»Ach, da war ich auch als Jugendlicher!« Gefühlt haben alle Bekannten aus dem Raum Duisburg und der weiteren Umgebung mindestens einmal das Moers Festival besucht. Das ist umso erstaunlicher, als es hier um keines der üblichen Rock- oder Pop-Events geht. Bis 2005 trug die Veranstaltung noch den Namen »New Jazz Festival Moers«. Wer nun an verstaubte Männer mit Schiebermütze und Saxofon denkt, liegt aber auch nicht richtig. Das Moers Festival ist Avantgarde, ist Experiment, ist das Ausloten neuer Klänge.
Nachdem die letzten zwei Ausgaben mehr oder weniger digital stattfanden, kann in diesem Jahr wieder die Festivalhalle gefüllt, der Markt davor besucht und die ganze Stadt mit kleinen Konzerten bestückt werden. Dabei dürften die Veranstaltungen auch für hartgesottene und erprobte Festivalmenschen immer wieder Überraschungen bieten. Dazu passen die Ankündigungstexte zu den einzelnen Bands – hier reicht das Spektrum von Poesie über kryptische Prosa bis hin zum puren Dada-Nonsens.
Ein Highlight des ersten Festivaltages ist das Trio Buna aus Äthiopien rund um Endris Hassen mit seiner Masinko – das ist eine einseitige Kastenspiellaute, die man mit einem Bogen zum Klingen bringt. In Äthiopien wird das Instrument meist von Balladensänger*innen zur Untermalung genutzt. Hassen jedoch spielt keine Balladen, keine äthiopischen Volkslieder. Er forscht nach den Klängen dieses Instruments und experimentiert mit seiner Vielseitigkeit. Dabei trat er schon mit Free-Jazz-Größen wie Han Bennink, Paal Nilssen-Love oder Ken Vandermark auf.
Weiter geht’s mit Patrick Higgins. Er ist Solo-Gitarrist, was man allerdings kaum vermuten würde, wenn man seine Musik nur hört. Da klickt und klonkt es, vermeintliche Synthesizer-Flächen tauchen auf, Drones schweben durch den Raum. Higgins ist das beste Beispiel dafür, dass eine Gitarre nicht immer wie eine Gitarre klingen muss.
Das Festival tat gut daran, den Jazz aus seinem Titel zu streichen, auch wenn schon Herbie Hancock sagte: »Man wird den Jazz nicht los, selbst wenn man das wollte.« So finden sich auf dem Programm neben dem Experiment auch Bands wie Ghost Dogs, die sich dem klassischen Jazz und Jazz-Rock verschrieben haben. Letzter Tipp: Die Black-Metal-Band Liturgy. Wer nun an Schrammel-Norweger mit Gesichtsbemalungen und toten Schafsköpfen auf der Bühne denkt, wird auch hier wieder enttäuscht. Bei der Formation aus Brooklyn ist Black Metal zwar eine ästhetische Kategorie, doch verzichtet sie auf sämtliche Szene-Codes und Attitüden. Heraus kommt ein esoterisch angehauchter, überbordender Klang-Teppich, der nur noch in der Fußnote an das skandinavische Klischee erinnert.
Doch sollte man auf dem Moers-Festival nicht nur in der Halle verweilen. Auf dem Markt vor der Tür schmeckt es gut, vor allem das Knoblauchbrot. Auch lohnt es sich, all die kleinen Konzertlocations im Schwimmbad, im Gymnasium oder am Rodelberg aufzusuchen, wo allerhand musikalische Schätze warten. Denn das Moers Festival ist vor allem eines: eine große Überraschungstüte.
Moers Festival
3. bis 6. Juni