ein Foto macht, könnten auch die dagegen vorgehen.
K.WEST: Sehen Sie irgendeine Parallele zum Esra-Fall, also den Roman von Maxim Biller, den letztlich das Bundesverfassungsgericht verboten hat?
BERGMANN: Kaum. Dabei ging es ums Persönlichkeitsrecht, weil eine Frau sich in der Protagonistin des Romans wiedererkannt sah.
K.WEST: Für mich besteht die Verwandtschaft dort, wo die Gerichte sich schwer tun, der Kunst eine eigene Deutungs- und Wirklichkeitsebene zuzugestehen, die eine besondere Beziehung zur Lebensrealität besitzt, nicht auf sie zu verrechnen ist.
BERGMANN: Gut, mit dem Kunstbegriff tun sich die Gerichte immer sehr schwer. 1964, als Beuys seine Aktion durchführte, hätte ein deutsches Gericht wahrscheinlich gesagt, das ist gar keine Kunst. Was aber meines Erachtens bleibt ist ein falscher Ansatz, den ich mir nur vor dem Hintergrund erklären kann, dass sich die Richter nicht vorstellen können, was ein Happening ist. Offenbar hat sich das Gericht so eine Art Choreografie der Handlungsabläufe vorgestellt, Einleitung, Höhepunkt und Happy End, deren Wesentliches in den Fotos zu erkennen sei, nämlich die Fettecke und das Plakat. Ich hoffe sehr, dass die Stiftung Schloss Moyland sich zu einer Revision bereitfindet und der BGH die Sache dann anders sieht, zumal wir hier juristisches Neuland betreten. Allerdings haben die Gerichte ja den Streitwert auf 200.000 Euro angesetzt, eine so hohe Summe deutet darauf hin, dass man eine Klärung eher verhindern will, denn da entstehen enorme Kosten. Aber ich bin nach wie vor optimistisch.