TEXT: ANDREAS WILINK
Bernhard Grzimek ist auch dabei. Der Zu-schauer der fünfziger Jahre unternimmt mit ihm Spaziergänge durch den Frankfurter Zoo, begleitet von lehrreicher, aufklärender Erläuterung, die den Unterhaltungsaspekt nicht zu kurz kommen lässt. Was besonders für den Privatzoo in des Professors eigener Wohnung zutrifft: Panther in der Badewanne und Schimpanse in der Küche, der auf dem Herd Milch kocht. Da ist »Daktari« nicht fern. Ein gelegentlicher Gegenschuss auf die Zoobesucher beweist, dass deren stupid staunende Mienen sich ihrerseits eigneten, der öffentlichen Sensationslust preisgegeben zu werden. Dazu klimpert Klaviermusik, wie man sie vom Stummfilm kennt, stets amüsiert über das Verhalten der dickfälligen oder dünnhäutigen Lebewesen der Leinwand. Die Frage nach der Würde bleibt als Grundproblem virulent.
Das ergänzende – und sehr komische – Kontrastprogramm zu den pädagogisch wertvollen Lehrbeispielen bietet die Channel 4-Produktion »Creature Comforts« von Nick Park, der fiktive Interviews mit gekneteten Plastillin-Animals führt. Die Animations-Artgenossen geben jeweils in national gefärbtem Englisch Statements zu ihrer Situation, Befindlichkeit und Ernährung im Gehege ab: die distingu-ierte britische Schildkröte, afrikanische Vögel, eine brasilianische Großkatze, die sich be-schwert: »We need space to live, to feel that we are part of the world«. Dritte Welt-Ansprüche unter Vierbeinern, die auf Kolonisations-Schadenersatz klagen.
Manchmal wird auch unsereiner zum Objekt des Experiments: belauscht beim Gaffen auf das »Manteltier«, das als pelziges Steiff-Geschöpf im Zwinger hockt. Was sondern Leute da nicht alles für einen Blödsinn ab über das Tier, das es nicht gibt.
Das tierisch tolle Spezialprogramm der Kurzfilmtage – über 90 Beispiele von 1892 bis zu Romuald Karmakars störrischem Stillleben »Esel mit Schnee« von 2010 – konfrontiert uns mit doppeltem Fehlverhalten: hier die Vermenschlichung des Tiers, dort die Entmensch-lichung in unserem Verhalten gegenüber dem Tier. Das Festival merkt an, dass die Entsteh-ung des Kinos mit der Ausbreitung des Zoos in den Industrienationen« zusammenfällt. Die haarige, gefiederte oder geschuppte Geschichte ist lang (bestehend nicht nur aus Kurzfilmen) und reicht von Disneys World über Lassie und Flipper zu King Kong und dem Weißen Hai bis zum »Planet der Affen« und Spielbergs »Jurassic Park«-Kreationen.
Dabei stellen der Bewegungsapparat und -ablauf und das physische Potenzial (wie Archiv-Aufnahmen der 1950 von Konrad Lorenz mitbegründeten Encyclopaedia Cine-matographica zeigen) eine schöne Verbindung zwischen Moving Picture und Tier her. Sie wurde von dem Filmwissenschaftler Akira Mizuta Lippit auf den Begriff »animalieren« gebracht.
Für Oberhausen sortierten zwei Kuratoren, der Biologe Cord Riechelmann und der Filmemacher Marcel Schwierin, das reiche Material zu elf Themenbereichen: Zoo, Dressur, Zirkus, Jagd, Nutz- und Haustiere, Schädlinge, Labortiere, Gegenstände der Ökologie etc. Untersucht wird das Genre dabei nach Umgehensweisen, Präsentation und Projektionen, nach Absicht und Aussage. Der Erkenntnisgewinn ist groß, der Spaß ebenfalls – das Schrecknis zuweilen nicht minder. Das Urschema Jäger–Beute lässt sich umwidmen und kann sowohl im Entertainment, in der Kunst (zum Beispiel in einer Meditation zu Olivier Messiaens »Catalogues d’Oiseaux« am Klavier und in Bildern von Vögeln und Pflanzen) und im Wissenschaftsfilm dingfest gemacht werden.
Im Teil über das »Theater der Tiere« tritt der Mensch als Lehrer auf, dessen Erziehungs-maßnahme nicht fruchtet (»I forgive you, but remember it next time«), und das Tier als unbelehrbarer Schüler: Ein lieber Weimeraner und notorischer Nichtraucher lässt sich von William Wegman keinen blauen Dunst vormachen.
<style>@font-face { font-family: "Cambria"; }p.MsoNormal, li.MsoNormal, div.MsoNormal { margin: 0cm 0cm 0.0001pt; font-size: 12pt; font-family: Cambria; }.MsoChpDefault { font-size: 10pt; font-family: Cambria; }div.WordSection1 { page: WordSection1; }</style>Der Mensch schickt als Dompteur Katzen in den Boxring, bringt eine Gans zum Singen, Eisbären zum Saufen, Pferde zum Köpper in den Swimmingpool und inszeniert Hahnenkämpfe. In der absurden Parodie des Israeli Guy Ben-Nur (»Second Nature«, 2008) stellen Verhaltensforscher die antike Fabel vom Fuchs, der Krähe auf dem Ast und dem Happen Käse quasi mit Original-Darstellern nach.
Schon als die Bilder laufen lernten, gab es emanzipatorische Bemühungen. Wenn etwa ein koketter kolorierter Schwarm weiblich-tänzerischer Bienen und Schmetterlinge dem Insektenforscher am eigenen Leib beweist, wie schmerzhaft es ist, mit Nadeln aufgespießt zu werden. Oder wie grotesk der Wunsch, sich einen Ozelot-Mantel umzuhängen, während einen Moment zuvor das Tier noch sein Fell trug und im Modesalon als künftiges Couture-Stück an der Leine vorgeführt wurde. Von solchen verspielten Episoden zum Labor-Experiment (Affen, geschult von japanischer Primatologen, bedienen Computer und Kamera in »Capucine« von Nieto) oder zum brutalen Zugvogelmord (Kapitel: »Schwalben am Spieß«) braucht’s oft nur einen Flügelschlag.
Das Austesten von Reflexen und Verhaltensmustern mag notwendig sein, schafft aber mehr oder weniger unangenehme Bedingungen für das Tier. Das behavioristischen Tests unterzogene Äffchen – im Vergleich zum Kleinkind – wirkt putzmunter. Man Ray, der Weimeraner von William Wegman, leicht irritiert, wenn er den Zuruf zweier Herrchen mit Gehorsamsverweigerung quittiert. Der Käfer in »Convulsion« (Chen Steinberg), der auf seinem gepanzerten Rücken liegt, wild mit den Beinchen strampelt und sich aus eigener Kraft nicht umdrehen kann, indes stößt (vom Mikrofon aufgenommen und akustisch extrem verstärkt) derartig röchelnd heisere, »menschlich echte« Hilfeschreie aus, dass es zum Erbarmen ist. Wer würde dabei nicht an Gregor Samsa denken, den Kafka über Nacht der »Verwandlung« unterwirft.
Der Spieß lässt sich umdrehen: Bestie Tier als das Naturböse. Drei Riesenschlangen, ins Visier genommen von einer stoischen Kamera beim Verdauen einiger Kaninchen, verkörpern das Prinzip vom Fressen und Gefressen-Werden. Das operative Geschäft und die raffinierte Tücke eines Trickfilm-Moskitos, der seinen Stachel schleift und spitzt, sich ein Opfer wählt und von dessen Blut dick wird, basiert wohl auf kollektiver Erfahrung. Eine Armee im Dunkel, wenn man bedenkt (wie ein weiterer Film im Schnelldurchlauf addiert), dass es zehn Millionen Insekten-Spezies gibt. Das erinnert an Hitchcocks »Vögel«, worin eine Ornitholo-gin mit Raubvogelprofil die schier unendliche Masse der Vogelarten referiert und den Untergang der Menschheit prophezeit.
Der »Kleinkrieg« gegen Ungeziefer und Schädlinge, wie er in einem deutschen Kultur-film von 1938 propagiert und zur Werbung für die chemische Keule Blausäure (Zyklon B) benutzt wird, oder der Kampf ums Dasein und ideologische Mobilmachung (»Das Erbe«) für Rassenhygiene, Auslese und Arterhaltung zeigen bereits im Vokabular, wohin der Weg führt: »ausmerzen«, »Vernichtung des Schwachen«, »aussondern«. Auf Heines Warnung, dass, wo Bücher brennen, am Ende auch Menschen brennen würden, folgt Claude Levy-Strauss’ Hinweis, dass in der Moderne die Vernichtung von Menschen zuerst am Tier erprobt werde.
Gegen apokalyptische Szenarien behauptet sich die Faszination, ob in freier Wildbahn oder unterm Mikroskop studiert: Wir bewundern soziale Strukturen, komplexe Organismen, instinktives Verhalten, etwa bei Fortpflanzung und Aufzucht – in den Lüften, auf der Erde oder unter Wasser, mal im Format einer Familienserie, mal als biologisch interessierte Expedition, als hippen Riff-Rap oder als ironisches Tauch-Abenteuer, wenn der Schnorchler plötzlich in Meerestiefen zu einem wie von Jules Verne phantasierten Unterwasser-Restaurant flösselt.
Unter der Überschrift »Useless Animals« porträtiert Vladimir Tyulkin eine alte Frau, Nina Perebeyeva, aus Kasachstan, die das einzige Hundeasyl im Land betreibt und Dutzende von Vierbeinern gegen geringes Entgeld in Pflege hat. Während Tschaikowskys symphonische Dramen erklingen, erleben wir das totale kläffende Chaos in einer Art Messie-Haushalt. Unaufhörlich beschäftigt, Stapel von Zeitungen in der ärmlichen Wohnung auszulegen, das verunreinigte Papier zu sammeln und zu verbrennen, Futter zu be-schaffen und über den Tod jedes Welpen zu weinen, ist diese Aufzeichnung vom Dienst am Tier gleichzeitig Liebesgeschichte und Horrorfilm, ebenso anrührend wie schauerlich. »In das Haustier ist der Mensch immer schon eingeschrieben«, sagt das Vorwort zum Oberhausener Katalog.
Was in anderer Weise auch für die »Dog-Dreams« von Roz Mortimer gilt, der in einer surreal bunten, Lewis Carrolls Girlie-Obsessionen zitierenden Phantasie Mädchen und Hunde zur literarischen »love affair«, kommentiert von Enid Blyton bis Virginia Woolf, zusammenführt.
Wir betrachten das Tier – das Tier blickt zurück. Es sieht weiter. Rilke weiß das:
»Mit allen Augen sieht die Kreatur / Das Offene. Nur unsre Augen sind / wie umgekehrt und ganz um sie gestellt / als Fallen, rings um ihren freien Ausgang.«
57. Internationale Kurzfilmtage Oberhausen, 5. bis 10. Mai 2011; Thema: »Das Kino der Tiere«. Eine kurze Geschichte des Tierfilms; zum Programm gehören der Internationale, nationale und NRW-Wettbewerb und der MuVi-Preis; ein Porträt widmet sich Herbert Fritsch; außerdem mehrere Diskussions-Podien; www.kurzfilmtage.de