Das sanierte Aachener Theater unter der Neuintendanz von Michael Schmitz-Aufterbeck stellt sich dem Mozart-Jahr auf ambitionierte Weise. Das Haus produziert nicht noch einen weiteren da- Ponte-Zyklus oder ein populäres Singspiel, sondern wendet sich den »Herrscherdramen« zu, vier als sperrig geltenden Werken der Gattung Opera Seria. Deren letzte, »La Clemenza di Tito«, 1791 parallel zur »Zauberflöte« entstanden, macht den Anfang. Die Grundüberlegung des Produktionsteams soll für das ganze Quartett gelten: Die Herrschergestalten im Zentrum durchleben Identifikations- und Machtkonflikte und müssen sich in Krieg und Frieden Fragen des eigenen Selbstverständnisses und der Legitimation stellen. Ludger Engels Regie zieht Parallelen von der Antike bis in die Bundesrepublik und siedelt die Geschichte von der verdächtig großen Güte des Imperators Titus in den übersättigten 80er Jahren vor dem Mauerfall an.
Die Tugend der Milde übersetzt sich dabei in neuzeitliche Imperative: Denke positiv! Entspanne Dich! Sei einfach gut drauf! So ist Titus (Andreas Scheidegger mit schwindelfreiem Tenor) ein seltsamer Antiheld, der stilles Wasser trinkt und sich mit Tai-Chi relaxt. Auf Dauer freilich ist die Lässigkeit ganz schön anstrengend, das Kamera-Lächeln des Imperators wirkt alsbald gequält. Ziemlich uncool das weitere Personal: die dem »Denver-Clan« entstammende Intrigantin Vitellia (Romelia Lichtenstein), der rührend jung und pubertär verstockte Sextus (Iva Danova). Marcus R. Bosch dirigiert einen nervös gestrafften Mozart, der – nicht zuckrig – durchaus zu krachend imperialem Triumph fähig ist. Dass der tugendschwache Titus unter dem Druck einer faulen Konsens- Gesellschaft steht, die es sich in der Glamour-Illusion der späten Disco-Ära noch einmal bequem machen will, ist angesichts unserer Mangel- Verwaltung fast schon eine Träne wert. REM