Es ist schon alles da – sein beinahe beängstigendes Einfühlungsvermögen, die originelle, aber sich dafür scheinbar kaum anstrengende Wort- und Bildwahl, das sich stets auch körperlich-sinnlich entfaltende Aroma, die Ahnung von Vollkommenheit, die schwebend luft ige Leichtigkeit. Der 20- jährige Truman Capote ist schon ein Meister des Atmosphärischen und Wanderer im Bergwerk der Seelen. Bagatellen verdichtet er zu Impressionen, so dass ein blau bezogenes Bett zu einer gleichermaßen unschuldigen wie erotisch aufgeladenen Landschaft wird: »Seltsame Seen aus Licht kräuselten die seidige Oberfl äche, die aufgeklopft en Kissen waren Berge eines unerforschten Gebiets«. Kein Zweifel, hier schreibt ein Autor, der sich gefunden hat, der sich gegen den sozialrealistisch literarischen Ton der Nachkriegszeit behauptet und sich bei deutlich ausgebildetem Selbstbewusstsein an Henry James und Flaubert orientiert.
»Sommerdiebe«, erst 2004 in vier Schulheft en in einem Pappkarton aufgefunden und sodann von der New York Public Library ersteigert, soll von Capote bereits 1943 begonnen worden sein (ohne dass editorisch ganz klar würde, wann er das Buch abschloss) – mithin fünf Jahre bevor er mit »Andere Stimmen, andere Räume« ein »Werk von ungewöhnlicher Schönheit und von ungewöhnlicher Intelligenz« vorlegte, wie die New York Herald Tribune urteilte. Der schmale Band eröffnet die achtteilig angelegte Gesamtausgabe des Schweizer Verlags Kein & Aber, dessen Leineneinband in zartem Grün mit silberner Prägung so sublim nobel wirkt, wie es dem für seinen exquisiten Stil, Geschmack und Luxus berühmten Erzähler zukommt.
»Sommerdiebe« erzählt eine Liebes-, also eine unglückliche Geschichte, mit der Capote allen »Analphabeten des Gefühls«, wie es später einmal bei ihm heißt, sein eigenes ABC diktiert. Die 17-jährige höhere Tochter Grady McNeil, Kind sehr vermögender Eltern, die sie im ersten der sechs Kapitel zum Hafen begleitet, wo das Ehepaar sich auf der Queen Mary nach Europa einschifft , verliebt sich – es lässt sich nicht anders sagen – in einen Parkplatzwächter. Heimlich heiratet sie diesen Clyde Manzer. Die eigensinnige, in sich abgeschiedene, Langeweile und Etikette planlos meidende Park-Avenue-Prinzessin, die durch die Zimmerfl uchten der pompösen Wohnung am Central Park streift wie König Ludwig II. durch seine traurigen leeren Märchenschlösser, und der jüdische Bursche aus Brooklyn. Sie treff en sich, sie trennen sich, und am Ende mag es so sein, dass sie mit dem Auto in den New Yorker Morgen, das Licht des Himmels und in den Tod hineinfahren.
Mit demselben dichterischen Atem verfasst Truman Capote einen New York-Roman – in seiner schmerzend weißen Hitze, dem saloppen Hochmut, seiner Eleganz, gloriosen Vitalität und metaphysischen Einsamkeit. Auch dies überrascht, denn sein Frühwerk, darunter »Die Grasharfe«, ist vom Klima der Südstaaten und ihrer traumpoetischen Verwandlung bestimmt, die der 1924 in New Orleans geborene Truman aus Kindertagen kannte. Erst 1958 mit dem Welterfolg »Frühstück bei Tiff any« wird er zum Chronisten der Upper Class, Freund und Verräter all der Celebrities, die er in seinen Gesellschaft s- Skizzen und -Porträts erfasst. Die »Sommerdiebin« McNeil ist deren erste Heldin und ihr jüngstes Opfer.
Truman Capote: Sommerdiebe. Roman. Kein & Aber, 2006, 146 S., 16,90 €