Text Stefanie Stadel
Was schwappte da aus Übersee an europäische Gestade? Quadratische Stahlplatten, bunt kolorierte Kästen, reihenweise Leuchtstoffröhren – industrielle Einheitsware, ohne jede künstlerische Handschrift, ohne Tradition. Boten einer neuen Kunst, die nichts darstellen wollte als sich selbst. »What you see is what you see«, so erklärte Frank Stella 1964 den Kerngedanken der amerikanischen Minimal Art. »Was man sieht, ist was man sieht«: Ein Objekt im Raum, das weder Gefühle ausdrücken, noch irgendeine Geschichte erzählen will.
Die Neuigkeiten aus den USA schlugen gegen Ende der 1960er Jahre hohe Wellen in der Szene, vor allem im Rheinland und besonders an der Düsseldorfer Kunstakademie. Einige Reaktionen finden nun im Museum Morsbroich zusammen: per Ausstellungstitel deklariert als »postminimalistische Kunst aus dem Rheinland«.
Das klingt nicht gerade spektakulär. »Postminimalismus«, wem schon die Minimal Art eher spröde erscheint, der wird sich vom rheinischen Nachzügler kaum vom Hocker reißen lassen. Doch der lahme Begriff trügt. Mit leichtem Fuß setzen sich die Stücke der Schau über die Vordenker von der anderen Seite des Atlantiks hinweg. Sie machen sich die minimalistische Sprache zueigen, um damit oft ziemlich hintersinnige Inhalte vorzubringen.
Der früh verstorbene Imi Giese etwa. Gleich im ersten Ausstellungsraum legen sich seine drei Quader quer und brechen die scharfkantige Strenge, das serielle Einerlei der US-Minimal Art mit unerklärlichen Rundungen. Oder Marianne Pohl, die Papier benutzt, um das geometrisch fest Gefügte zu entfalten und in verspielten Wandobjekten Stabiles in Fragiles zu verwandeln. Auch Joseph Beuys suchte damals die Reibung an der Minimal Art. Davon zeugt in Leverkusen eine Installation aus drei quadratischen Zinkplatten, denen er seine eigene Note gibt, indem er sie großzügig mit Fett beschmiert.
Rosemarie Trockel baut die kühlen Quader der meist männlichen US-Kollegen in weichem, wärmendem Schaumstoff nach. Und C.O. Paeffgen ersetzt sie durch jede Menge alter Gemüsekisten, die er schwarz streicht und zum Wandobjekt montiert. »Nacht« nennt er das Werk. Wer diesen Titel kennt, beginnt unversehens mehr darin zu entdecken: Die schwarzen Kisten fügen sich zur Stadtlandschaft, die hellen Ritzen zwischen den Hölzern werden zu erleuchteten Fenstern. Das Ensemble füllt sich mit Geschichte.
Sie alle brauchten in Düsseldorf damals nicht lange zu warten und nicht weit zu gehen, um sich mit minimalistischem Zündstoff zu versorgen. Einen Katzensprung entfernt von der Akademie hatte Konrad Fischer in einer Tordurchfahrt seine Avantgarde-Galerie aufgeschlagen und sie zur Eröffnung im Oktober 1967 vom amerikanischen Minimal-Pionier Carl Andre mit hundert industriell gefertigten Stahlplatten pflastern lassen.
Damit reizte er wohl Sigmar Polke. Mit ironischer Treffsicherheit konterte der schon im Jahr darauf. Beim Schuss ins Schwarze half ihm ein Küchentuch mit blauem Kachelmuster im traditionell Delfter Design. Polke spannt das industriell gefertigte textile trouvé auf den Rahmen und schreibt darunter kess: »Carl Andre in Delft«. Als wolle er sich über den für seine quadratischen Stahlplatten bekannten Minimal-Pionier lustig machen. Und sagen: Guck mal, Kästchen, etwas wie die Deinen trifft man in jedem noch so spießigen Haushalt.
Museum Morsbroich, Leverkusen: »Ruhe vor dem Sturm. Postminimalistische Kunst aus dem Rheinland«, bis 10. Januar 2016, Tel. 0214 855560