Es war im November 2004. In den Bochumer Kammerspielen lief »Romeo und Julia«, der junge Regisseur war den meisten Premierengästen unbekannt. »Frisch von der Regie-Schule«, raunte man, »in Salzburg gefeiert«. Oder, skeptischer: »So jung und schon Shakespeare? « Eine absurde Frage, im nachhinein. Vielmehr ist es erstaunlich, dass »Romeo und Julia« nicht immer so frisch-frech-authentisch, so lustvoll-leicht gegeben wird. Großes Kino im Theater war das, inklusive eines Soundtracks, der im Ohr haften blieb, ebenso wie die Bilder der aufreizend albern im Wasser planschenden Liebenden seitdem im Kopf kleben. So sah er aus, David Böschs Einstand in NRW.
Bösch war 26, hatte sein Regie-Studium in Zürich beendet und war, man kann es nicht anders sagen, durchgestartet: Er hatte am Thalia in Hamburg inszeniert und bei den Salzburger Festspielen, er hatte eine Einladung ans Zürcher Schauspielhaus und den ersten Preis beim Nachwuchs-Regiewettbewerb gewonnen. Ganz schön aufregend, wenn man erstens aus Ostwestfalen und zweitens ein ziemlicher Theater- Spätstarter ist.
Gut ein Jahr später hat David Bösch die Bremse eingelegt. Bei Milchkaffee und Cola sitzt er in der »Heldenbar« des Essener Grillo- Theaters und entspannt nach einer Probe. Er ist nun »Hausregisseur« – ein ungewöhnlicher Titel für einen 27-Jährigen. Intendant Anselm Weber hat ihn engagiert und ihm zunächst Shakespeares »Ein Sommernachtstraum « überlassen. Nun steht am 18. März die Premiere von Werner Schwabs »Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos « an. Bösch ist nach Essen gezogen. Für jemanden mit seinem Lebenslauf ein Abstieg – oder? »Hier habe ich Kontinuität, und in Hamburg und Zürich arbeite ich trotzdem weiter. Es gibt zwar einige Dinge, die ich absagen muss, weil ich verpflichtet bin, aber das hat mir bisher noch nicht leid getan. Wer wirklich an mir interessiert ist, der verfolgt meine Arbeit weiter.« In Essen will Bösch sammeln und sortieren: Erlebnisse einordnen, Erfahrungen horten. Dazulernen, wie man mit verschiedenen Schauspieler-Persönlichkeiten umgeht; ein bisschen cooler werden im Umgang mit schlechter Presse. Denn auch die gab es schon: Böschs Inszenierung von Marivaux’ »Der Streit« am Zürcher Schauspiel fiel bei vielen Kritikern durch. »Banalisiert zum Schmunzelstückchen«, schrieb die Zeit, und: »alles bleibt plump und harmlos.« David Bösch hat die Coolness noch nicht, die schlechte Kritiken einfach abperlen lässt, dafür aber eine Theorie, wie es so abläuft in deutschen Feuilleton-Redaktionen. Die Bösch-Rezeption, findet er, hat sich geändert in den zwei Jahren, in denen man Bösch nun rezipieren kann. »Bis vor einem Jahr bin ich noch als eine Art Geheimtipp gelaufen«, sagt Bösch, »nach dem Motto: Der soll ganz gut sein, da schicken wir mal den jungen Kollegen hin. Und jetzt stelle ich mir das so vor, dass der junge Kollege in der Redaktion sagt: der Bösch ist wieder da, ich geh hin. Und dann sagt der Chef-Kritiker: Nee, nee. Da geh ich jetzt hin.« Die Geschichte endet so, dass der Chef-Kritiker aus dem Theater kommt und dem Jung-Kritiker einen Vortrag hält: »Jetzt pass mal auf. Also, da war diese »Streit«-Inszenierung von Patrice Chéreau vor 20 Jahren …« Da hat der Kritiker-Nachwuchs keine Chancen, und der Regisseur-Nachwuchs auch nicht. Große Seh-Erfahrung kann David Bösch tatsächlich nicht vorweisen. »Ich war während der Schulzeit ein paar Mal in Bielefeld im Theater und habe nicht viel verstanden.
Das Kino habe ich verstanden, und dort habe ich mich verstanden gefühlt, daher bin ich lieber ins Kino gegangen.« Dass das (Hollywood-) Kino und dessen große Gefühle ihn geprägt haben, vertritt er selbstbewusst: »Wie kann man das grundsätzlich ablehnen? Das sind ja große, archetypische Geschichten.« Diese Prägung sieht man seinen Inszenierungen an. Aus der Figur des Puck im »Sommernachtstraum « etwa machte Bösch ein pubertierendes Wesen, das erst am Ende zu seiner Weiblichkeit stehen kann und in der letzten Szene – vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan – strahlend im Abendkleid dasteht, während klebrig-süße Finale-Musik dröhnt. Dann ein Cut – die Musik verstummt, das Hollywood-Ende wird sogleich wieder gebrochen. Aus großem Kino wird ironisches Theater – David Bösch versucht nicht, Kino auf die Bühne zu holen, aber er spielt gerne mit den Formen.
Dabei gehört Bösch nicht zu jenen Künstlern, deren einziges Stilmittel die Ironie ist. Er trägt weder schwarze Hornbrille noch Trainingsjacken aus den 70er Jahren. Stattdessen einen löchrigen Kapuzen- Pulli, dessen Ursprungsfarbe unmöglich zu bestimmen ist, eine grüne Cordhose und schulterlange blonde Haare mit verrutschtem Scheitel. Manchmal nimmt er seine Haare in beide Hände, um sie aus dem Gesicht zu streichen – mit zweifelhaftem Erfolg. Zwischen seinen Augen steht eine ernste Falte, die nur selten verschwindet. Auch seine Antworten sind ernst und konzentriert. Der Jung-Regisseur lässt viele Sätze unvollendet und beginnt sie neu, wenn ihm ein anderer Gedanke dazwischen kommt. Er spricht leise, er sagt »man« statt »ich«, und allzu häufig umgibt er seine Aussagen mit Unsicherheits-Wörtern: »so irgendwie«. Doch das sollte niemanden darüber hinweg täuschen, dass der junge Mann weiß, wovon er spricht. Dass er eine Überzeugung besitzt, und zwar schon länger, und dass er es nicht nötig hat, sie herauszurufen, wenn man sie doch auch ruhig und nachdenklich vermitteln kann.
David Böschs wichtigste Überzeugung dreht sich um die »Besinnung auf die Schauspieler«. Wenn er das Wort »Schauspieler« sagt, wird seine Stimme ein wenig lauter, die Gestik raumgreifender. David Bösch liebt Schauspieler und hat Respekt vor ihnen. »Der Schauspieler ist sowohl in der Arbeit als auch im Ergebnis das Zentrum« – diesen Satz sagt er zwei Mal. Er will die Stücke mit den Schauspielern gemeinsam entdecken und entwickeln. Er will sie alle mögen und will, dass sie ihn mögen. Dafür will er sie beschützen vor Kritik, die er am lieb sten allein auf sich nehmen würde. Nach der Premiere des Marivaux-Stücks blieb David Bösch noch zwei Tage in Zürich, um mit den Akteuren die Kritiken zu lesen. »Wo es gegen die Schauspieler geht, da hört es auf, finde ich. Ich kann gut verstehen, wenn Schauspieler gar keine Kritiken mehr lesen. Das ist keine Eitelkeit, sondern ein Schutzmechanismus.« Kritiken erinnern ihn, dessen Schulzeit noch nicht allzu lange her ist, an Schulzeugnisse. »Dass ich mich wie von einem Lehrer beurteilt fühle, davon muss ich mich lösen«, hat er sich vorgenommen.
Wovon sich wiederum die Kritiker lösen müssen, ist der Versuch, diesen jungen Mann zu verorten. Die Regisseur-Verortung ist ein nachvollziehbares Anliegen, schließlich erleichtert sie die Bösch-Rezeption: Man kann mit festen Vorstellungen im Kopf in eine Bösch-Inszenierung gehen und das Gesehene daran messen. Bösch und seine Arbeit allerdings verweigern die Verortung; alte Etiketten wie »Dekonstruktivist« oder »Realist« passen einfach nicht zu ihm: »Es gibt keine prägenden Figuren, die ich unbedingt vom Sockel stoßen oder denen ich etwas beweisen will.« Aus dieser Aussage spricht nicht Arroganz, sondern entwaffnende Ehrlichkeit: »Dazu habe ich in meiner Sozialisation auch viel zu wenig Theater gesehen.« Selbstverständlich weiß er, dass man zwangsläufig in einer Schublade landet, weil andere einen reinstecken – und sei es eine mit der Beschriftung »will sich partout nicht verorten lassen«. Gemeinsamkeiten mit anderen jungen Kollegen gebe es durchaus, findet Bösch. Mit Annette Pullen (Jahrgang 1974) und Roger Vontobel (Jahrgang 1977) war er sich zuletzt auf einem Symposium zumindest darüber einig, dass es keinen »Feind« gibt, »und dass wir an bestimmte Dinge glauben, an die man vorher vielleicht nicht mehr geglaubt hatte: an Schauspieler, an Emotionen, daran, Geschichten zu erzählen.« Ein Glauben, der was Altmodisches hat, findet Bösch.
»Geschichten erzählen« – das bedeutet beim »Sommernachtstraum« zum Beispiel, dass die Horrorfiguren seiner (Kino-)Kindheit auf der Bühne auferstehen dürfen. Freddy Krueger und Frankenstein, Leatherface aus dem »Texas Kettensägenmassaker« und Stephan Kings »Carrie« leben im Zauberwald und treiben makabre Scherze mit Hermia, Helena und Co. »Vier junge Leute gehen in den Wald – das ist doch Teen-Horror!« – Menschen unter 30 leuchtet dieses Konzept sofort ein. Und dem Rest? »Klar: So wie ich damals in Bielefeld im Theater saß und nichts verstanden habe, so sitzen in meinen Inszenierungen auch Leute, die das überhaupt nicht verstehen. Aber ich hoffe, dass sich eine gewisse Idee doch vermittelt – und ein paar Horrorfilm-Freaks haben dadurch noch ein Zusatz-Schmankerl.« David Bösch betrachtet es als Freiheit, das Alte neu entdecken zu können. Anders als Regisseure, die ihre Karriere über den Weg als Regie-Assistent machen, müssen sich die Absolventen der Regieschulen nicht zwangsläufig von ihren Lehrmeistern abgrenzen. Und so bewundert er an Luc Bondy dessen Arbeit mit Schauspielern und an Anselm Weber dessen Besetzungs-Geschick, er bewundert Jürgen Goschs Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden, und bei anderen die Rigorosität: »Wie radikal man zum Beispiel nicht ans Publikum denken kann. Es sind immer Punkte, die ich gerade als Manko in meiner Arbeit sehe, und dann denke ich: Aha, so macht man das. Ich habe noch viel zu lernen. Und dann denke ich auch wieder: Ach, die können ja alle von mir noch was lernen.« David Bösch lacht, aber nur ein bisschen. Natürlich läuft es für ihn insgesamt gut, und natürlich erlebt er trotzdem seine Krisen. »Bei der Arbeit an einer Produktion schwankt man gefühlsmäßig ja immer zwischen dem Glauben an eine Einladung zum Theatertreffen und der Befürchtung, man käme auf die Bühne und es ist niemand mehr zum Applaus da: Sie haben dich durchschaut!« Meistens weiß David Bösch aber, dass er Theater machen kann. Denn »die Kritiker und die Leute, die mir Arbeit geben, sind ja nicht alle doof. Anselm Weber ist ja kein Idiot, dass er mich hier arbeiten lässt.« Noch sieht er jedes neue Stück als Herausforderung und arbeitet daran, sich nicht an jedem einzelnen aufzureiben, die Kräfte einzuteilen.
»Ich möchte im Moment viel machen, weil ich durchs Machen lerne.« David Bösch, der junge Hype-Regisseur, hat weder Angst vor dem Hype noch vor dessen Ende. »Ein Hype«, sagt der Hype, »hat verschiedene Phasen, und eine Phase ist auch, wenn sich der Hype erschöpft.« Was dann kommt, weiß er nicht. Er glaubt an sich. Noch allerdings ist der Hype quicklebendig.
David Bösch wurde 1978 im ostwestfälischen Lübbecke geboren. Beim »Theater Total« in Bochum sammelte er erste professionelle Erfahrung. Er studierte ein Semester Theater- und Filmwissenschaften in Bochum, fiel durch die Aufnahmeprüfung von Schauspiel- und Regieschulen und entdeckte bei einem Workshop in Graz die Lust am Inszenieren.
Drei Semester lang studierte er Theater- und Filmregie an der Athanor Akademie Burghausen und wechselte 2000 an den Theaterregiestudiengang der Musik- und Theaterhochschule in Zürich, den er 2004 mit einer Diplominszenierung von Wedekinds »Frühlings Erwachen« abschloss. Seine Arbeiten »Leonce und Lena – A Better Day« (zurzeit in Essen zu sehen) und »Fluchtpunkt « von Jessica Goldberg sind preisgekrönt.
Weitere Arbeiten waren »Port« von Simon Stephens (Salzburger Festspiele und Thalia Theater Hamburg) sowie Taboris »Mein Kampf« in Hamburg, »Romeo und Julia« im Schauspielhaus Bochum und »Der Drang« von Franz Xaver Kroetz in Bern. Seit 2005 ist Bösch Hausregisseur am Grillo-Theater Essen, als Gast inszeniert er weiterhin in Zürich und Hamburg.