TEXT: URLICH DEUTER
Der Beginn ist schwungvoll und wirr wie der eines jüngeren Kinofilms (vielleicht »Magnolia« von P.T. Anderson). Zuerst zoomt der Blick auf einen Bahnhof, »schwermütig, aber unseriös«: den Vorstadtbahnhof von Bullet Park – New York ist nah und weit weg. Dann streift er die Immobiliensituation des Ortes: Häuser zwischen 50.000 und 75.000 Dollar. Springt auf einen Makler und dessen Kunden, Mr. Hammer, der uns erst viel später wieder beschäftigten wird. Lässt einen »rachsüchtigen« Jugendlichen (der nie wieder vorkommt) die ganze Vorstadtekligkeit in Grund und Boden verfluchen. Und schwingt – nach ein paar weiteren Zwischenstationen – friedlich aus, um auf den Nailles liegen zu bleiben: Eliot, den Mundwasser-Chemiker, seine appetitliche Frau Nellie und den heranwachsenden Sohn Tony. Doch die Assoziation läuft verkehrt herum. Filme wie jener oder D. Lynchs »Blue Velvet«, die genau wie »Bullet Park« so liebevoll die weißglänzenden Gartenzäune und immergrünen Rasenflächen glücklicher Einzelhaussiedlungen zeigen, um dahinter einen Abgrund aus Alkoholismus, Langeweile und Verbrechen bloßzulegen, sind viel jünger als dieser Roman, der 1969 heraus kam, schon einmal auf Deutsch erschien und jetzt eine neue Übersetzung bekommen hat. Und immerhin ist John Cheever, der von J. Updike oder J. Franzen verehrte Meister der Vorstadt-Entlarvung und American Dream-Parodie, schon seit 1982 tot. »Wie sie so an ihrem Frühstückstisch saßen, schienen Nailles und Nellie noch weniger Ausstrahlung zu haben als Comicfiguren – aber woran lag das?« Daran eben, dass sie es sind: arbeitsam, agil auf Partys oder bei der Freiwilligen Feuerwehr, stets vorwärts schauend, Depressionen entschlossen mit der Pille bekämpfend, in klaren Farben koloriert und flach wie – wie die Simpsons etwa. Und ähnlich tragikomisch: von halbgaren Ideen gebeutelt, rechtschaffen bis zur Naivität, tollpatschig und sexuell maßvoll. Es wankt unentwegt, dieses kulissenhafte Leben, aber fällt nie um, nicht einmal durch einen Mordanschlag des Mannes mit dem Namen: Hammer. Denn zu stark sind die Klischees, die alles halten. Nah kommen sie einem nicht, Cheevers Simpsons. Der Einfallsreichtum und elegante Sprachwitz ihres Schöpfers aber sehr. | UDE
John Cheever, »Die Lichtervon Bullet Park«; aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel. DuMont, Köln 2011, 256 S., 19,99 Euro