TEXT: ULRICH DEUTER
Anwalt Duchotels Gattin Léontine und sein Freund Dr. Moricet sitzen gemeinsam am Tischchen und besprechen in Ruhe ihren Seitensprung. Moricet (Steffen Reuber) dringt auf Erfüllung, Léontine (Petra von der Beek) findet immer noch Gründe dagegen, vor allem solche der Moral und Konvention. Hin und wieder kommt auch der Ehemann selbst (Albert Bork) auf ein paar Worte herein, auch er sachlich fast bis zur Schroffheit, mit den Gedanken woanders – strebt er doch wie sonst regelmäßig zur Jagd.
Das Duchotel’sche Wohn-Ambiente in seiner Nüchternheit spiegelt die emotionale Abstinenz des Personals, Plexiglasmöbel und -geschirr bekunden soziale Transparenz (Bühne Gralf-Edzard Habben). Ein einziges Mal entfährt Moricet ein Aufschrei der Enttäuschung, gleich wird er zurückgenommen. Léontine steht als kostbares Porzellan fest in der Vitrine ihres Gattinnenlebens. Draußen hinter der Glasfensterfront rinnt unablässig der Regen herab, das Geräusch dazu aber erinnert an Wellenrauschen – ist die unbewegte Madame Léontine vielleicht doch die Frau vom Meer, in sich die Sehnsucht nach dem ewig Verlorenen? Roberto Ciullis Inszenierung von »Monsieur Chasse« (dt. »Wie man Hasen jagt«), der Belle Epoque-Komödie des hierzulande nicht häufig gespielten Georges Feydeau (1862-1921), geht im Theater an der Ruhr einen bemerkenswerten Weg: Sie bremst die schnurrende Mechanik von Ehebruch, Verwicklung und Verwechslung, Verkleidung und Vertauschung, situativer Komik und schneller Rede, die Feydeaus Komödien bis zum Irrsinn antreibt, radikal herunter. Zwar wird lange nicht klar, wer wen betrügt; zwar werden Menschen verwechselt und Hosen getauscht. Doch da die Zahnräder von Schwank und Schnurre stille stehen und sich zwischen den Pointen Pausen von fast Fosse’schen Ausmaßen dehnen, tritt tatsächlich so etwas wie eine Ibsen-artige Gefühlswelt zutage, eine verborgene, leidende, auch hier am Ende nicht befreite. Aber Gefühlswelt. Man betrügt einander, um sich jenseits der Konventionen leben zu spüren. Man belügt einander, weil jenseits der Konventionen kein Leben denkbar ist. Ibsens »Frau vom Meer« kam 1889 heraus, Feydeaus »Monsieur Chasse« nur drei Jahre später; Ciulli kluge und überaus genau gearbeitete Interpretation beweist, dass das Eine im Andern steckt. Ein Beweis, der nicht gelänge ohne vor allem diese Zwei: Petra von der Beek und Steffen Reuber – zwei Seelen, die sich gegen die Komik sperren. Zwei Schauspieler auf ihrem Höhepunkt.