Die Herrscherin über das Stadtbild von Florenz, die gewaltige Kuppel des Doms Santa Maria del Fiore, können an klaren Tagen noch die Leute im 25 km entfernten Pistoia bewundern. Am liebsten tun sie dies auf der »Via dell Apparenza«, von der aus wirkt die einzigartige Cupola wie eine wundersame, überirdische Erscheinung. Als aber die Republik Florenz 1296 damit begann, den schönsten und größten Dom aller Zeiten zu bauen, wusste noch niemand, wie man eine gigantische Kuppel von 45 Metern Durchmesser und 90 Metern Höhe überhaupt wölben sollte. Erst 1428 löste der kühne Baumeister Filippo Bunelleschi das statische Problem mit einem sich selbst tragenden Kuppelgerüst. Damit schuf der geheimniskrämerische Ingenieur eines der großen Bauwunder der Renaissance. Ungelöst jedoch blieb das Rätsel, warum sich Brunelleschi, der erste Architekturstar der Geschichte, oft wie ein Bettler kleidete. Exzentrik? Pah. Wir nehmen an, es war tiefe Demut. Musste doch dem genialen »Governatore della Cupola Maggiore« schmerzlich klar sein, dass ihm zu seiner Zeit die architektonische Realisierung der vollkommensten aller Formen verwehrt blieb: das Ovoids; vulgo des Eis. Er konnte nur eine Riesenfrühstücksei-Kappe in einen Eierbecher- Dom setzen.
Heute, darf man vermuten, würde Brunelleschi als ovoider Architekturpilger schnurstracks ins herrliche Bottrop düsen. Über die Via dell Apparenza 224, von der aus sich mit überwältigender Florentiner Grandezza vier enigmatische Rieseneier dem Blick darbieten. Die majestätischen Faultürme der 1997 vollendeten Emscher Kläranlage Bottrop- Welheim, mit 54 Metern Höhe und 60.000 Kubikmetern Gesamtvolumen die größten Fauleier der Welt. Inmitten der Anlage ragen diese Giganten so mächtig und geheimnisvoll auf, als hätte hier das große Welthuhn das silberne Weltei nochmal gelegt, in heiliger Vierfaltigkeit. Das blaue Wunder von Bottrop: Wenn sich der Riesenschoß der Dunkelheit um die prachtvollen Gärkörper schmiegt, erblickt der Faulbehälter-Bewunderer ein illuminiertes Eier-Ensemble. Wundersam bläulich glühend, unwirklich, übersinnlich, mythisch, magisch. Wie für die Ewigkeit spiegelt sich dann diese Santa Maria del‘Uovo des Ruhrpotts in den bakterienfaulschlammigen Belebungsbecken, den Jungbrunnen des Klärwerks. Mitsamt ihrem Raketenstartrampen- Eier-Verbindungsstück wirkt diese Kirche dann wie ein kosmisches Cape Canaveral der Außerirdischen. Futuristisch. Und archaisch. Ei et omega. Im Betrachter erwachen Schöpfungsfragen. Was wird da wohl aus dem Urschlamm schlüpfen, aus den Wundereiern hüpfen? Gräßliche Urzeit-Echsen? Ja, die Eier von Bottrop sind ganz großes Kino, mit einem Wort: tolltolltoll.
Wie aber konnten dann diese Faulbehälter von Weltrang bei der Abstimmung zum Internet- Voting-Wettbewerb »Europas schönster Faulturm«, ausgeschrieben von der österreichischen Umwelt- und Kläranlagentechnik-Firma VTA, unlängst nur den dritten Platz erringen? Nach Halle (Saale)-Nord (1. Platz mit 454.599 Stimmen) für zwei Eier in zaghaft zauderndem Trübgrau. Und Göttingen (2. Platz mit 441.817 Stimmen) für einen wenig klassischen Zylinder-Schalungstyp, sehr bunt gestreift, fatal an Obelix‘ Hosen erinnernd. Wir wollen jetzt nicht wie ein verhärmtes Huhn wirken, aber diese Rangfolge ist anrüchig. Da ist was faul, da gibt es Klärungsbedarf. Lange lagen Bottrops Eier vorn (Endergebnis 429.673 Stimmen), aber dann schickte die Klärwerk-Betriebsleitung Halle ihre Belegschaft fort vom Bakterienschlammhüten zum emsigen Internet-Voten. Und in Göttingen rief eine lokalpatriotische Postille alle »heimatverbundenen südniedersächsischen« Faulturm-Fans dazu auf, ihr Ding doch noch ins Ziel zu eiern. Diese Eiersalatschüssel! Hier wendet sich der empfindsame Faultank-Connaisseur mit Grausen.
Aber auch andernorts hat man wenig verstanden vom Wesen unseres emschergenossenschaftlichen Leuchtfaulturm-Projekts. Von der Würde der wasserblau die Emscher-Renaturierung symbolisierenden Bottroper Pioniertat, ein städtebauliches Ei des Kolumbus. Denn mittlerweile sprießt landauf, landab eine Imitations-Inflation bunt beleuchteter Kirmesfaultürme. Von Ravensburg (nach aufwendiger künstlerischer Beratung ebenfalls nachts blau illuminiert) bis Hamburg – der Spitze des Eibergs. Denn die dortige Stadtentwässerung beleuchtet neuerdings ihre Eierfaultürme am Hafen mit »wechselnden Projektionsmotiven « und bietet Sonderprogramme.
Heiliger Brunelleischi, hilf! Ehrwürdige Faultanks herabgewürdigt zu Überraschungseiern. Diesen Monat werden sie auf die Hamburger Faulbehälter »Geschenkschleifen« projizieren. Touristische Windeier, anrüchige! Wir bleiben unbeschleift. Frohe Ostern, Ur-Ei Bottrop. //
Nächste Besichtigung der Kläranlage Bottrop: 9. Mai 2006, 10 Uhr, 2 Euro, Info: Gesellschaft Stadtmarketing Bottrop, Tel. 02041/7 66 95-13/14; außerdem u.a. Besichtigungen über Revier-Tour (da sehr zu empfehlen auch die Bergbau-Exkursionen für Kinder von 8-13 J. in den Osterferien, 9.4.-13.4. 2006), Infos: Revier-Tour, Wolfgang Ulrich, Tel. 0209/36 16 86 10, www.Revier-Tour.de