Text und Foto: Helga Meister
John Baldessari im Kunstmuseum Bonn und Bonner Kunstverein! Allein die Nachricht ist eine kleine Sensation. Denn wer kennt den Amerikaner, geboren 1931 in National City, Kalifornien, heutzutage noch? Er gilt bei uns als Konzept-Künstler der späten 1960er und frühen 1970er Jahre, berüchtigt für Performances und Happenings. Jede Biografie beschreibt seine Vernichtungstat von 1966, als er zum Zeichen der Kritik an der herkömmlichen Malerei seine bis dahin entstandene Produktion an Gemälden verbrannte, das Autodafé allerdings in einem zehnminütigen Schwarzweiß-Film festhalten ließ. Es war die Zeit von »Konzeption Conception«, wie sich eine berühmte Schau in Leverkusen nannte, die die Interaktion von Musik, Kunst und anderen Medien dokumentierte.
Baldessari wurde 1971 und 1973 in der Galerie Konrad Fischer in Düsseldorf gezeigt, wie Bruce Nauman auch, der erste große Akteur in der Analyse von Wort, Bild, Aktion und Akustik, an den sich Fischer später eher hielt und dessen kometenhaften Aufstieg er begleitete.
In Bonn zeigt das Kuratoren-Paar Christina Vegh und Stefan Gronert wenig vom einstigen Konzept-Künstler und Sympathisanten der Fluxus-Bewegung, aber viel von einem Baldessari, der auch den Kunstmarkt zu bedienen versteht. Die beiden Kunsthistoriker legen den Schwerpunkt eher lokalpatriotisch auf die Musik, was sich in Zusammenarbeit mit dem Beethovenfest gewiss werbewirksam auszahlen wird.
Der 76-Jährige besuchte das Beethovenhaus, und siehe da, Baldessari wurde elektrisiert. Das ausgestellte Hörrohr Beethovens interessierte ihn. Ihn begeisterte die Vorstellung, dass ein Schwerhöriger komponieren kann. Der Rest ist schnell erzählt – und war schnell getan. Stephen Beyer, ein Fachmann aus New York, der für viele Bildhauer arbeitet, nahm das Hilfsinstrument für einen Abdruck ab, und dazu des Maestros Ohr, dessen Erstmodell in Gips in kleinem Format ausgeführt worden war. Beyer vergrößerte es, indem er es scannte, im CAD-System aufblies, in Kunststoff abgoss, mit Aluminium stabilisierte und den Hörtrichter mit Bronze patinierte.
So entstand die erste Skulptur Baldessaris (und zwar als Sechser-Edition). Der Kunstverein zeigt die Ohren und die mechanischen Hörhilfen, wobei die Sinnesorgane in Weiß gehalten sind und je nach Standort des Betrachters an Gesichter erinnern, während im Kontrast dazu die Trichter dunkelbraun-metallisch wirken. Im Verbund fühlt man sich an riesige dreidimensionale Comic-Zeichnungen erinnert.
Nun haben die Wände in den lichtdurchfluteten Räumen des Kunstvereins Ohren bekommen. Sie schweben im Raum und rhythmisieren ihn. Noch einen Pfiff hat die Installation, denn Ohr wie Rohr sind interaktiv benutzbar. Dabei dreht Baldessari (und hier ist er ganz er selbst) das Sprichwort »Zum einen Ohr rein, zum anderen raus« einfach um. Es heißt nun »Zum einen Ohr rein, zum selben wieder raus«: Denn wer in das Hörrohr ruft, dem schallt es zurück. Das Hörrohr als Lautsprecher.
Durch Baldessaris Trichter hört man Beethoven, die letzten sechs Streichquartette. Jedes der Kunst-Ohren hält zehn Musikfragmente für einen Zeitraum zwischen vier und 43 Sekunden erstaunlich lautstark bereit. Dazu Christina Vegh: »Baldessari zwingt uns, aktiv zu werden, zu sprechen, uns zu beugen und zu verneigen. Wir können uns in die Ohrmuschel hinein begeben, in einen Dialog mit Beethoven und Baldessari treten. Wir als Zuschauer komponieren zusammen einen Beethoven.« His Masters Voice wird uns eingetrichtert.
In diesen fast schon grotesken Szenen wird der große Bogen zu seiner Frühphase geschlagen, als der Amerikaner in den 70ern schräge konzeptuelle Videos produzierte, als ironische Untersuchungen zu Fragen der Wahrnehmung. Davon gibt es einige typische Beispiele im Bonner Kunstmuseum. Am schönsten ist das leicht verwackelte, bewusst ärmliche Videoband von 1972, in dem der langhaarige Baldessari Sol LeWitts Konzeptkunst-Texte im Singsang wiedergibt und mit amateurhaften Gesten begleitet, so dass der heutige Betrachter vor Freude über das absurde Theater glucksen will.
Aus der Frühzeit stammt auch die Fotoserie »Sky/Sea/Sand« (1973). Jemand warf einen Ball, und bevor er dies tat, rief er dem Fotografen zu, in welche Höhe er ihn werfen werde, und der Fotograf machte den entsprechenden Schnappschuss mit dem Ball hoch oben in der Luft, unten fast am Boden oder in der Mitte. Man sieht in den qualitativ schlechten Farbfotos Strand, Meer und Himmel – und hat mittendrin den Ball. In einer Variation des Themas sehen wir Fotos vom Künstler, wie er den Ball wirft, den wir auf den von Dan Graham geschossenen Fotos nicht sehen. Statt des Balls hat Baldessari in dieser Sequenz drei bunte Striche aufs Fotopapier gezogen, in Rot, Gelb und Blau. Nun schauen die Striche wie Notenlinien aus, sie zeigen die Höhe des Balls an, der selbst nicht sichtbar ist. (»Throwing a Ball Once to Get Three Melodies and Fifteen Chords«). In solchen Szenen wird Baldessaris sonderbarer Humor deutlich. Auch wenn er ihn nicht so konsequent wie Giuseppe Penone, der große Gegenspieler auf dem anderen Kontinent, entwickelt, der in diesem Jahr den italienischen Pavillon der Biennale bespielen darf.
Baldessari hat sich in den letzten Jahrzehnten auf die Lehre konzentriert, als Professor in Los Angeles wichtige Künstler herangezogen, darunter Rita McBride, die in Düsseldorf lehrt. Der späte Künstler Baldessari wiederum ist bekannt dafür, schon vorhandene Fotos zu nehmen, sie digitalisieren zu lassen und mit farbigen Kreisen zu bekleben und so in farbige Siebdrucke zu verwandeln. Etwas, das wie der dritte Aufguss von Pop wirkt. Der etwas geschwätzige, mit postmodernem Vokabular wirbelnde Katalog sagt, dass Baldessari ein bekannter Künstler mit einem unbekannten Werk sei. Das wird er wohl bleiben, denn zur Erhellung gehören nun einmal auch Vergleiche und Verweise auf Kollegen wie Serra, Nauman oder die Künstler der Arte Povera. //
Bonner Kunstverein und Bonner Kunstmuseum; bis 29.7.2007; www.bonner-kunstverein.de, www.kunstmuseum.bonn.de; Katalog 22 Euro.