Auf dem Katalogeinband sieht man Fritz Winter seitlich vor der Staffelei stehen. Er schaut zu seinem Bild hin und zeigt Profil: mit kräftigen Brauen über schön geschwungener Nase, mit deutlichen Geheimratsecken und straff nach hinten gekämmtem Haar. Er trägt einen farbbeklecksten Overall, der durch aufgesetzte Taschen und Gürtel militärisch wirkt. Die linke Hand steckt in der Hosentasche, die rechte hält, wie fast immer, eine Zigarette, männlich-lässig mit drei Fingern nach vorn. Kleidung, Haltung und Frisur – man kann kaum umhin, »Landser« zu denken. Als das Foto entstand, war Winter im Begriff, zum vielgelobten Maler der westdeutschen Nachkriegs-Moderne zu avancieren.
Zuvor aber war er tatsächlich zehn prägende Jahre seines Lebens Soldat gewesen: sechs Jahre an der Ostfront und vier Jahre als Kriegsgefangener in der UdSSR. Zu seinem 100. Geburtstag und unter dem Gesamttitel »Man lebt im Wirken der Schöpfung« zeichnen vier Museen Fritz Winters eigentümlich deutschen Lebensweg nach. »Einen der bedeutendsten westfälischen Künstler des 20. Jahrhunderts« nennt ihn ein Faltblatt zur Ausstellung – ein bemühter, womöglich regionaler Förderung geschuldeter Superlativ. Viel mehr zählt, dass Fritz Winter vor dem Krieg am Bauhaus begabter Schüler von Paul Klee, Wassily Kandinsky, Josef Albers und Oskar Schlemmer war und dass er später mit seiner abstrakten Malerei den Zeitgeist der Nachkriegsrepublik so genau traf; dass er Anerkennung fand wie wenige andere deutsche Künstler. Die vier Museen in Hamm, Ahlen und Cappenberg zeigen chronologisch mit über 300 Arbeiten die künstlerische Entwicklung Winters.
Geboren wird er am 22. September 1905 in Altenbögge bei Kamen. Vater Friedrich ist Schachtabteufer. 1912 zieht die Familie nach Ahlen, wo damals die Zeche »Westfalen« entsteht. Fritz, der noch sieben Geschwister bekommt, geht zur Volksschule, macht »auf Westfalen« eine Lehre und arbeitet unter Tage. Er beginnt zu malen; dass Vincent van Gogh und Paula Modersohn-Becker ihn beeindrucken, sieht man den Bildern an. Nebenher besucht er das Realgymnasium, um später Medizin zu studieren. Es ist aber die Malerei, die ihm den Weg aus seinem Bergmannsdasein eröffnet: Auf den Rat des Zeichenlehrers hin bewirbt Winter sich beim Bauhaus. Paul Klee empfiehlt seine Aufnahme, und im Winter 1927/28 beginnt der junge Mann sein Studium in Dessau, ausgestattet mit einem väterlichen Wechsel über 40 Reichsmark. Mit Seminarnotizen in Schnellheftern, mit frühen Arbeiten Fritz Winters und seiner »Klassenkameraden« wird die Bauhaus-Zeit bis 1930 im Gustav-Lübcke-Museum Hamm dokumentiert.
Klee war Winters wichtigster Lehrer; nächst ihm prägte besonders Oskar Schlemmer den Schüler. Aber auch die Freundschaft Winters mit dem Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner hinterließ Spuren in seinen Bildern, mehr noch die Zusammenarbeit mit dem Konstruktivisten Naum Gabo. Von 1931 an malt Winter zweidimensional- räumliche Bilder mit großzügigen, prismatischen und kristallinen Formen, die sich auf Winters innige Verbindung zur Natur beziehen, auf sein Interesse an der Formenwelt von Erde, Gestein und Mineralien, die er als Bergmann kennen gelernt hatte. Lichter wirken oft wie Gestirne; zuweilen erinnern Landschaften mit geisterhaftem Mondlicht an die Surrealismen Dalís.
1931 wird Fritz Winter Lehrer an der Pädagogischen Akademie in Halle; er lernt seine spätere Frau kennen und reist durch Italien: Alles scheint sich zu fügen für eine pekuniär und emotional stabilisierte Künstlerkarriere. Doch 1933 vertreiben ihn die Nazis aus seinem Lehrberuf. Winter und seine Gefährtin ziehen 1935 in die Abgeschiedenheit von Dießen am Ammersee. 1937 wird der »entartete « Künstler mit Malverbot belegt. Wie Fritz Winter in den Nazijahren lebte und arbeitete, zeigt die zweite Station der Geburtstags-Schau im Ahlener Haus seiner Eltern, das 1975 zum »Fritz-Winter-Haus« umgebaut wurde. Dort fällt zunächst ein erstaunlicher Kontrast auf: Zum einen sind da die durchweg farbarmen, meist dunklen oder mit geisterhaftem Licht erfüllten Arbeiten, die Winter bis 1937 gemalt hat und die man nur zu leicht als Ausfluss der zunehmend bedrückenden Situation nehmen könnte. Andererseits tauchen von 1938 an überaus farbige, zuweilen heitere Arbeiten auf, die auch in ihren Titeln wie Fluchten aus der Realität wirken: »Sommer in unserem Garten« (1938), »Sommer« (1940), »Farbenreichtum von Sirmione« (1939).
1939 ziehen die Nazis den »Entarteten« zum Dienst in ihrem Krieg – und der Geschmähte dient ihnen bis zum Ende, zuerst in Polen, dann in Russland. Briefe aus jener Zeit wirken, selbst wenn man den Zwang der Zensur berücksichtigt, ernüchternd: Da wird so banal vom Frontalltag erzählt, von einer Beförderung, vom Zurückdrängen »des Russen « und vom Tabak-Organisieren, dass man sich für den verfemten Künstler fast ein wenig mehr Distanz zum Nazikrieg wünscht – ein sehr deutsches Dilemma. Winter hielt seine Kriegseindrücke in handgroßen, schwarzweißen »Feldskizzen« fest, von denen er 1944 einige vergrößert in Farbe umsetzte, während er am Ammersee von einer schweren Verwundung genas. Vom eigentlichen Krieg handeln die wenigsten dieser Blätter, ein Titel wie »Zerstörung« bildet da die Ausnahme. Typischer ist ein Zyklus unter dem Titel »Triebkräfte der Erde«, aus dem Winters Naturverbundenheit spricht, seine Spiritualität – und die Tatsache, dass ein Frontsoldat der Erde so nah ist wie ein Bergmann. Erst 1949 kommt Fritz Winter aus der Gefangenschaft zurück.
Sofort nutzt er seine Freiheit mit Verve und findet, zeitgenössische Impulse aufnehmend, mehr denn je zu seiner Bildsprache; die 50er Jahre bilden den Zenit seiner Laufbahn. Ihnen widmet sich die dritte Ausstellung, im Schloss Cappenberg. Winters Produktion mit über 1.300 Gemälden in den 50er Jahren nennt selbst der Katalog »inflationär «. Von 1950 an sammelt der Künstler Jahr um Jahr nationale und internationale Preise. Er wird Professor an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Kassel, ist auf den documentas vertreten. Abstrakte Malerei gilt nun als Zeichen des Neubeginns, ebenso als Ausdruck der demokratischen Gesellschaft im Gegensatz zum Kunst-Stalinismus.
Ausfälle gegen das Abstrakte sind da nur noch Rückzugsgefechte, während Versatzstücke dieser Kunstauffassung sich selbst im Wohnzimmerdekor der Nierentischära breit machen. Winters nach innen gewandte, um Natur und Schöpfung kreisende Arbeiten haben im Rahmen dieser Nachkriegsstimmung nichts Provozierendes oder Verstörendes mehr; das mag zu seinem großen Erfolg in jener Zeit beitragen. Die Schau in Cappenberg zeigt jedoch, dass seine Bilder weder belanglos noch ausschließlich zeitgebunden sind und dass er sich keineswegs in Wiederholungen erschöpfte.
Allerdings empfindet Winter selbst schließlich die Notwendigkeit grundsätzlichen Wandels. Der zeichnet sich in der vierten Schau ab: Im Ahlener Kunst-Museum ist abzulesen, wie Winter sich in den 60er Jahren um neue bildliche Lösungen bemüht, während er sich sukzessive aus dem Kunstbetrieb zurückzieht. Es dominieren aus jener Zeit zunächst Bilder mit fließenden »Farbfeldern«, dann solche mit scharfkantigen Formen, in denen Winter mit Schablonen arbeitet. Beides wirkt, im Vergleich zu variationsreichen früheren Bildern und zeitgleichen, dynamischen Arbeiten in Öl, Tusche und Bleistift, ein wenig stereotyp und steril. 1975 fertigt der schon Schwerkranke mit Filzstift ausdrucksstarke, kleine Zeichnungen, die gleichsam eine Synthese seiner bisherigen Arbeiten anzukündigen scheinen. Doch am 11. Oktober 1976 stirbt Fritz Winter – am Ammersee, wo er 40 Jahre lang gelebt hat. Dass seine westfälische Heimat ihn mit einer großen Ausstellung ehrt, ist gleichwohl nicht weit hergeholt: Er hat die Gründung des Fritz-Winter-Hauses selbst befördert, und er hat seine alte Heimat immer wieder besucht – auch seinen Arbeitsplatz »auf Westfalen«. //
Bis 20.11.2005 (Gustav-Lübcke-Museum Hamm), 8.1.2006 (Fritz-Winter-Haus und Kunst-Museum Ahlen), 29.1.2006 (Schloss Cappenberg). www.kunstmuseum-ahlen.de/ausstellungen/fritzwinter_03.html