TEXT: INGO JUKNAT
Das Ruhrgebiet ist an diesem Tag nicht gerade ein Magnet. Es ist halb eins, im »Network Center« soll es um die kreativen Industrien zwischen Duisburg und Unna gehen. Fünf Gäste verlieren sich im Zelt. Draußen lassen die »Picnic«-Besucher ihre Beine von den Docks baumeln und verdrücken Lunchpakete in der Sonne. Bernd Fesel schaut auf die leeren Stuhlreihen. »Das hat ja auch keinen Sinn. Dann kümmern wir uns lieber um die Marktstände.« Fesel ist stellvertretender Direktor des »European Centre for Creative Economy« (ECCE) in Dortmund, er hat das Panel auf der Picnic organisiert.
ECCE – gern italienisch »Etsche« ausgesprochen – soll dafür sorgen, dass es weitergeht nach Ruhr.2010. Es soll das Revier als jungen Ballungsraum vermarkten. Weg von der Zechennostalgie, hin zur Kultur- und Kreativregion. Kernprojekte sind die Internet-Seite »2010Lab« und die Umnutzung von Industriekulissen für Nachwuchsfirmen. Hinzu kommen Promotionauftritte im Ausland wie der, den Fesel gerade absagt. Oder absagen muss. Seine Schützlinge schauen verwirrt. Eigentlich wollten sie heute der Welt ihre Geschäftsmodelle vorstellen. Tobias Seeger versucht, der Sache etwas Positives abzugewinnen: »Schau mal, Sarah, da hast du ganz umsonst gezittert«, sagt er zu seiner Geschäftspartnerin. Die beiden arbeiten bei »Goldfuchs-Flieger«, einem Startup aus Dortmund. Die Firma spezialisiert sich auf interaktive Einrichtungen. Szenografie nennt sich diese recht junge Disziplin.
Eigentlich ist Goldfuchs-Flieger genau die Art von Firma, von der Fesel und das ECCE träumen: junges Personal, innovative Geschäftsidee, Sitz im Ruhrgebiet. Wenn es davon nur mehr gäbe. Vier Jungunternehmen hat ECCE nach Amsterdam mitgenommen, die Mehrzahl wirkt ein bisschen deplatziert im Rahmen der Picnic. Das Festival gilt als Ideenbörse für technologische Hipster, die iPad-Videos für Björk produzieren, computergenerierte Hütten aus »Hyperschlamm« bauen und auf Elektro-Scootern über das Festivalgelände rollen. Viele der Aussteller haben Produkte, die sich für den nächsten William-Gibson-Roman eignen würden. Unter augmented reality oder biologisch abbaubaren Turnschuhen macht es hier fast niemand. Das heißt im Umkehrschluss leider auch, dass »normale« Produkte bei der Picnic wenig Aufmerksamkeit erregen.
Und so wirkt Anika Beller-Kraft recht einsam an ihrem Stand. Unter dem Namen »Zechenkind« stellt sie Taschen und Accessoires aus recycelter Bergmannskleidung her. »Ich habe mir das hier etwas aufregender vorgestellt«, gibt sie zu. Zwei Stände weiter wartet Christian Kreienkamp hinter einem Macbook. Er verkauft Aufkleber, mit denen man das leuchtende Apple-Logo modifizieren kann. Ein netter Gag, aber kaum die Art von Zukunftstechnologie, mit der sich das Ruhrgebiet in Holland als Innovationsmotor präsentieren könnte. Mehr Sinn hat da schon der Stand von »Bildsprachen«. Die Messe im Gelsenkirchener Wissenschaftspark ist international ausgerichtet. Es geht um professionelle Fotografie, um Dienstleistungen und Produkte. Ob ihr das Picnic-Festival etwas bringt, da ist sich Julia Thomé trotzdem nicht sicher. »Für uns ist das eher ein Plus obendrauf – ein Geschenk, das man gerne annimmt.«
Das Geschenk ist nicht klein. Besuchertickets zur Picnic kosten 395 Euro pro Tag, für einen Messestand muss man knapp 2000 Euro hinlegen. Auf der Popkomm bekäme man für diesen Preis schon einen halben Hangar. Die Finanzierung der Stände hat ECCE bei allen vier Ruhr-Firmen übernommen – als Preisgeld aus einem offenen Wettbewerb. Auf die Frage, wie viele Unternehmen sich eigentlich beworben haben, drucksen Fesel und Kollegen ein bisschen rum. Unter 20, hört man heraus. Nicht gerade viel für einen kostenlosen Erstauftritt bei einer internationalen Messe. Bleibt die Frage, ob es an mangelndem Interesse liegt oder ob die von ECCE gesuchten Firmen womöglich gar nicht existieren.
Reinhild Kuhn tippt auf Ersteres. »Die Leute im Ruhrgebiet sind genügsam. Manchmal ist es schwer, dort Leute zu motivieren.« Sie spricht aus eigener Erfahrung. Seit Mai betreibt sie einen co-working space in Dortmund, die Resonanz hält sich in Grenzen. »Die Einzelräume sind alle vermietet, aber die Großraumbüros laufen noch nicht so, wie wir uns das vorstellen.« Die Rechnung von der gegenseitigen Befruchtung – von Freelancern, die sich helfen, um innovative Ruhr-Produkte in die Welt zu tragen –, sie will nicht so ganz aufgehen. Zumindest in dieser Form. »Vielleicht muss man im Ruhrgebiet auch nicht unbedingt Räume teilen«, sagt Kuhn. Weil es genug günstige Büroflächen gibt.
Gut möglich, dass ECCE auch hier nachhelfen muss. Im nächsten Jahr ist ein Treffen des »European Creative Business Network« (ECBN) in Deutschland geplant. Das ECBN ist ein internationaler Interessenverband der Kreativwirtschaft mit wechselnden Tagungsorten. 2012 soll es nach Dortmund gehen. Wahrscheinlich wird ECCE Kuhns co-working space anmieten. Ist sie deshalb in Amsterdam? Kuhn schüttelt den Kopf. Die Picnic-Tickets hat sie bei einer Verlosung gewonnen. Auf der C’n’B in Köln, einer weiteren Kreativmesse.