TEXT: GUIDO FISCHER
1978 beschäftigten sich beide mit ganz anderen musikalischen Dingen als mit ehrwürdigen Jazzstandards. Chick Corea feierte mit seiner Fusion-Band »Return to Forever« riesigen Erfolg. Herbie Hancock hatte sich mit seinem jüngsten Projekt »V.S.O.P.« knackigem Jazz-Funk verschrieben. Umso verblüffter reagierte dann die Jazzwelt auf die Nachricht, dass die zwei Weltklasse-Jazzpianisten eine kleine US-Tournee geben und dabei mit »Someday My Prince Will Come« eine der unvergänglichen Jazz-Hymnen spielen würden. Obwohl Corea und Hancock sich seit gemeinsamen Jahren in der Band von Miles Davis etwas aus dem Blick verloren hatten, dokumentierte das bald veröffentlichte Doppel-Live-Album »An Evening with …« ein Duell auf Augenhöhe. Mit unbändiger Lust an der Rasanz nahmen sie sich »Someday My Prince …« vor. Und spielten sich mit links die Bälle bei den Hits des jeweils anderen zu, in Coreas »Fiesta« und Hancocks »Maiden Voyage«.
Nach diesem geglückten Gipfeltreffen warteten Konzertveranstalter bei dem Ausnahme-Duo allerdings vergeblich auf Fortsetzung. Noch vor kurzem wurde etwa Hancock gefragt, wann er endlich wieder mit Corea auf Tournee gehen würde. Lange haben sie sich geziert. Aber nun, nach knapp 40 Jahren, ist es soweit. Die inzwischen weit über 70-jährigen Herren kommen während ihrer Revival-Tour Anfang Juli auch nach Europa und geben ihr einziges Deutschland-Konzert in Essen.
Dass das Klavier-Festival Ruhr den Zuschlag bekam, mag nicht zuletzt am engen Kontakt liegen, den man seit vielen Jahren besonders zu Corea pflegt. Immer wieder wurde der Amerikaner mit verschiedenen Bands sowie als Partner von Bobby »The Voice« McFerrin eingeladen und 2006 mit dem Festival-Preis ausgezeichnet. Doch auch Hancock hat an der Ruhr schon besondere Auftritte absolviert; so machte er 2009 mit Lang Lang am zweiten Klavier aus Gershwins »Rhapsody in Blue« ein glamouröses Jazz-Event.
Beim gemeinsamen Abend ziehen sich manche Ohrwürmer durchs Programm. An ihren Ziehvater Miles Davies erinnern sie mit »All Blues«. Wie man den Besprechungen der Konzerte entnehmen kann, die Hancock & Corea bereits in den USA gaben, interpretieren sie Stücke, mit denen sie in den 1960er und 1970er Jahren Jazzgeschichte mitgeschrieben haben. Hancocks »Cantaloupe Island« entstand 1964 und wurde der Start für die eigene große Solokarriere abseits des Engagements im Miles Davis Quintett. »Spain« gehört zu Coreas ersten Coups, die er für seine Band »Return to Forever« komponiert hatte.
Doch wollen Hancock und Corea nicht nur zurückblicken. So haben sie Synthesizer dabei, um vielleicht mit dem akustischen Klang eines Flügels zu experimentieren. Wie Corea betont, halte man sich alle Optionen offen. Zumal beide sich aus einem einzigartigen Erfahrungsschatz bedienen, zu dem neben dem Spektrum von Modern Jazz bis Jazzpop auch Klassisches von Mozart, Strawinsky und Ravel gehört. »Es sind Gespräche zwischen uns, bei denen der eine nicht einfach auf den anderen reagiert«, so Hancock: »Die Herausforderung besteht darin, gemeinsam Momente zu schaffen, in denen etwas völlig Neues, Unerwartetes entsteht.« Beim Konzert in der New Yorker Carnegie Hall muss, wie man liest, diese Absicht jedenfalls vollends aufgegangen sein.
Chick Corea, Herbie Hancock, 11. Juli 2015, Philharmonie Essen.