TEXT: ANDREJ KLAHN
Der Name verpflichtet, doch wozu? Katharina Born ist die Tochter des Schriftstellers Nicolas Born, der 1979 kurz vor seinem 42. Geburtstag verstorben, zu Lebzeiten überaus erfolgreich gewesen, nach dem Tod aber schnell in Vergessenheit geraten ist. Das zu erwähnen, fügt dem Verständnis ihres Debüt-Romans »Schlechte Gesellschaft« nichts hinzu. Doch die 1973 in Berlin geborene, heute in Paris lebende Katharina Born hat auch die Gedichte (2004) und Briefe (2007) ihres Vaters herausgegeben, was eine kleine, unerwartete Born-Wiederentdeckung einleitete. »Selbst wenn es 25 Jahre sind, die fast mein ganzes Leben bedeuten. Sobald ich mich damit beschäftige, ist alles wieder akut.« So schrieb sie in ihrem sehr persönlichen Nachwort zum Gedichtband, in dem die Tochter ihre Doppelrolle reflektiert und auch die Scheu zur Sprache bringt, die persönlichen Dokumente, die sie in einem großen Schrank im Elternhaus gefunden hatte, öffentlich zu machen.
All das muss nicht wissen, wer in »Schlechte Gesellschaft« geraten möchte. Doch es eröffnet eine durchaus reizvolle Perspektive auf die Geschehnisse in diesem Familienroman, in dem eine Schriftstellertochter mit einem ehrgeizigen Duisburger Doktoranden der Germanistik auf den Dachboden – und bald auch ins Bett – steigt, um den literarischen Nachlass des Vaters zu sichten. Judith Vahlen denkt dabei auch an finanzielle Erlöse, Andreas Wieland vermutet ein Geheimnis, das von der barschen Schriftsteller-Witwe Hella unter Verschluss gehalten wird. Doch öffnet Katharina Born hier nicht das Schlüsselloch, durch das die eigene Familie kenntlich werden würde. Ganz im Gegenteil, macht sie den Voyeurismus, das naive Verlangen, Literatur auf Leben hin durchsichtig zu machen, zum Thema ihres Romans.
Über nicht weniger als 150 Jahre erstreckt sich die Handlung, die an einem regnerischen Junitag im Jahr 1865 anhebt, an dem der Wagen des Fabrikantenneffen Johann Georg Vahlen mit gebrochener Vorderachse im Morast des Westerwalds stecken bleibt, so dass er ein ärmliches Mädchen im Pulk der Herbeigelaufenen bemerken kann. Einige Jahre später ist Irma seine Frau und ein Sohn kommt zur Welt, aus der Johann Georg aber schon vorher mit einem gezielten Schuss in den eigenen Kopf tritt.
Ein überaus verästelter, lange Schatten in die Gegenwart werfender Familienbaum wächst sich dann mit einem Tempo aus, dass der Leser dazu genötigt wird, ihn mit Papier und Stift nachzuzeichnen. Aber bitte mit Bleistift, denn es bleibt wenig, wie es zunächst scheint. Die Geschichte aber wiederholt sich: Inzest und Betrug, Vergewaltigungen, Verstümmelungen, Kinder, die ohne Väter aufwachsen müssen und Frauen, die vergeblich der Enge des kleinen Dorfes im Westerwald zu entfliehen versuchen – als liege das Schicksal der Familie Vahlen in den Genen.
Zu einem historischen Panorama malt Katharina Born diese Familien-Saga nicht aus. Sie montiert die Erzählstränge unchronologisch als Short Cuts und bringt die Charaktere – das ist kein geringes Wagnis – auf Fernsehroman-Format. Alle reden in »Schlechte Gesellschaft« von der »Villa Westerwald«, jener Serie, die auf den Romanen Peter Vahlens basiert. Die Welt aber, in die Andreas Wieland im Zuge seiner Recherchen gerät, flimmert auch dann noch in den grell eindeutigen Farben der Telenovela, wenn der Abspann gelaufen und der Apparat längst abgeschaltet ist. Das Leben? Serien-Stoff. Fortsetzung folgt, wenn Sie Shirley Basseys »History Repeating« hören.
Katharina Born,»Schlechte Gesellschaft«; Hanser, München 2011, 269 S., 19,90 Euro.
Lesung im Rahmen der »Lit.Cologne« am 25.3.2011 im Haus des Tanzes