TEXT: ANDREAS WILINK
Ein Mann will nach oben. Und es steht ihm gut. Johan, JW genannt, blond, groß, smart, blendend aussehend, kommt aus dem Nichts der kleinbürgerlichen Provinz. In Stockholm studiert er Wirtschaftswissenschaften – und die Klassenverhältnisse. Schwedens jeunesse dorée, die sich in Clubs, auf Champagner-Partys und bei exklusiven Weekends mit Koks und dekadenten Zynismen vergnügt, hält JW für einen der ihren. Dresscode und Umgangsformen beherrscht er. Sein altes Auto parkt er lieber um die Ecke; sein Wohnheimzimmer, das mit Ausschnitten aus Modemagazinen voll hängt, kennt keiner. Aber JW führt noch ein Leben – er arbeitet illegal als Taxifahrer und Kurier für seinen Boss Abdulkarim, der im Milieu »der Araber« heißt. Er macht ihm das Angebot, in den Drogenhandel einzusteigen und gewissermaßen Finanzminister der Organisation zu werden und schmutziges Geld im Bankgeschäft zu säubern. Die weiße Ware wird aus Hamburg, versteckt in Kohlköpfen, geliefert: 40 Kilo im Wert von 40 Millionen.
Als Thriller über organisierte Kriminalität funktioniert Daniél Espinosas Geschichte (nach einem Roman von Jens Lapidus) nicht viel anders und auch nicht weniger klischeehaft und sentimental als Dominik Grafs ungebührlich hoch gelobte Fernsehserie »Im Angesicht des Verbrechens« über Berlins Russen-Mafia. Dirty streets gibt’s überall. Und führen überall strikt in die Hölle. Hier mischt sich die Unterwelt aus spanischen, südamerikanischen, serbischen und deutschen Killern, die sich gegenseitig an Gier und Verrat überbieten.
Aber als Studie eines Mannes, dessen Ich porös ist, der seine Identität wie Kleider wechselt, den Kick braucht und aus der Fülle ins Leere fällt, erreicht »Easy Money« beinahe die Qualität von Bret Easton Ellis‘ »American Psycho«, surft auf der Oberfläche wie der talentierte Mister Bateman: nicht zuletzt wegen seines Interpreten Joel Kinnaman, der staunende Unschuld, Noblesse, schreienden Selbstekel und Versteinerung verkörpert. Was bleibt, sind JW’s fassungslose Freundin Sophie, ein achtjähriges Mädchen ohne Vater und Mutter und viele Tote. Am Ende des düsteren Klassikers »Touch of Evil« sagt Marlene Dietrich zu Orson Welles, der als korrupter Polizist nach seiner Zukunft fragt: »Du hast keine«. Ein passender Schlusssatz auch für JW.
»Easy Money«; Regie: Daniél Espinosa; Darsteller: Joel Kinnaman, Matias Padin Varela, Dragomir Mrsic, Dejan Cukic, Fares Fares, Lisa Henni; Schweden 2009; 124 Min.; Start: 15. Sept. 2011.